Süddeutsche Zeitung

SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 14:Nicht schon wieder!

Arbeiten am Limit, Schicksale, die einen nicht mehr loslassen: Pflegerin Julia Rettenberger über die Rückkehr von Corona in die Ebersberger Kreisklinik.

Protokoll: Johanna Feckl

Es ist noch nicht lange her, als mich eine hochschwangere Freundin zu sich eingeladen hat - ein Beisammensein im engsten Kreise wenige Tage vor der Geburt ihres Kindes. Ich freute mich und sagte zu. Doch dann wurde ein Mann zu uns auf die Intensiv verlegt, den ich einige Tage versorgt habe. Seine Erkrankung war der Grund, weshalb ich meiner Freundin wieder absagte - zu hoch erschien mir das Risiko, dass ich durch den Kontakt zu meinem Patienten ein ungewolltes Präsent mitbringe: Der Mann hatte Corona, unser erster Delta-Patient.

Mittlerweile versorgen wir einen weiteren Corona-Patienten auf der Station. Es sind seit mehr als zwei Monaten die ersten. Beides Männer zwischen 50 und 60. Beide ungeimpft. Obwohl in unserem Team keinesfalls Konsens herrscht über Corona-Einschränkungen und Impfungen, haben die beiden Fälle trotzdem eine einstimmige Reaktion hervorgerufen: Bitte nicht mehr!

Vor allem die vergangene dritte Welle hat uns Pflegekräfte hart getroffen. Die Alpha-Variante dominierte bald, die Krankheitsverläufe waren heftig mitanzusehen, ständiges Arbeiten in Isolationskabinen mit aufwendiger Schutzausrüstung hat den Kontakt innerhalb unseres Teams auf ein Minimum reduziert, wir waren müde und überreizt, unser Engagement dennoch ungebrochen - und trotzdem haben wir so verdammt viele Menschen verloren. Hauptsächlich waren es solche, die mitten im Leben standen, zwischen 50 und 60, Beruf, Familie, Freunde - genau wie unsere beiden Delta-Patienten. Und auf einmal hat sie Corona gepackt und nicht wieder gehen lassen. Die Dimension all dessen, was ich in den vergangenen Monaten tagtäglich erlebt und gesehen habe, beginne ich erst jetzt zu verarbeiten.

Neben dem Vergangenen beschäftigt mich auch das Zukünftige: Die Sorge, bald wieder so viele Menschen versorgen zu müssen. Menschen, die mit Corona in den Tod rauschen, oder, wenn sie Glück haben, nur eine schwere Krankheit durchstehen müssen, mit wer weiß welchen Folgen. Es ist der Gedanke an all diese Schicksale, der mich umtreibt, aber auch die immense Arbeit, die möglicherweise erneut auf uns zurollt. Eigentlich herrscht auch in einer Klinik das Sommerloch. Heuer fällt es aus. Jetzt werden all die OPs nachgeholt, die wegen Corona im Frühjahr verschoben werden mussten - wir sind konstant kurz davor, uns bei der Rettungsleitstelle abzumelden, weil wir einfach voll sind. Wie soll das werden, wenn eine vierte Welle kommt?

Mit meiner schwangeren Freundin habe ich nach der Feier lange telefoniert. Es war richtig, dass ich sie trotz meiner Impfung und der Schutzausrüstung in der Klinik nicht besucht habe. Aber ich bin sehr sicher: Es hätte nicht sein müssen, wenn unser Patient geimpft gewesen wäre. Denn dann wäre er nie unser Patient geworden

Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 27-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte finden Sie unter sueddeutsche.de/thema/Auf_Station.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5376211
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.08.2021/koei
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.