"Bach & More" in Vaterstetten:Berührender als eine ganze Armee von Emojis

Bach and More, Petrikirche

Man meint, den strengen Meister Bach lächeln zu sehen beim Konzert von Irene Draxinger und Matthias Gerstner in der Baldhamer Petrikirche.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Irene Draxinger und Matthias Gerstner verleihen klassischen Werken eine Stimme für die Gegenwart

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Mit einer überaus kurzweiligen Stunde ist die Reihe "Bach & More" nun aus der Sommerpause zurückgekehrt. Ein anregendes Duett aus Oboe und Orgel, eine für melodiöses Spiel prädestinierte Kombination, fügte sich fein zusammen mit der leichten Atmosphäre eines spätsommerlichen Sonntagsausklangs, man meinte sogar, den strengen Meister Bach beim Zuhören lächeln zu sehen. Zwar fanden nur gut 40 Zuhörer ihren Weg in die Baldhamer Petrikirche, dafür durften diese dann miterleben, wie sich der schlichte Kirchenraum in einen lichten Laubengang verwandelte, durch den die Töne nur so tanzten.

Kurz etwas Grundsätzliches: Das schlanke Publikum ist ja keine Schande, das sieht man landauf, landab in klassischen Konzerten, wenn es nicht die großen Open Air-Festivals sind, wo der Hugo im Glas wichtiger ist als der "Hugo" vorne auf der Partitur. Das Fernbleiben hat viel mit Vorurteilen zu tun und, gerade bei der jüngeren Generation, mit zu oft fehlendem Verständnis dafür, dass eine Fuge mehr mit einem Hip-Hop gemeinsam hat als ein "Insta Boomerang" mit einem originellen Film. Weshalb Matthias Gerstner eigentlich mit seiner Auswahl am Sonntag ganz die Wellenlänge der Kurzeit-Aufmerksamen bedient hätte. Ohne ihm Häppchen-Dramaturgie vorzuwerfen: Das Programm des Konzerts wäre vom ersten bis zum letzten Takt "Social-Media"-tauglich gewesen.

Da hören wir eine Sonate von Carl Philipp Emanuel Bach, gegliedert in sieben Sätze, manche davon gerade mal eine Minute lang, ein Wechselspiel der Einfälle und Farben, jedes für sich taugt dafür, einem Tag im Leben eine Melodie zu geben. Da lösen sich die Klänge von Oboe und Orgel bei einer "Cantilene Pastorale" von Alexandre Guilmant in mystischer Schwerelosigkeit von allem Irdischen, geheimnisvoller als jede Vampir-Sitcom und jeder Takt berührender als eine ganze Staffel "Verbotene Liebe". Da zerfließen die Himmel beim "Abendlied" und "Abendfriede" von Joseph Gabriel Rheinberger in einer Anmut und Herzenswärme, wie sie auch eine Armee von Emojis nicht verkörpern könnte. Da befreit sich das "Ave Maria" in der Komposition von Astor Piazzolla als Schlussstück und Gegenpol zu zwei Bach-Sinfonias am Beginn so sehr von allen Fesseln, Konventionen und Erwartungshaltung, dass man an Wunder glauben mag. Wenn dies also jemand liest, der Zugang hat zu jungen Menschen, die sich vor Klassik scheuen: Seien Sie so mutig und laden sie die Kids zu einer Runde Bach & More ein. Es könnte etwas Zauberhaftes geschehen.

Denn Irene Draxinger, die ihrem Instrument an diesem Abend all diese Vielfalt und Schönheit entlockt, ist ja "eine von ihnen". Mehrfache Bundespreisträgerin beim Wettbewerb "Jugend musiziert", Mitglied im Bayerischen Landesjugendorchester: Die Oboistin hat sich ja auch mal als junger Mensch entschieden, Komponisten aus der Vergangenheit mittels ihres musikalischen Talents eine Stimme für die Gegenwart zu geben. Wer auch immer ihr den Anstoß dazu gegeben und den Weg dafür bereitet hat: Wir sollten ihm dankbar sein, denn wir verdanken dieser Person glückliche Momente voller ungetrübter, sinnlicher Freude an schönem Spiel. Es spricht auch dies für Matthias Gerstner, dass es ihm gelingt, solchen Künstlern einen Auftritt schmackhaft zu machen, bei dem man keine glänzenden Kulissen hinter sich hat, aber ein fachkundiges Publikum.

Zweimal widmet Gerstner sich seinem Instrument auch solistisch, wobei ihm Respekt dafür gebührt, mit welcher Kunstfertigkeit er mehr aus der kleinen Orgel herausholt, als auf den ersten Anschein in ihr steckt. Eine Aria des zeitgenössischen Komponisten Robert Jones wird in seinen Händen und mit dezenter Registrierung zu einer anmutigen Miniatur, musikalisch betrachtet so dicht wie der Duft eines viertel Tropfens edlen Parfüms. Mit "Tuba on Parade" von John Marsh serviert er den Zuhörern ein verblüffend modernes, 200 Jahre altes Stück, an dessen Ende die Frage geklärt ist, von wem sich die Komponisten des bekannten "Star Wars"-Themas haben inspirieren lassen.

Es war mehr als eine geistreiche Geste, dass sich Draxinger als Zugabe für ein Stück des Filmkomponisten Ennio Morricone entschied. Dem Timbre ihrer Stimme während der kurzen Einleitung war zu entnehmen, wie sie "Gabriel's Oboe" entgegenfieberte, das sie dann voller Hingabe zelebrierte, als wär's ein Stück von ihr. Im Film "The Mission" selbst nutzt Pater Gabriel, ein spanischer Missionar, seine Oboe, um die Sprachbarriere mit Indigenen in Amerika zu überwinden, sie für seine Botschaft zu gewinnen, statt sie in ein gedankliches Korsett zu zwingen. Ganz im Sinne dieses Abends in Baldham ist das die Botschaft, die über das Konzert hinausklingen sollte.

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