Aussage gegen Aussage:Beglückende Zweifel

Der Besitz von fast 200 Gramm Marihuana bringt einem 24-Jährigen eine Bewährungsstrafe ein. Drogenhandel kann ihm das Gericht nicht nachweisen

Wieland Bögel

- "In dubio pro reo - Im Zweifel für den Angeklagten" ist eines der wichtigsten Prinzipien des Rechtsstaates. Einem 24-Jährigen aus dem Landkreis Erding kam dies sehr zugute. Der junge Mann war im März vergangenen Jahres an einem S-Bahnhof im nördlichen Landkreis mit fast 170 Gramm Marihuana aufgegriffen worden. Die Staatsanwaltschaft warf ihm deshalb den Handel mit Betäubungsmitteln in großem Stil vor. Eine Anschuldigung, die sich in der Verhandlung vor dem Schöffengericht aber nicht beweisen ließ.

Den Besitz und Erwerb von nahezu 200 Gramm Marihuana - zusätzlich zu den 170 Gramm, die er bei sich trug, waren in seiner Wohnung noch weitere 30 Gramm gefunden worden - räumte der Angeklagte notgedrungen ein. Dass er damit aber schwunghaften Handel hätte treiben wollen, leugnete er standhaft. Dieser Vorwurf stützt sich auf die Aussage einer Zeugin. Deren Wohnung hatte die Polizei im August durchsucht, nachdem sie das Mobiltelefon des Angeklagten ausgewertet hatte. In der anschließenden Vernehmung erklärte die 22-Jährige, sie habe im März vom Angeklagten Marihuana erworben. Dieser sei mit einer größeren Menge bei ihr vorbeigekommen, sie habe sich ihren Anteil dann abgewogen.

Es sei aber genau umgekehrt gewesen, behauptete der Angeklagte. Das bei ihm gefundene Marihuana habe er kurz zuvor bei der Zeugin gekauft. Die habe er bei der Arbeit kennengelernt, die beiden hätten öfter nach Feierabend oder in der Mittagspause zusammen gekifft und sich auch gelegentlich mit kleineren Mengen Haschisch ausgeholfen. Daraus habe sich schließlich das größere Geschäft ergeben, wegen dem der Angeklagte nun vor Gericht stand.

Laut der Aussage eines an den Ermittlungen beteiligten Polizisten haben auch die Beamten die Zeugin zunächst für die Dealerin gehalten. Grund war eine SMS des Angeklagten an die Zeugin mit dem Inhalt "Hast Du noch was?". Nach der Vernehmung der jungen Frau seien aber Zweifel aufgekommen, dass dies die Anfrage eines möglichen Käufers sei. Vielmehr interpretierten die Beamten den Text nun als Frage, ob die Zeugin beim Angeklagten einkaufen wollte. Einen Beweis dafür hatten die Ermittler indes nicht, dies sei mehr ein Gefühl gewesen, gab der Beamte vor Gericht zu: "Wir hatten den Eindruck, dass sie die Wahrheit sagt." Dieser Einschätzung wollte selbst der Staatsanwalt nicht so ganz folgen: "Sie hatte viereinhalb Monate Zeit, sich eine Geschichte zu überlegen."

Wer nun wem Marihuana verkauft hatte, wurde auch nach der Aussage der Zeugin vor Gericht nicht klar. Der Staatsanwalt ließ darum den Vorwurf des Handeltreibens mit nicht geringen Mengen Marihuana fallen, "die Aussage des Angeklagten ist nicht zu widerlegen". Für den Besitz größerer Mengen Marihuana beantragte er eine Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung.

Richterin Susanne Strubl und die Schöffen verurteilten den 24-Jährigen zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung. "Sie sind auf einem guten Weg", bescheinigte Strubl dem Verurteilten. Er gehe einer geregelten Arbeit nach und habe glaubhaft klargemacht, dass "ein Umdenken beim Drogenkonsum" stattgefunden habe. Deshalb könne man ihm eine Chance geben, so Strubl. Diese ist aber an strenge Auflagen geknüpft. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre, in denen der junge Mann regelmäßig seine Hanf-Abstinenz nachweisen muss. Außerdem wird ihm ein Bewährungshelfer zugeteilt, der 24-Jährige muss Angebote bei der Suchtambulanz wahrnehmen und 1400 Euro an den Kinderschutzbund spenden. Verteidigung und Staatsanwaltschaft nahmen das Urteil an.

Dass nun die Zeugin in einem demnächst anstehenden Verfahren als Großdealerin verurteilt wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn auch ihre Geschichte lässt sich nicht mit Sicherheit widerlegen, so dass das Gericht wohl auch hier im Zweifel für die Angeklagte urteilen wird.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: