Süddeutsche Zeitung

Zugverkehr in Südostbayern:Wenn der Bahn Haar verrutscht

Mit der Eröffnung des Brenner-Basistunnels soll mehr Güterverkehr durch die Landkreise Ebersberg und München fahren. Für die geplanten Lärmschutzmaßnahmen der Bahn hagelt es Kritik - vor allem aus Zorneding, Vaterstetten und einer Nachbargemeinde.

Von Korbinian Eisenberger, Vaterstetten

Da war sie, die große weite Welt, im beschaulichen Vaterstettener Pfarrheim. Sie hatten sie an die Wand des Festsaals projiziert, die weite Welt, Helsinki, Valetta und Rom waren da auf einer Karte zu sehen. Dazwischen eingezeichnete Linien, Strecken, auf denen Europas Züge den Kontinent durchqueren. Und inmitten dieser Großstädte, da lag der Punkt für den Ort Vaterstetten. Um diesen Punkt drehte sich dieser Abend. Und dabei wurde es durchaus kontrovers.

Künftig sollen mehr Güterzüge durch die Landkreise Ebersberg und München fahren, am Donnerstag stellten Vertreter der Deutschen Bahn Pläne vor, was dieses Vorhaben für die Bewohner in der Nähe der Bahnstrecke bedeutet. Die Gemeinde Vaterstetten ist davon besonders betroffen, viele der 120 Zuhörer kamen zudem aus den Nachbargemeinden Zorneding und Haar im Landkreis München ins Pfarrheim, auch dort fahren die Züge durch. Und auch dort, so die Befürchtung vieler im Saal, könnte es künftig lauter werden.

Die Vertreter der Deutschen Bahn warben für ihr großes Vorhaben. Der Bundesregierung gehe es darum, den Güterverkehr von der Straße zunehmend auf Schienen zu verlagern, was umweltschonender sei, und schneller gehe. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat kürzlich bei einem Auftritt genau dazu in Rosenheim gesprochen - bevor die Güterzüge von Verona in den Landkreis Ebersberg kommen, fahren sie ja durchs Inntal mit Station Rosenheim. Damit auf der Strecke zwischen Italien und Deutschland mehr Züge und Güterzüge fahren können, wird gerade der Brenner-Basistunnel gebaut.

Henning Schwarz, verantwortlich für den Umweltschutz bei der Deutschen Bahn, gab Einblicke, was auf der hundert Kilometer langen Strecke zwischen Trudering und Kiefersfelden kommt. Wichtig dabei: Es geht hier nicht um die S-Bahn-Strecke nach München, sondern um die beiden Zuggleise daneben. Nach Messungen der Bahn an einem Punkt zwischen Vaterstetten und Zorneding fahren dort in beiden Richtungen (Stand 2015) täglich 269 Züge, 110 davon sind Güterzüge. In Kiefersfelden, wo Bayern an Österreich grenzt, waren es zu diesem Zeitpunkt insgesamt 180 Züge, mit einem ähnlichen Anteil an Güterzügen.

Wenn aus 180 Zügen am Tag 300 werden

Einer Prognose der Bahn zufolge sollen in Kiefersfelden im Jahr 2025 um die 300 Züge fahren, also 60 Prozent mehr als bisher. Für den Messpunkt Zorneding/Vaterstetten gibt es keine Prognose - wie viele Züge mit der Fertigstellung des Brenner-Basistunnels durch den Landkreis fahren werden, darüber gab es keine Auskunft.

In Vaterstetten trafen große Ideen auf die Situation der Leute vor Ort. Firmen, die Güter transportieren müssen, winkt eine Erleichterung. Menschen, die in Hörweite dieser Bahnstrecke wohnen, sehen darin vor allem eine Bedrohung. Eine Vaterstettenerin beklagte sich, schon jetzt seien an der Strecke Erschütterungen zu spüren, wenn Güterzüge vorbeifahren. Ein Dorfbewohner erklärte, dass der Lärm noch in 800 Metern Entfernung zu hören sei. "Wenn der Wind richtig steht, ist es, wie wenn der Zug durchs Wohnzimmer fährt", sagte er.

Die entscheidende Frage hinter all dem: Wird es für die Menschen an der Bahnstrecke mit der Eröffnung des Brenner-Basis-Tunnels lauter? Und wenn ja, was unternimmt die Bahn dagegen?

Der Lärm, so erklärten es die Bahn-Vertreter, dürfte durch die Zunahme der Züge leicht steigen. Lärmschutzmaßnahmen sollen diesen Anstieg wiederum kompensieren. Die Pläne der Bahn sehen so aus: In Haar wird nördlich der Bahnstrecke zwischen Rappenweg 237 und der Großfriedrichsburger Straße 1 auf 700 Metern eine drei Meter hohe Lärmschutzwand gebaut.

Schienendäpfer statt Lärmschutzwand

Vaterstetten bekommt auf 3,4 Kilometern zwischen Sonnenweg 10 und Holzwiesenweg 22 Dämpfer und Abschirmungen für die Schienen, eine günstigere, aber weniger effektive Form von Lärmschutz. Gleiches ist in Zorneding geplant, Schienenschutz statt Lärmschutzwand, auf 300 Metern zwischen dem St.-Korbinian-Weg 11 und der Freybergstraße 29. Insgesamt investiert die Bahn für den Lärmschutz in den drei Gemeinden drei Millionen Euro.

Publikum und Politiker reagierten überwiegend kritisch, auch weil die Bahn nichts gegen Erschütterungen plant. Er sei "entsetzt", sagte Peter Pernsteiner, Gemeinderat in Zorneding und FDP-Kandidat für die Bundestagswahl. Die geplanten Lärmschutzmaßnahmen seien "lächerlich". Haars Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) zeigte sich enttäuscht. "Sie haben nicht einmal die Gemeinde Haar richtig auf der Karte verortet", sagte sie, damit hatte sie zweifelsohne recht, Haar war auf der Karte der Bahn verrutscht. Der Ebersberger Bundestagsabgeordnete Ewald Schurer (SPD) brachte eine Empfehlung mit ein, Güterzüge über die Mühldorfer Bahnstrecke umzuleiten, um die stark besiedelten Regionen im Raum Ebersberg und in München vom Lärm zu verschonen.

Bahnsprecher Schmidt entgegnete dem, es handle sich hierbei um Vorkehrungen, die sich genau an die gesetzlichen Bestimmungen halten. "Wir können nicht jeden Meter Gleis mit einer Lärmschutzwand versehen", sagte er.

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SZ vom 18.03.2017/koei
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