SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 99:Religion gegen Beatmungsmaschine

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 99: Der Katholizismus kennt kein Verbot, dass kranke Menschen nicht an medizinische Gerätschaften angeschlossen werden dürfen, um das Leben zu retten - andere Religionen hingegen schon.

Der Katholizismus kennt kein Verbot, dass kranke Menschen nicht an medizinische Gerätschaften angeschlossen werden dürfen, um das Leben zu retten - andere Religionen hingegen schon.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Immer wieder kommt es vor, dass der Glaube von Patienten in die Art und Weise hineinspielt, wie er behandelt werden kann - manchmal ist das aus medizinischer Sicht zu seinem Nachteil. Wie geht Pola Gülberg damit um?

Protokoll: Johanna Feckl, Ebersberg

Vor einiger Zeit kam eine Frau zu uns, sie war um die 70 Jahre alt. Schon bald konnte sie nicht mehr selbstständig atmen, sodass die Ärzte sie intubieren und an eine Beatmungsmaschine anschließen mussten - die Maschine atmete fortan für sie. Doch es half nichts: Der Körper unserer Patientin war so schwer krank, dass allen Beteiligten schnell klar war, dass die Intubation ihren Tod vermutlich nur hinauszögern würde. Die Frau würde sehr wahrscheinlich sterben.

Als die Angehörigen bei uns waren und die Ärzte sie über den Zustand der Frau aufklärten, stellte sich jedoch ein Problem heraus: Unsere Patientin hätte nie an das Beatmungsgerät angeschlossen werden sollen und erst recht sollte sie nicht sterben, solange sie an irgendwelchen Geräten angeschlossen war. Ihre Religion hat das verboten.

Die Freiheit, sich seinen Glauben auszusuchen und seine Religion ungestört auszuüben, ist ein hohes Gut - nicht nur im deutschen Grundgesetz, sondern auch bei uns im Krankenhaus. Ich beurteile nicht, was meine Patienten glauben und welche medizinischen Behandlungen sie deshalb vielleicht ablehnen. Da fahre ich eine klare Linie: Jeder Mensch hat ein Recht auf Selbstbestimmung über sein Leben, und dazu gehört auch, dass jeder glauben darf, was er will.

Im Falle unserer Patientin hatte niemand etwas verkehrt gemacht. Es gab keine Patientenverfügung, in der festgehalten war, dass sie bestimmte Behandlungen ablehnt. Der Kontakt zu Angehörigen war zum Zeitpunkt der Intubation noch nicht vorhanden. Dann sind wir dazu verpflichtet, alle medizinisch möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um ihr Leben zu retten.

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 99: Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Familie nun wollte einen Priester einbestellen. Die Religion, der sie angehörten, war keine Weltreligion, es gab verhältnismäßig wenig Mitglieder - der Priester, der am nächsten gelegen wohnte, hatte trotzdem eine mehrtätige Anreise vor sich. So lange sollte die Frau durchhalten.

Wenn solche Wünsche auf Grundlage der Religion geäußert werden, versuchen wir, sie auch möglich zu machen. Das gleiche würden wir machen, wenn beispielsweise ein naher Angehöriger den Patienten ein letztes Mal lebend sehen möchte, um sich zu verabschieden, er aber vom anderen Ende der Welt erst einmal anreisen muss. Nicht immer klappt es, denn das Wohl des Patienten steht natürlich im Vordergrund. Wir halten deshalb niemanden unter stärksten Schmerzen am Leben - wenn es nicht mehr geht, dann geht es nicht mehr.

Der Priester brauchte zwei, drei Tage, ehe er bei uns war. Wir hatten langsam angefangen, die Frau von der Beatmungsmaschine zu entwöhnen, sodass wir den Tubus entfernen konnten, als er eintraf. Zusammen mit der Familie betete er für unsere Patientin - und schließlich ist sie im Beisein ihrer Liebsten in Frieden gestorben.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 38-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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