Süddeutsche Zeitung

Auch im Landkreis :Unterrichten im Krisenmodus

Um den Lehrermangel abzufedern, können andere Pädagogen auf die Grund- und Mittelschule umsatteln - es winkt die sichere Verbeamtung. Ein angemessenes Konzept dafür gibt es aber nicht

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

- Dass manchmal das Leben andere Wege wählt als man selbst, die Erfahrung musste auch Caroline L. machen. Sie ist Anfang 30 und möchte ihren wirklichen Namen nicht in der Zeitung lesen. Lehramts-Studium für die Realschule, Referendariat, dann Verbeamtung, am liebsten in der Nähe ihrer Familie in Passau, das war der Plan. Stattdessen verfehlte L. den entsprechenden Schnitt und musste sich erst einmal mit Aushilfsjobs herumschlagen - vornehmlich als Vertretung für schwangere oder kranke Kolleginnen und Kollegen.

Zum einen bedeutete das Stress, so L.: "Spätestens zum Halbjahr muss man Bewerbungen schreiben, jedes Jahr wieder." Die Zuteilung an die Schulen jedoch erfolgt größtenteils sehr kurzfristig, und so kann es sein, dass erst wenige Wochen vor Schulbeginn eine Zu- oder Absage per Post eintrudelt. Außerdem verdienen Lehrer, die nur angestellt sind, deutlich weniger als ihre verbeamteten Kollegen. Hinzu kommt der ständige Wechsel im sozialen Umfeld, so L.: "Jedes Jahr musste ich mich neu einarbeiten und mich neu darauf einstellen: Wie sind die Kollegen? Was sind das für Schüler?"

Nachdem Caroline L. drei Jahre lang zwischen den Schulen gependelt war, erfuhr sie von einer weiteren Möglichkeit: der Zweitqualifikation an Grund- und Mittelschulen. Weil es in ganz Deutschland an Grund-, Mittel- und Förderschulen eklatant an Lehrkräften fehlt, können Lehrer anderer Schularten eine zweijährige Ausbildung für diese Schulform absolvieren. Dafür winkt eine schnelle Verbeamtung und eine sichere Stelle. Für L. klang das Angebot verlockend, und so ließ sie sich von 2016 an umschulen. Ihr Einsatzort: eine Mittelschule im nördlichen Landkreis Ebersberg.

Wie Caroline L. entscheiden sich immer mehr Lehrer für den Wechsel an die Grund- und Mittelschule. Im Landkreis Ebersberg waren es im vergangenen Jahr sieben Bewerber, die das Programm begonnen haben, so das Schulamt Ebersberg. Das Problem: Was als Notmaßnahme gestartet war, scheint sich zu einem beliebten Instrument gegen den Lehrermangel zu etablieren - die Rahmenbedingungen wurden jedoch nicht angepasst, so Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV): "Momentan läuft diese Maßnahme nur im Krisenmodus. Sie wird nebenbei abgehandelt."

Da bis voraussichtlich 2025 aber keine Deckung des Lehrermangels erreicht werden könne, müsse hier längerfristig gedacht werden, so der BLLV. "Es kann nicht sein, dass der Schulleiter, die Betreuer, die Seminarleiter diese Maßnahme so nebenbei schultern müssen", findet Fleischmann, "das beeinträchtigt auf Dauer die Bildungsqualität und schadet langfristig den Schülern." Daher müsse dafür gesorgt werden, dass entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen würden. Dazu zählten beispielsweise regelmäßige Kurse und Coachings durch Seminarleiter oder eine beratende Begleitung durch erfahrene Lehrkräfte an der Schule, die auch extra entlohnt würde.

Dass die Zweitqualifikation von Pädagogen derzeit noch auf wackligen Füßen steht, zeigt sich etwa auch daran, dass es oft zu Abbrüchen kommt. Angela Sauter vom Schulamt Ebersberg erklärt: "Es kommt immer wieder vor, dass der ein oder andere Lehrer Probleme hat, Zugang zu Kindern aus Klassenstufen zu finden, mit denen er bisher nicht gearbeitet hat." So seien Grundschüler heutzutage eingestellt auf einen emotionalen Einbezug aller Sinne und Bewegung in den Unterricht. "In anderen Lehrämtern ist dies jedoch meist nicht so üblich", so Sauter.

Falsche Prognose

Der Lehrermangel an den Grund-, Mittel- und Förderschulen in Bayern liegt an einer falschen Prognose der Schülerzahlen: Mit einem derart hohen Zuwachs an Schülern hat niemand gerechnet. Noch dazu kommen immer mehr Kinder mit Migrationshintergrund an die Schulen. Die Prognose als Steuerinstrument hat allerdings noch nie funktioniert. Der Bedarf an Lehrern nämlich unterliegt einem "Schweinezyklus": Mal werden zu viele Studierende, mal zu wenige zu Lehrern ausgebildet. Viele Real- und Gymnasiallehrer, die keine Stelle bekommen haben, lassen sich daher jetzt zweitqualifizieren zu Grund- oder Mittelschullehrern. Nach der zweijährigen Ausbildung wartet eine sichere Stelle und die Verbeamtung. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hat kürzlich eine Petition auf den Weg gebracht, um die Rahmenbedingungen für diese Umschulung zu verbessern. Die Petition wurde im Bildungsausschuss von der CSU abgelehnt. Der BLLV fordert trotzdem: "Längerfristig muss dringend darüber nachgedacht werden, wie man den Lehrern, die eine Zweitqualifikation durchlaufen, optimale Rahmenbedingungen schafft." fla

Auch für Caroline L. erwies sich die Umschulung von der Real- zur Mittelschullehrkraft als Sprung ins kalte Wasser. "Das war schon eine große Umstellung für mich", sagt L., "leistungsmäßig und auch von der Schülerklientel war ich einfach anderes gewohnt." Auch ihre Zweitqualifikation verlief eher improvisiert denn in geordneten Bahnen. Begleitende Seminare oder wenigstens eine Einführungsveranstaltung, die sie auf die Schüler und die neue Unterrichtsform vorbereitet? "Das gab es gar nicht", sagt L. Stattdessen hätten Kollegen ihr zwischen den Unterrichtsstunden viel weitergeholfen und erklärt. "Ich hätte mir aber schon eine Art Grundeinführung zur Vermittlung gewisser Methoden gewünscht", so L.

Trotzdem ist Caroline L. am Ball geblieben und wurde nun von der Schulleitung gefragt, ob sie nicht an der Mittelschule im nördlichen Landkreis Ebersberg bleiben wolle. Ein Angebot, das die junge Lehrerin gerne annimmt, auch wenn sie lieber in ihren Heimatbezirk, nach Passau, zurückkehren würde. "Ich habe die Umschulung nie bereut", sagt sie, "wenn man seinen Job gern macht, dann kann man sich auch umstellen."

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Quelle:
SZ vom 10.09.2018
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