Austritt aus der SPD:"Da brennt nichts mehr"

Austritt aus der SPD: Den roten Faden für eine Zukunft in der SPD will Rolf Baumann aus Grafing (Mitte) nicht mehr aufnehmen. Auch seine bald Ex-Parteifreunde Marianne Künzel und Alfred Daum können daran nichts ändern.

Den roten Faden für eine Zukunft in der SPD will Rolf Baumann aus Grafing (Mitte) nicht mehr aufnehmen. Auch seine bald Ex-Parteifreunde Marianne Künzel und Alfred Daum können daran nichts ändern.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Rolf Baumann aus Grafing tritt nach 47 Jahren aus der SPD aus. Daran können auch langjährige Parteifreunde nichts ändern.

Von Camille Scherer, Grafing

463 723 Wahlberechtigte, zwei Antwortmöglichkeiten, ein Ergebnis: die große Koalition. Seit März dieses Jahres gibt es in Deutschland wieder eine schwarz-rote Regierung - "keine gute Entscheidung", sagt Rolf Baumann vom SPD-Ortsverein Grafing. Er will nach 47 Jahren aus der SPD austreten, so wie seit der großen Koalition noch 18 weitere der 528 Parteimitglieder.

Allerdings sind der Partei im Landkreis Ebersberg seither auch 30 Bürger beigetreten, die Bilanz also gut. In einem Streitgespräch legt Rolf Baumann seinen langjährigen Freunden, Marianne Künzel vom SPD-Ortsverein Aßling, und Alfred Daum, Mitglied des SPD-Ortsvereins Kirchseeon, die Gründe dar.

Austritt aus der SPD: Sein Parteibuch gibt Baumann definitiv ab.

Sein Parteibuch gibt Baumann definitiv ab.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Marianne Künzel hat dem Koalitionsvertrag im Gegensatz zu Rolf Baumann zugestimmt und möchte auch weiterhin Teil der SPD bleiben. "Die moralische Verpflichtung, in die Koalition zu gehen, um die Europäische Union zu stabilisieren, war einfach so groß, dass man dafür gestimmt hat.

Trotz weinendem Auge", erklärt sie das Zustandekommen der Mehrheit für die Koalition. Seit 1977 ist Künzel Mitglied in der SPD, nicht zuletzt, weil für sie "Bildung, Aufklärung, Offenheit und Toleranz, schon immer Begriffe waren, die mit den Sozialdemokraten verbunden wurden".

Für Rolf Baumann gibt es zwei ausschlaggebende Gründe für seinen Ausstieg: zum einen, dass Deutschlands Klima-Ziele von 2020 auf das Jahr 2030 verschoben wurden. Und zum anderen die Fortsetzung der Waffenexporte, trotz Versprechen einer restriktiven Rüstungspolitik. "Wir sind der viertgrößte Waffenexporteur und scheren uns nicht darum."

Auch Alfred Daum ist seit vielen Jahren Mitglied der SPD, und obgleich er seinen langjährigen Freund Rolf Baumann verstehen kann, so bleibt er dennoch Mitglied, "weil ich bereits seit 50 Jahren Teil der Partei bin, und weil sich in diesen Jahren auch viele menschliche Beziehungen gebildet haben".

Rolf Baumann sieht bedrückt auf seinen DIN-A4 großen Zettel und das Programm der großen Koalition: "Im Vorwort steht, dass in jeder Koalitionsverhandlung und in jeder Demokratie Kompromisse dazu gehören. Aber keiner der Kompromisse wird genannt. Im Gegenteil: Es wird der Eindruck erweckt, wir hätten alles erreicht was wir wollten." Marianne Künzel ist überzeugt, dass das Absicht ist, "es wäre viel zu gefährlich gewesen, die genauen Kompromisse hineinzuschreiben".

Die umstrittenen Waffenexporte sieht Künzel im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik: Deutschland habe Millionen Flüchtlinge aufgenommen, woraufhin Parteien und Bewegungen wie die AfD und Pegida an Bedeutung gewonnen hätten.

Daraufhin sei die Regierung zurückgerudert und habe die Türkei überzeugt, Flüchtlinge dort aufzunehmen. "Und weil wir in einer Gesellschaft leben, in der du nur was von mir kriegst, wenn ich was von dir bekomme, ist das mit den Waffenexporten nicht so einfach." Für Alfred Daum stellt sich dennoch die Frage, warum die SPD sich in die Pflicht hat nehmen lasse, statt klar für eine Minderheitsregierung zu stehen.

Marianne Künzel muss hier wiedersprechen, denn "wir haben uns nicht in die Pflicht nehmen lassen, sondern die Mitglieder haben abgestimmt". Für Rolf Baumann liegt hier das Problem: Noch bevor es überhaupt zu den Koalitionsverhandlungen kommen konnte, hätten die Mitglieder ihren Widerspruch klar zum Ausdruck bringen müssen.

Ebenfalls diskussionswürdig für die drei Parteifreunde ist das fehlende Engagement der Jugend. Um die SPD bei jungen Leuten attraktiver zu machen, müsse die Partei zu ihren Wurzeln zurück.

Die SPD habe immer bei denen Zuspruch gefunden, die durch die Politik die Chance hatten, sich empor zu arbeiten. Rolf Baumann stimmt hier zu und beteuert gleichwohl, dass es für ihn kein Zurück mehr gebe, "aber ich werde durch den Austritt ja nicht unpolitisch.

Wenn ich zum Beispiel Demonstrationen sehe, wie die für das neue Polizeiaufgabengesetz, dann bekomme ich wieder Lust, mich zu engagieren. So haben wir es früher auch gemacht, da brannte uns das Herz. Aber bei dem Parteiprogramm, da brennt mir gar nichts."

Auch Marianne Künzel sieht Engagement als ihre Lebensaufgabe. "Mit 19 Jahren kam ich aus Dänemark nach Deutschland und bekam hier viele Möglichkeiten. Ich muss diesem Land etwas zurück geben." Rolf Baumann will sich keiner anderen Partei anschließen.

Darum gehe es ihm auch nicht. Nach 47 Jahren falle ihm der Abschied sehr schwer, ertragen könne er diesen Zustand mit der SPD dennoch nicht mehr. Marianne Künzel würde ihn gerne umstimmen, doch ohne Erfolg.

Ganz verstehen kann sie seinen Austritt nicht, denn für sie gebe es zwei Dinge, die sie nicht ändern kann: "Das eine ist, dass ich evangelisch bin und das zweite, dass ich Sozialdemokratin bin. Das sind meine Beine, auf denen stehe ich."

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