84 Bäume gegen das Vergessen:Allee der Gefallenen

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84 Bäume wurden 1929 in Reih und Glied für 84 gefallene Ebersberger gepflanzt. Thomas Warg erzählt während der Führung Geschichten von einst. (Foto: Christian Endt)

100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs führt Kreisheimatpfleger Thomas Warg durch Ebersberg. Es geht an Orte der Erinnerung, von denen manche verfallen - während andere sprießen

Von Victor Sattler, Ebersberg

Maria Sarreiter war und ist eine wertvolle Quelle: Für Gebackenes, Geräuchertes oder Gestricktes, denn all das und mehr sandte sie während des Ersten Weltkriegs an Ebersberger Soldaten. Heute macht sie sich für Geschichtliches verdient - dank Sarreiter ist vieles überliefert, genauer gesagt Briefe, mit denen die Männer ihr von der Front antworteten. Entsprechend verbunden ist ihr der Kreisheimatpfleger Thomas Warg, der nun zum 100. Jahrestag vom Ende des Ersten Weltkriegs aus den Briefen, alten Fotos und anderen Relikten eine vielseitige historische Stadttour durch Ebersberg erstellt hat. Am Samstag führte er die erste Gruppe durch die Straßen, streifte mit ihnen durch Gärten und Alleen.

Warg, seit drei Jahren in diesem Ehrenamt tätig, kann die Kreisstadt auch mühelos für ein paar Stunden in die Bronzezeit oder ins Mittelalter zurückschicken, er kann Touren zum Energiesparen oder zum Gruseln geben. Aber diese ist besonders. Den Ersten Weltkrieg bezeichnet Warg als "den großen Fehler des 20. Jahrhunderts"; weil er, so Warg, leicht vermeidbar gewesen wäre und so viele spätere Übel nach sich zog. Auf den ersten Blick sieht das Ebersberg von damals dem heutigen zum Verwechseln ähnlich, wenn Warg ein Sepia-Foto wie eine Linse zwischen Auge und Realität schiebt. Die Mariensäule und die Fassaden um den Marktplatz sind dieselben - sie stehen alle unter einem Ensemble-Denkmalschutz. Die Geschäfte des Bürgermeisters waren damals gerade erst ins Rathaus verlegt worden, davor fand er es bei sich daheim gemütlicher.

Und die Ebersberger? Ihnen taugte es in den Biergärten der Stadt. "Den Leuten ging's einfach zu gut", schüttelt Warg den Kopf. In solch eine heile Welt hinein trugen die Kinder im Juli 1914 das Extrablatt aus, mit der Meldung, Österreich hatte Serbien den Krieg erklärt. "Hurra, das wird ein kurzer Krieg", flüstert Thomas Warg düster, was man sich damals vielleicht überschwänglich zuprostete. Oder auch: "Der Sieg ist nah." Beides Irrtümer.

In diesen Jahren gaben sich die Ebersberger ihr Wahrzeichen, den Aussichtsturm. Die "Gesellschaft zur Erheiterung", ein Herrenklub, der sich den schönen und zu verschönernden Dingen des Lebens widmete, hätte den Aussichtsturm eigentlich gerne "Siegesturm" genannt. Aus dem Sieg wurde aber nichts. Auf dem Land war die Kriegslust schneller aufgezehrt als in der Stadt, denn gleichzeitig mit den jungen Männern wurden auch die Pferde gemustert und eingezogen. Die ersten spürbaren Tribute des Kriegs. Später folgten Burschen und Pferden die reiferen Männer bis 45 nach, mit Hüten auf dem Kopf, wie der von Thomas Warg. Als letztes mussten noch die Kirchenglocken ins Feuer.

Die Tour soll nicht nur die Vernichtung von einst, sondern auch den aktuellen Verfall in Ebersberg demonstrieren. Einige Häuser der Stadt, mit mundgeblasenen Fenstern oder besonderen Mauern, stehen nicht unter Denkmalschutz, sind aber bedroht. "Ich hoffe ja, dass die Leut' lang kein Geld haben, um hieran was zu renovieren!", seufzt eine Tour-Besucherin. "Diese Häuser wurden über die Jahre nur verschlecht-bessert", sagt Warg. Klar, der Krieg, der war furchtbar, aber in den Köpfen schlummert die Idee, dass es noch davor, um 1900, einmal eine richtig "guade oide Zeit" gab - und von dieser Zeit zeugen diese besonderen Häuser.

In Ebersberg erinnert die Heldenallee an diese Zeit: 84 Bäume wurden 1929 in Reih und Glied für 84 gefallene Ebersberger gepflanzt, das gebe es in Deutschland so kein zweites Mal, sagt Warg. Der erste von ihnen ist nur sechs Tage nach seinem Aufbruch an die Front gestorben, der letzte im Lazarett in Oberelkofen. Ob in Frankreich, Flandern oder Russland, allerorts waren Ebersberger Männer verstreut und ließen ihr Leben. Rechtsanwälte, Tagelöhner, Lehrer, die jüngsten nur 17 Jahre alt und freiwillig im Krieg. Manche strotzten vor Übermut, wenn sie nach Hause schrieben: "Die Franzosen werden wir tüchtig durchhauen!", schrieb einer von ihnen, der dann im Kampf fiel.

Andere Soldaten waren weniger berauscht, sie klagten in ihren Briefen über den Schützengraben, den sie "Maulwurfsvilla" nannten. Die ersten Todesfälle wurden noch in der Zeitung vermeldet, später wurden nur noch stumm persönliche Gegenstände des Gefallenen unter seinen Kameraden aufgeteilt. Manche Soldaten waren am dankbarsten für Zucker und Tabak, andere ließen sich den Ebersberger Anzeiger von ihren Liebsten schicken. Ein gefallener Ebersberger Soldat schrieb Gedichte, neben der Linde mit seinem Namen sitzt jetzt ein junges Pärchen auf der Bank. Manche der 84 Ebersberger trafen in ihrem Regiment den jungen Adolf Hitler, der sie alle überleben sollte bis in eine Zeit, in der am Ebersberger Marktplatz große Hakenkreuze hängen sollten.

"Nicht, dass Sie heute selbst noch einen Baum auf der Allee bekommen!", ruft eine Dame spitz einem anderen Gast zu, der nur mit viel Mühe schnaufend auf den Hügel stapft. Das Grüppchen wandelt im Zickzack zwischen den Baum-Denkmälern hin und her, Thomas Warg zeichnet an jedem die Jahresringe des jeweiligen Soldaten nach. Dem goldenen Laub kann man beim Fallen zusehen, wie sie in den Furchen des Ackers landen. Die Abendsonne brennt so hell, dass die eine Hälfte der Baum-Tafeln überhaupt nur lesen kann, wer sich vertrauensvoll zu ihnen in ihren schmalen Schatten begibt.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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