Ausstellung in Wasserburg:"Weil nur zählt, was neu ist"

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Marc-Dominic Boberg setzt sich mit seinen "Wollschilden" für die ungeliebte Architektur der Nachkriegszeit ein

Interview von Alexandra Leuthner, Wasserburg

Es gibt Dinge, die sind Marc-Dominic Boberg so wichtig, dass er es dafür mit dem gesamten politischen Establishment seiner Heimatstadt aufgenommen hat. Als ehemaliger Grünen-Stadtrat in Schweinfurt hat er aber auch erfahren, wie es ist, sich nicht durchsetzen zu können, etwa als er vergeblich ein Bürgerbegehren zum Erhalt des Schweinfurter Krankenhauses von 1930 initiiert hat. Vor einigen Jahren hat sich der inzwischen 50-Jährige aus der Politik zurückgezogen, doch der Wunsch, Architektur und ihre Geschichten zu bewahren, lässt ihn nicht los. Seit 2016 gestaltet er so genannte Wollschilde, die er vor alten, oft zum Abriss bestimmten Gebäuden aufstellt, um ein Zeichen gegen ihre Zerstörung zu setzen. Ein Kunde in Wasserburg brachte den Bekleidungshändler und Künstler in Kontakt mit dem AK68. In einer Ausstellung im Ganserhaus sind nun Fotos seiner bisherigen und aktuellen Projekte zu sehen.

SZ: Herr Boberg, Sie haben eine Vorliebe für Gebäude aus der Nachkriegszeit - eine Zeit, in der nicht eben viel Schönes gebaut wurde.

Boberg: Nun, ich bin nicht wählerisch, es dürfen auch mal alte Mauern aus einer anderen Zeit sein wie das Biedermeierhaus des alten "Samen-Fetzer" in Schweinfurt. Es steht unter Denkmalschutz, aber der Eigentümer pflegt es nicht. Aber tatsächlich habe ich ein Faible für die Neue Sachlichkeit und die Nachkriegsarchitektur.

Und warum das?

Weil gerade in dieser Art des Bauens, die günstig und schnell sein musste, ein Verweis auf das Warum liegt. Diese Gebäude wurden erbaut von einem Land, das Schuld auf sich geladen hatte, das seine Väter und Söhne und Brüder zum Sterben geschickt hat, von allem anderen mal abgesehen. Manche mögen darin übermächtige Schuldgefühle erkennen, andere aber auch den Ausdruck neuer Zuversicht und Selbstbewusstseins.

Also geht es Ihnen vor allem um die geschichtliche und politische Bedeutung dieser Architektur?

Mit seinen Wollschildern will Marc-Dominic Boberg auf alte Häuser wie dieses im Wasserburger Weberzipfel aufmerksam machen (Foto: Veranstalter)

Auch darum. Im Hinblick auf die AfD halte ich diese Erinnerungskultur für sehr wichtig. Dieses zweckbestimmte, reduzierte Bauen ohne Schnörkel und Luxus, das hat etwas mit Demokratie zu tun und ist Ausdruck der Notwendigkeit, sich in der Architektur den neuen Lebensverhältnissen anzupassen. Das Funktionsorientierte prägte auch den Bauhausstil und die Neue Sachlichkeit. Aber es steckt auch ein Kulturgedanke dahinter. Man hätte das Haus sanieren, vielleicht zur Dämmung mit einer Glasfassade versehen können, Beispiele, wie so etwas funktioniert, gibt es ja bei anderen Kliniken.

Wurde denn die Möglichkeit einer Erhaltung damals geprüft?

Nein, wurde sie nicht, stattdessen hat die Stadt einfach abgerissen, weil immer nur das zählt, was neu ist - oder spektakulär. Der Klinkerbau einer weitaus älteren Klinik gegenüber, der durfte stehen bleiben.

Weil er kulturell wertvoller schien?

Weil oft nur erhalten wird, was die Leute schön finden. Wenn man das Krankenhaus saniert hätte, würden die Menschen im nächsten Jahr, zum hundertjährigen Bauhausjubiläum scharenweise nach Schweinfurt kommen, um es anzuschauen. Der Stadt, in der durch den Krieg so viel zerstört worden ist, hätte das gut getan. Woher nehmen wir das Recht, das Wenige abzureißen, was noch da ist? Die Steuergelder von damals einfach einzuebnen?

Aber Sie machen weiter, haben auch außerhalb ihrer Heimatstadt Objekte gefunden, vor die Sie ihre Wollschilde stellen. Aber warum eigentlich Wolle?

Weil ich aus der Modebranche komme. Ich lebe für Stoffe, bin der totale "Textiler". Und weil Wolle uns schon seit Jahrtausenden vor dem Wetter schützt.

Sie überziehen also einen Holzrahmen mit Wollstoff...

... genauer gesagt, mit einem speziellen Loden, der aus Wolle gewebt ist. Ich hätte auch Spaß an Walk oder Tweed. Der Wollschild soll wie eine Membran funktionieren, die gegen das Wetter schützt, zugleich aber durchlässig bleibt und den Blick freigibt auf das Objekt und das, was damit verbunden ist. Nehmen Sie nochmal das alte Krankenhaus, die Geschichten, die daran hängen: Der Vater im Lazarett, die Schwester, die dort gestorben ist, die Mutter, die hier ein Kind bekam.

Marc-Dominic Boberg, Jahrgang 1968, saß für die Grünen im Stadtrat von Schweinfurt und handelt mit "fairer Bekleidung". Seit zwei Jahren gibt er seinem Engagement für den Denkmalschutz Ausdruck durch Installationen. (Foto: Privat)

Zu Ihren Objekten zählen aber auch das Schweinfurter Finanzamt, die kleinen Reihenhäuschen der Gartenstadt - einer Arbeitersiedlung -, ein altes Postamt.

Oder auch eine still gelegte Tankstelle von 1957, die habe ich in einem winzigen Ort in den Haßbergen entdeckt. Ein alter Mann erzählte mir, dass es früher drei oder vier Tankstellen dort gegeben habe, jetzt keine einzige mehr, und auch kein Wirtshaus. Das sagt schon etwas über den Wandel der Gesellschaft. Oder nehmen Sie das Waaghäusel in Wasserburg, das ich für meine Ausstellung am Wochenende mit einem Wollschild versehen habe. Kaum jemand erinnert sich noch daran, dass es früher ein Volksbad war. Das ist ein Stück Erinnerungskultur - meine Töchter wissen gar nicht mehr, warum es Volksbäder überhaupt gegeben hat.

Haben Sie in Wasserburg noch weitere Häuser gefunden, die sie mit einem Wollschild versehen wollten?

Ja, zwei. Das eine ist ein altes Häuschen, das zurückversetzt hinter einem Garten liegt, am Weberzipfel; das andere ist der kleine Radioladen Stecher, der vielleicht einmal einfach weggerissen wird, wenn der Besitzer sich zur Ruhe setzt.

Und wie muss man sich die Ausstellung vorstellen?

Zwei hochprofessionelle, wunderbare Fotografen, Tillmann Weishart und Volker Martin, haben die Wollschilde vor den Objekten fotografiert. Die Motive, die Perspektive entwickeln wir zusammen. Diese Aufnahmen werden nun gezeigt.

Haben Sie schon einmal Erfolg gehabt mit einer Installation und ein Objekt vor dem Abriss gerettet?

Was Erfolg ist, ist schwer zu sagen. Ich verfolge ja kein direktes Ziel, sondern mache Kunst. Und Kunst muss nicht erfolgreich sein. Ich mache das, weil ich diese Häuser vor dem Vergessenwerden, dem Übersehenwerden bewahren will, so wie das Haus am Weberzipfel, von dem mir jemand gesagt hat, er habe es überhaupt noch nie wahrgenommen.

Und wenn Sie einen Bauträger aufmerksam machen, der an Ort und Stelle gleich mal einen schmucken Neubau plant?

Ich kann nur erreichen, dass die Menschen sich Gedanken machen. Was sie dann denken und tun, das kann und will ich nicht bestimmen, aber es kann ja auch etwas Positives daraus werden.

Ausstellung "Wollschild" von Marc-Dominic Boberg beim AK 68 im Ganserhaus Wasserburg, Vernissage am Samstag, 27. Oktober, um 18 Uhr, zu sehen bis 25. November, geöffnet donnerstags bis sonntags, jeweils 13 bis 18 Uhr.

© SZ vom 25.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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