Süddeutsche Zeitung

CSU-Kandidat im Stimmkreis Ebersberg:Der Löwe trägt Leine

Der Grafinger Thomas Huber dürfte auch bei seinem zweiten Antritt per Direktmandat in den Landtag einziehen. Wie weit geht seine politische Reise? Unterwegs mit einem CSUler, der sonst für laute Töne bekannt ist.

Von Korbinian Eisenberger, Grafing

Die Treppe hat 15 Stufen und ein Plateau nach Stufe fünf. Dort steht ein Mann mit seiner Hündin. Hinter ihm liegt das winzige Haus, das einst seinem Großvater gehörte. Vor ihm wirft die Sonne einen Schatten auf die Treppenstufen, ein Rautenmuster wie auf der Flagge vor dem Maximilianeum. Der Mann auf der Treppe muss noch zwei Drittel der Stufen nehmen. Eine kurze Pause, ein Foto, ein Leckerli. Irgendwann wird er seiner Hündin die Leine ans Halsband hängen. Dann ist die Zeit des Verharrens vorbei, und Mann und Hund nehmen die nächste Stufe.

Die Frage ist nicht, ob der Grafinger CSU-Politiker Thomas Huber wieder in den bayerischen Landtag einzieht. Es geht eher um das Wie. Dass der 46-Jährige nach 2013 auch bei seiner zweiten Landtagskandidatur per Direktmandat gewählt wird, ist so gut wie sicher. Hier im Landkreis Ebersberg, der wie weite Teile Oberbayerns nach wie vor von christsozialer Dominanz geprägt ist. Und dennoch geht es für den Direktkandidaten der Kreis-CSU um viel bei dieser Wahl. Weniger um den ewigen CSU-Selbstanspruch von absoluter Mehrheit. Davon haben sie sich in seiner Partei verabschiedet. Auch er selbst, sagt Huber. Die Frage ist eher, wo seine eigene politische Reise hingeht. Ob es weiter nach oben geht, auf den politischen Treppenstufen Bayerns. Und wenn ja, wann und wie weit?

Mittwochmittag, Thomas Huber steht der Schweiß auf der Stirn. Weniger wegen der Landtagswahlen, es sind ja auch noch fast vier Wochen hin. Eher, weil die Sonne gerade wie eine Heizglocke über Grafing hängt. Hier in Engerloh, ein Ort, wo man Huber auch mal alleine trifft - oder wie jetzt mit Hündin Lisl. Huber spricht ganz normal, fast schon sachte, gar nicht so, wie man ihn sonst kennt auf den Bühnen der Region.

"Man sitzt nie fest im Sattel", sagt er, in der Politik und auch sonst im Leben

Oben am Waldrand lässt er seine Lisl frei laufen. Unten an der Straße nimmt er sie an die Leine. Es geht um Sicherheit, ein politisches Thema seiner Partei und ein persönliches für ihn selbst. Schon damals mit drei Jahren hinten auf dem Fahrrad seiner Mama. Ein ziemlich windiger Schalensitz, ohne Gurt und Lehne. "Man sitzt nie fest im Sattel", sagt Huber. Als Politiker, und auch sonst im Leben.

Ein Satz, den Christa Stewens nicht besser hätte formulieren können, Hubers Vorgängerin im Landtag, "eine wichtige Wegbegleiterin", sagt Huber, und Ministerin, für Soziales. Sozialminister? Wäre das nicht was? Er sagt nicht nein, nur das: "Solche Dinge haben andere zu entscheiden."

Sicher wird es bei diesen Wahlen wie immer um Posten gehen: Aber auch um das große Ganze. Für die CSU darum, zu retten was zu retten ist, bei der politischen Konkurrenz von rechts, die sich bundesweit aufgetan hat. "Wenn man sich zu sicher ist, dann geht's meistens schief", sagt Huber. Das galt schon damals, als ihn seine Mutter durch den Wald zur Oma radelte. Und das gilt in diesen Tagen, in denen die AfD in bayernweiten Prognosen gleichauf mit der SPD liegt. Rechtspopulisten auf einer Höhe mit einer (ehemaligen) Volkspartei: Da drückt man doch selbst als CSU-Politiker Daumen für Sozialdemokraten. Oder?

Huber ist bereit für einen spontanen Umweg, zu dem kleinen Häuschen, wo sein Vater mit elf Geschwistern aufwuchs. Vor dem Haus hängt ein Plakat an einem Laternenpfahl, so hingedreht, dass vom Weg aus nur der Schildrücken zu erkennen ist. Huber beugt sich über das Schild: Ein Wahlplakat der Grünen-Bezirkstagskandidatin Ottilie Eberl, sie wirbt für "Gute Pflege statt Einsamkeit". Mit zwei Handgriffen dreht Huber das Plakat zurück zum Weg. Dann hebt er die Stimme: "Wenn es von der AfD wäre, hätte ich es nicht angelangt."

Was muss ein Landtagsabgeordneter verbocken, damit die CSU ihn zum Minister befördert?

Wäre Thomas Huber Bayerns Wappenlöwe, er hätte jetzt kurz gebrüllt. So wie viele Politiker in diesen Wochen, zur Verteidigung der Demokratie, sei es nur durch das Verrutschen eines Wahlplakats. Um die Dinge zurechtzurücken, statt den Rechtsruck der anderen mitzugehen. Der CSU-Parteiführung sagten Kritiker zuletzt Tendenzen nach, die in eine andere Richtung gehen. Hätte sich seine Partei und die Parteispitze nicht viel früher viel deutlicher von der AfD distanzieren sollen? "Das wäre sicher klug gewesen", sagt Huber. Er sitzt jetzt auf einem Holzbankerl, der höchste Punkt des Grafinger Ortsteils Engerloh, wo der Blick an diesem wolkenlosen Tag weit über die Stadtgrenzen hinaus geht.

Warum setzen Seehofer, Söder und Dobrindt Asylpolitik als Reiz- und Leitthema ihres Wahlkampfes? Warum provoziert die CSU hier mit populistischem Vokabular? Wo Huber als Kreis- und Stadtrat mitbekommen hat, wie viel in der Flüchtlingsarbeit geleistet und bewältigt wurde. Von Kommunen, Kreis und Ehrenamtlichen. So könnte man es sehen. Warum also eine Partei wählen, die Wörter wie "Asyltourismus" (Söder) verwendet? Oder von der Migration als "Mutter aller Probleme" (Seehofer) spricht? Huber sagt: "Da gefällt mir die ein oder andere Begrifflichkeit auch nicht." Und ja, sagt er, die Asyldebatte rücke andere Themen in den Hintergrund: "Leider."

Sein halbes Leben ist Huber nun Politiker mit Stimmgewicht. Seit er als 23-Jähriger in den Grafinger Stadtrat gewählt wurde, ging es für ihn bergauf. Er saß für Grafing im Ebersberger Kreistag, für den Landkreis im Bezirkstag. Nun steht er vor seiner zweiten Amtszeit in München. Was kommt da noch? Huber zuckt mit den Schultern, ein verschmitztes Lächeln. Wie einer der ein gutes Blatt in der Hand hält.

Huber, der Gschaftelhuber

In Hubers Büro im Maximilianeum würde sich gar eine Schafkopfrunde ausgehen. Huber teilt es sich mit drei anderen Abgeordneten. Sein Stuhl dort ist jedoch leer, sobald irgendwo in der Region ein Event ansteht. Wahrscheinlich gibt es zwischen Markt Schwaben und Aßling kein einziges Rednerpult, an dem Thomas Huber noch nicht referiert hat. Und keinen Fotografen, dem er noch nicht vor die Linse gehüpft ist.

Huber, der Gschaftelhuber. Dieser Ruf eilt ihm voraus. "Wobei ich den Begriff gar nicht schlecht finde", sagt er. Für ihn stehe es auch dafür, dass einer anpackt. Sagt er, die Hände geformt, wie einer, der an einem Pfahl rüttelt. Aber wie sehr hilft die Rüttelei, wenn man einer von 180 Abgeordneten ist? So wie Doris Rauscher von der SPD, seine, wie er sagt, "Mitbewerberin". Und nicht wie einst Christa Stewens ein Ministeramt hat?

Anders gefragt, mit Blick auf Berlin: Was muss ein Landtagsabgeordneter verbocken, damit ihn die CSU-Führung zum Staatsminister befördert? Huber lacht. "In Bayern läuft das anders als in Berlin", sagt er, glaubt es wahrscheinlich auch, oder hofft es wenigstens. Er trocknet sich die Stirn und legt Lisl die Leine an. Dann steigt er im Rautenschatten die Treppe hinauf.

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SZ vom 21.09.2018/koei
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