Süddeutsche Zeitung

Bach & more in Sankt Ottilie:Versteckte Glanzstücke

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Trompeten und Orgel leuchten europäischen Musikfundus aus

Von Ulrich Pfaffenberger, Grasbrunn

Wie sehr doch das Umfeld eines Konzerts unsere Wahrnehmung verändert. Der erste Impuls, als am Sonntag beim Bach & More-Konzert in der Ottilien-Kirche ein Stück Johann Caspar Fischers erklingt, ist der: Ja, ist den schon Weihnachten? Denn seine Suite in F-Dur für Trompeten und Orgel ist genau eine jener festlich-feierlichen Glanzmusiken, die den Christbaum und die darum Versammelten gleich doppelt hell erstrahlen lassen. Aber im Sommer? Da gewinnt die Melodie in der schmucken, von der abendlichen Sommersonne durchfluteten Landkirche eine den Federwolken gleiche Leichtigkeit, strahlen die kurzen, flotten Sätze die Fröhlichkeit von Kindern aus, die über die grüne Wiese tollen, und verbinden sich die jubelnden Läufe der Bläser mit dem Gesang der Vögel draußen in den Bäumen vor der Kirche. Kurzum: Wir hören das gleiche Werk, fühlen aber seine zweite Seele.

Unter diesem Gesichtspunkt darf man getrost die gesamte Auswahl von Werken betrachten, die Matthias Gerstner für dieses Konzert zusammengestellt hat. Erkennbar neugierig und mit scharfem Blick für Schmuckstücke ist er erneut in die Tiefen einschlägiger Literatur vorgedrungen. Dabei sind ihm Kompositionen und Komponisten begegnet, die außerhalb der herkömmlichen Sichtweite liegen. Nicht von Arcangelo Corelli ist hier die Rede, dessen prächtige C-Dur-Sonate für Trompeten und Orchester ein Paradestück für diese Besetzung ist. Sondern von den kostbaren, mitunter Miniaturen gleichen Sonatinen, Märsche und Canzones von Johann Pezel, Samuel Scheidt oder Gasparo Pietragrua sowie die lustvoll-kompakten Sonatas eines Pal Esterhazy von Galanta oder Guiseppe Tartini. Eine beeindruckende Vielfalt an Melodien und Stilmitteln haben sich diese Meister Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts einfallen lassen, zum Vergnügen des Publikums einst und jetzt. Gekonnt haben sie Einflüsse aus anderen Kulturkreisen verarbeitet und damit, nun, keine Weltmusik geschaffen, aber den Fundus europäischer Musik doch enorm verbreitert, aus dem sich die folgenden Generationen bedienen konnten. Man wünscht sich in solchen Momenten, dass die ehrwürdige Umgebung einer Kirche die Zuhörer nicht davon abhielte, jedem Stück und jeder Interpretation sofort den gebührenden Applaus zu zollen.

Die beiden Trompeter Konrad Müller und Leonhard Braun erweisen sich der Aufgabe als würdig, diesen Schatz zu polieren und zu zeigen. Blitzsauber im Ansatz, hochpräzise in der Ausführung, spielen sie souverän mit den Dynamiken jedes einzelnen Stücks. Sie beherrschen die verschiedenen Spielarten so unaufgeregt, dass selbst in den militärisch inspirierten Werken die Fröhlichkeit des Klangs an die Stelle der strengen Ordnung tritt. Selbst wenn ein Satz oder ein Opus nur zwei, drei Dutzend Takte umfasst, gelingt es ihnen, scheinbar mühelos, dessen Charakter so eindeutig zu vermitteln, dass das "Neue", das "Andere" jeder Komposition zutage tritt. Matthias Gerstner schafft ihnen mit den schlichten Mitteln der historischen Kirchenorgel den dafür nötigen Spielraum und hat sich als gedankliche Raumteiler ein paar hübsche, gleichaltrige Solo-Miniaturen ausgesucht, die den Hörsinn der aufmerksam Lauschenden wieder bereit machen für die nächsten Trompetenklänge. Die weichen Flöten der Orgel sind hier vorzüglicher Kontrast zum flirrenden Klang der Blasinstrumente.

Dass eine exzellente Akustik - und die Ottilien-Kirche ist unter diesem Aspekt ein wahres Glanzstück - zum Freund wie zum Feind von Musikern werden kann, war am Sonntag leider auch zu beobachten. So groß die Freude war über den glasklaren, ungebrochenen Klang der Trompeten und das Orgelspiel, das fein den Raum durchschwebte, so irritierend erwiesen sich Nebengeräusche, die überdimensioniert laut und deutlich zu hören waren. Was beim ersten Hinhören, mangels Sichtkontakt, wie ein übertrieben häufiges "Durchblasen" der Trompeten zwischen den Sätzen klang und die Konzentration der Zuhörer doch sehr belastete, erwies sich beim Nachfragen hinterher als Emission eines Beatmungsgeräts für einen Konzertgast, der auf der ersten Empore Platz genommen hatte. Doch die drei Instrumentalisten in der Etage darüber ließen sich davon nicht aus dem Konzept bringen, und auch das Publikum im sehr gut besuchten Gotteshaus würdigte die inspirierte, makellose Darbietung mit dem gebührenden Beifall.

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Quelle:
SZ vom 02.07.2019
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