Süddeutsche Zeitung

Ausstellung im Studio an der Rampe:Visualisierte Träume

Lesezeit: 3 min

Der Fotograf Thomas Wunsch aus Wiesbaden arbeitet völlig abstrakt. Seine Bilder gefallen dem Chef eines Plattenlabels so gut, dass er sie immer wieder als Cover verwendet

Von Anja Blum

Etwa 800 Titel zählte das Portfolio des Jazz-Labels ECM zur Jahrtausendwende, die Hälfte davon, also rund 400 Platten, hatte Thomas Wunsch bei sich zuhause im Schrank. Eine gute Gesprächsgrundlage für ein Treffen mit ECM-Chef Manfred Eicher. "Denn da wusste er, ich mache das nicht aus kommerziellen Gründen, sondern mag diese Musik, bin mit dem Thema sehr vertraut." Thomas Wunsch ist Fotograf und hatte damals einige seiner Arbeiten an das Label geschickt, einfach weil er fand, dass sie gut geeignet wären für die Gestaltung von ECM-Covern. Mittlerweile gibt es 59, die Wunschs Handschrift tragen.

24 Bilder zeigt der Wiesbadener nun in einer Ausstellung im Studio an der Rampe über dem Ebersberger Klosterbauhof - eine wunderbare Kooperation des Kunstvereins und den Machern des Jazzfestivals. Die Hälfte der Fotografien wurde bereits in Form eines Covers veröffentlicht, die zwölf anderen sind freie Arbeiten. Es kann sein, dass sie irgendwann eine Platte von Keith Jarrett, Enrico Rava, Jan Garbarek oder Billy Hart schmücken - muss aber nicht.

Das Plattenlabel ECM Records (ECM steht für Edition of Contemporary Music) wurde vor exakt 50 Jahren in München gegründet, es ist spezialisiert auf die Produktion musikalisch, klanglich und technisch hochwertiger Tonträger im Bereich des zeitgenössischen Jazz, namhafte Größen der Szene waren und sind dort unter Vertrag. ECM hat sich aber auch einen Namen gemacht durch die herausragende künstlerische Qualität seiner Cover, für die eben oftmals der Fotograf Thomas Wunsch verantwortlich zeichnet.

Wobei diese Formulierung in die Irre leiten könnte: Der 62-Jährige arbeitet nicht explizit "für ECM", das betont er immer wieder, sondern als freier Künstler. Die grafische Anwendung seiner Bilder durch das Plattenlabel sei nur ein angenehmer Nebeneffekt, eine Art "Sidekick". Das spiegelt auch Wunschs Arbeitsweise wider. Mitnichten zieht er los mit einem Song im Ohr, um das passende Motiv zu finden, nein, er fotografiert völlig frei, nur das, was ihm ganz persönlich richtig und wichtig erscheint. Mal macht er dreitausend, mal zehntausend Aufnahmen im Jahr. "Am Ende bleiben aber immer ziemlich genau 50 gute Bilder übrig, das ist ein Phänomen", sagt er. Die kommen dann in eine Mappe für ECM, das Label hat die exklusiven Nutzungsrechte, und wenn Chef Eicher ein neues Cover braucht, sucht er in den vielen Mappen, die sich über die Jahre angesammelt haben, ein Motiv dafür. "Und das passt immer", schwärmt Wunsch, "nicht nur bei mir. Er hat ein unglaublich gutes Gespür für Synästhesie."

Ein Plattencover übersetzt Musik in Formen und Farben, und Jazz ist ein vergleichsweise abstraktes Genre - insofern eignet sich Wunschs Kunst hervorragend dafür. Bereits während des Studiums der Kunstgeschichte entdeckte er seine Liebe zur abstrakten Malerei, sein Medium aber war von Anfang an die Kamera (er arbeitete da schon als Porträt- und Modefotograf). Um die Jahrtausendwende beschloss Wunsch also, den Kommerz hinter sich zu lassen und die Grenzen der künstlerischen Fotografie auszuloten, indem er die Prinzipien der abstrakten Malerei auf sie übertrug. "Das musste doch möglich sein! Also begann ich zu experimentieren, und war von den Ergebnissen durchaus angetan", erzählt er. Schranken im Kopf gab es bei diesem Prozess offenbar nicht, vielleicht gerade deshalb, weil Wunsch fotografisch Autodidakt ist. Bereits früh habe er seine Leidenschaft dafür entdeckt, mit dem Taschengeld die erste Kamera finanziert und drei Jahre lang sämtliche Zeitschriften und Bücher zum Thema verschlungen. Die Folge war ein vierter Platz in einem internationalen Fotowettbewerb - als Teenager. "Danach habe ich nie wieder an einem teilgenommen."

Bis heute fotografiert Wunsch zunächst abstrakte Strukturen und bearbeitet die Aufnahmen dann digital "extrem" nach. "Im Grunde passiert die Bildfindung bei mir erst am Computer." Zum einen wohnt Wunschs Arbeiten eine große formale Strenge inne, andererseits kommen sie so hingehaucht daher, als seien sie ganz nebenbei entstanden. Das Ergebnis sind abstrakt-expressionistische Strukturen, meist in sämtlichen Abstufungen zwischen Weiß und Schwarz gehalten. Man sieht Linien und Flächen, meist versehen mit Brüchigkeiten wie Kratzern oder Rissen, und verfremdet durch Spiegelungen, Verwischungen oder Schatten. Durch die verschwimmenden Konturen, den fehlenden Bezugsrahmen und das Spiel der Lichteffekte wird man in einen Bereich hineingezogen, den er nicht mehr fassen kann. Wie bei Traumsequenzen bilden sich Silhouetten am gedachten Horizont, watteweiche Tiefen lassen den Betrachter versinken - und zwar im Bild, aber auch in seinen eigenen Gedanken.

Welche Motive er wo gefunden hat, verrät der Künstler nicht, denn die Rätselhaftigkeit der Abstraktion gehört zu seinem Konzept. "Die Menschen sollen selbst interpretieren, was sie da sehen, mir geht es nämlich um die Gefühle, die meine Bilder auslösen." Insofern genieße er seine Ausstellungen sehr - sei es in Bremen, Peking, Gökseong oder Seoul - jene Momente, "in denen 30 Leute ihre Tipps abgeben - aber keiner richtig liegt. Das ist phänomenal."

Fotografie und Jazz: Ausstellung von Thomas Wunsch im Studio an der Rampe über dem Ebersberger Klosterbauhof, Vernissage am Freitag, 11. Oktober, um 19.30 Uhr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4633714
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.