Aufregung um Kinderbetreuung:Verlorenes Vertrauen

In einer Markt Schwabener Krippe sollen Kinder schlecht behandelt worden sein. Das behaupten drei gekündigte Erzieherinnen. Die Beschuldigten kämpfen um ihren Ruf, obwohl die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat

Karin Kampwerth

Markt SchwabenDie Markt Schwabener Kinderkrippe Wawuschl-Land bekommt einen neuen Träger. Die Diakonie in Rosenheim beabsichtigt, die Einrichtung von September an zu übernehmen. Der Verein, der bislang für den Betrieb der Krippe mit zwei Gruppen für je zwölf Kinder zuständig ist, gibt die Leitung aber nicht freiwillig ab, sondern auf Anraten des Ebersberger Jugendamtes.

Die Behörde hatte sich eingeschaltet, nachdem Eltern im April Strafanzeige gegen Mitarbeiterinnen in der Einrichtung erstattet hatten. So soll eine Kinderpflegerin in der "Tausendfüßlergruppe" die ihr anvertrauten Kinder zwischen einem und drei Jahren immer wieder unangemessen bis grob behandelt haben. Die Leiterin der Einrichtung habe das geduldet. Die Eltern stützen sich auf Aussagen von drei Erzieherinnen, die die Vorwürfe erhoben haben, nachdem ihnen gekündigt worden sei. Eine der Erzieherinnen ist bereits seit eineinhalb Jahren nicht mehr im Wawuschl-Land beschäftigt. Zwei weitere Mitarbeiterinnen, die ebenfalls nicht mehr in der Einrichtung tätig sind, bestätigen laut Auskunft der Eltern inzwischen die Aussagen ihrer Ex-Kolleginnen.

Die beiden Beschuldigten sind tief betroffen von den Anschuldigungen, die sie als Komplott gegen sich betrachten. Auch die Staatsanwaltschaft München II konnte keine Hinweise auf ein Fehlverhalten der Kinderpflegerin und der Einrichtungsleiterin feststellen und hat das Verfahren eingestellt. "Nach unseren Erkenntnissen sind keine Taten vorgefallen, die in irgendeiner Weise strafrechtlich relevant sind", sagt eine Sprecherin. Doch das Dilemma, in dem alle Beteiligten stecken, ist damit nicht gelöst. Es dokumentiert vielmehr das fragile Verhältnis von Eltern zu Erziehern, denen sie ihr Kostbarstes, ihre Kinder, anvertrauen. Ein falsches Wort, eine leise Andeutung, eine zaghafte Vermutung, und das Vertrauen ist zerstört. Umso wichtiger ist ein handlungsfähiges Jugendamt, das mit solchen Extremsituationen wie in Markt Schwaben umgehen kann - zuallererst im Sinne des Kindeswohls, aber auch im Interesse der Erzieherinnen. Die Ebersberger Behörde, so finden alle Beteiligten, habe im Fall des Wawuschl-Landes versagt. Aber dazu später.

Wird mein Kind gut behandelt? Tröstet es jemand, wenn es traurig ist? Bekommt es zu Trinken, wenn es Durst hat? Zu Essen, wenn es Hunger hat? Ist jemand da, wenn es Nähe braucht? Fragen über Fragen, die sich Eltern stellen, wenn sie ihr Kind in eine Krippe geben. Sorgen über Sorgen, die sich Mütter und Väter machen, weil ihre Söhne und Töchter in der Regel nicht viel vom Alltag in der Einrichtung erzählen: Die Kleinen sind zwischen wenigen Monaten und maximal drei Jahren alt und können ihre Erlebnisse schlichtweg noch nicht in Worte fassen. Dafür lässt sich vieles aus ihrem Verhalten lesen.

Die Eltern, die den Schilderungen der Ex-Erzieherinnen über die angeblich schlimmen Zustände im Wawuschl-Land Glauben schenken, meinen, Verhaltensauffälligkeiten bei ihren Kindern festgestellt zu haben. Eine Mutter klagt, dass sich im Nachhinein viele als "normale Phase" abgetane Auffälligkeiten bei ihrem Kind durch die Erfahrungen in der Krippe erklären ließen. So habe es plötzlich unter Einschlafstörungen gelitten und beim Essen Angstzustände gehabt.

Ähnliche Erfahrungen haben auch die anderen Eltern gemacht. Sie begründen das mit den Schilderungen der früheren Erzieherinnen über den Alltag im Wawuschl-Land. Demnach soll Kindern in der "Tausendfüßlergruppe" Essen "reingestopft" worden sein, bis diese gewürgt hätten. Andere seien gepackt und auf den Po geworfen worden, weil sie unerlaubt aufgestanden seien. Kinder, die sich mit dem Mittagsschlaf schwer getan hätten, seien von der Kinderpflegerin festgehalten und zu Boden gepresst worden, bis diese weinend vor Erschöpfung eingeschlafen seien. Habe sich ein Kind nicht wickeln lassen, hätte es die Leiterin der Einrichtung gemeinsam mit der Kinderpflegerin mit ihrem Körpergewicht heruntergedrückt und festgehalten. Auch psychisch seien die Kinder misshandelt worden. Häufig seien sie angeschrien oder beschimpft worden. Es seien Sätze gefallen wie "deinen Willen brech' ich auch noch." Nach Bekanntwerden der Vorwürfe haben sieben Eltern ihre Kinder umgehend aus der Krippe herausgenommen und das Jugendamt informiert. Von dort sei ihnen zwar Unterstützung zugesichert worden. "Passiert ist dann aber nichts", sagt ein Vater. Deshalb seien die Eltern schließlich zur Polizei gegangen.

Juristischen Beistand haben sich sowohl der Trägerverein als auch die beiden beschuldigten Frauen geholt. Der Penzberger Rechtsanwalt Markus Fürst begleitet die Übergabe der Trägerschaft an die Diakonie. Die Münchner Fachanwältin für Strafrecht, Claudia Greinwald, die selber in ihrem ersten Beruf ausgebildete Erzieherin ist, versucht den Scherbenhaufen, der bereits durch Gerede und Gerüchte in Markt Schwaben entstanden ist, zu sortieren und eine juristische wie pädagogische Einschätzung der Vorgänge vorzunehmen. Dabei geht es um unterschiedliche Wahrnehmung, aber auch um unterschiedliche pädagogische Ansätze, die auch im Wawuschl-Land Anwendugn finden.

Beispielsweise würden in der Waldorfpädagogik dem Kind die so genannten "bösen" Hände mit heilenden Tüchern verbunden, sagt Greinwald, "in jedem Einzelfall stellt sich aber die Frage, was gut und was schlecht für ein Kind ist." Es muss dem Kind nicht schaden, wenn ich seine Hand festhalte, beispielsweise, weil es sich andernfalls verletzen würde." Ebenso werde es in der Regel dem Kindeswohl dienen, es auf dem Wickeltisch festzuhalten, damit es nicht runter fällt. Andere Kinder bräuchten beim Mittagsschlaf körperliche Nähe, um zur Ruhe zu kommen.

Vom rechtlichen Standpunkt her hält Greinwald die Vorwürfe gegen die Wawuschl-Land-Leiterin und die Kinderpflegerin für unhaltbar. "Bei allem, was man behauptet, muss man detailliert schildern, was wann wie genau passiert ist", sagt sie. Vor dem Arbeitsgericht, wo sie eine Unterlassungsklage gegen zwei der Ex-Erzieherinnen angestrengt hat, würden sich diese von einem Anwalt vertreten lassen, der wiederum nur lapidar behaupte, im Wawuschl-Land würden Kinder "schlecht behandelt werden." Greinwald betont darüber hinaus, dass sich die Ex-Erzieherinnen im Falle dessen, dass ihre Beobachtungen der Wahrheit entsprächen, ihrer Auffassung nach selbst strafbar gemacht hätten. Es wäre deren Pflicht gewesen, die ihnen anvertrauten Kinder zu schützen, sagt Greinwald.

Dem tritt Hansjakob Vüllers, Fachanwalt für Arbeitsrecht in München, der die beiden Erzieherinnen vertritt, entgegen: "Eine Mandantin hatte selbst gekündigt, die andere war zur Kündigung entschlossen, weil beide die Zustände in der Gruppe nicht mehr ertragen haben", sagt er. Auch hätten sich die Frauen nicht strafbar gemacht, weil sie arbeitsrechtlich verpflichtet gewesen wären, zunächst intern zu versuchen, die Missstände abzustellen. Als ihnen das nicht gelungen sei, hätten sie beschlossen, die Einrichtung zu verlassen.

Was davon nun stimmt oder nicht, ist eine Frage, die wohl vor Gericht geklärt werden muss. Das Jugendamt hingegen, das sich nicht um arbeitsrechtliche Konflikte kümmert, sondern um das Kindeswohl, vertraut den beschuldigten Erzieherinnen. "Wir haben uns von Beginn an intensiv mit den Vorwürfen auseinandergesetzt", sagt Leiter Christian Salberg auf Nachfrage der SZ. Die Mitarbeiter des Jugendamtes seien mit allen Beteiligten und Betroffenen in engem Kontakt gestanden, um den Vorgang aufzuklären.

Eine Notwendigkeit, die beschuldigte Kinderpflegerin vom Dienst zu freizustellen, zumindest solange, bis die Vorwürfe gegen sie entkräftet worden sind, sah die Behörde hingegen nicht. "Das Kindeswohl war zu keiner Zeit gefährdet", sagt Salberg. Er bestätigt aber, dass das Jugendamt eine Erzieherin in die Einrichtung geschickt habe. Allerdings erst, nachdem die Krippenleiterin eigenen Worten zufolge durch die Belastung der Anschuldigungen krank geschrieben worden war.

Dabei habe sie bereits bei Bekanntwerden der Anschuldigungen das Jugendamt um Unterstützung durch eine neutrale Person gebeten. Darauf sei die Behörde jedoch nicht eingegangen. Von Seiten des Wawuschl-Landes wie auch von den Eltern wird darüber hinaus kritisiert, dass die betroffenen Kinder zu keiner Zeit psychologisch untersucht worden sind, um die Vorwürfe zu entkräften oder aber zu bestätigen.

Markt Schwabens Bürgermeister Georg Hohmann (SPD), an den sich die Eltern ebenfalls gewandt hatten, wundert sich über die Vorgehensweise des Jugendamtes. Zwar mahnt er zur Vorsicht, dass man nicht jemanden aufgrund von Anschuldigungen gleich beurlauben dürfe. Er stellt jedoch die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, die beschuldigten Erzieherinnen "aus der Schusslinie"' zu nehmen und sie bis zur Klärung der Vorwürfe woanders einzusetzen. Hohmann fürchtet, dass die Behörde mit der Situation überfordert war. "Das Jugendamt ist mit etwas konfrontiert worden, ohne die Instrumente an Bord zu haben, wie man damit umgeht", sagt der Bürgermeister. Dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nun quasi aus Mangel an Beweisen für welche Seite auch immer einstelle, sei für alle Beteiligten schwierig. "Das gibt beiden Seiten Recht", bringt es Hohmann auf den Punkt. Alle seien so weit, wie vorher.

So glauben auch die Eltern, die ihre Kinder aus der Einrichtung genommen haben, weiterhin den Darstellungen der ehemaligen Erzieherinnen. Die Sprecherin der Elterngruppe hat für die Behörden kein Verständnis. "Die Verantwortung wurde von A nach B geschoben. Niemand hat uns Eltern letztlich geholfen oder sinnvoll informiert", klagt sie. Stattdessen sei es offenbar für die Ämter einfacher, an eine Verschwörungstheorie zu glauben, als daran, dass fünf gut ausgebildete Erzieherinnen mit langjähriger Berufserfahrung die identischen Übergriffe schildern, obwohl sie sich teilweise gar nicht gegenseitig gekannt hätten.

Dem gegenüber stünden Mütter und Väter, die ihre Kinder in der Krippe gelassen hätten, weil sie zufrieden mit der Betreuung dort sind, sagt Jugendamtsleiter Salberg. Diese haben nach Auskunft von Rechtsanwältin Greinwald bereits vor Monaten eine Petition bei der Behörde eingereicht, wo sie um Weiterbeschäftigung der Krippenleiterin und der Kinderpflegerin bitten. Dass das Jugendamt den Konflikt dennoch schwelen lässt, weil es der Krippenleiterin und der Kinderpflegerin einerseits das Vertrauen ausspricht, es ihnen durch den Druck auf den Verein, die Trägerschaft abzugeben, gleichzeitig wieder entzieht, kritisiert Rechtsanwalt Fürst. Das könne gravierende Folgen haben, die eine persönliche Reputation vollkommen vernichteten.

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