Attentat in Grafing-Bahnhof:Die Tat erschüttert Stadt und Landkreis

Das Messer-Attentat eines offenbar psychisch kranken 27-Jährigen aus Hessen erschüttert die Stadt und den Landkreis. Dabei stirbt ein Mann aus Wasserburg, drei Grafinger werden schwer verletzt.

Von Anja Blum, Grafing

Man Stabs Four, One Dead, Near Munich

Zeugnis des Wahnsinns, der sich am Dienstag in Grafing-Bahnhof abgespielt hat: das Rad des überfallenen Zeitungsausträgers.

(Foto: Getty Images)

Grafing-Bahnhof ist am Dienstag nicht wiederzuerkennen. Weder am Morgen, noch mittags, als der Tatort sich in einen Schauplatz medialen Rummels verwandelt hat. Dutzende Reporter, mit Kameras und Blöcken bewaffnet, wollen wissen, was hier geschehen ist. Ebersbergs Landrat Robert Niedergesäß (CSU) und Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) ringen in Interviews um Antworten. Ein 27-jähriger Deutscher ohne Migrationshintergrund ist um kurz vor fünf Uhr früh offenbar wahllos mit einem Messer auf Menschen losgegangen. Ein 56-jähriger Mann aus Wasserburg kam bei der Attacke ums Leben, drei weitere Männer, 43, 55 und 58 Jahre, aus Grafing wurden schwer verletzt.

Es ist, wie immer, äußerst verstörend, wenn der Wahnsinn einbricht in eine gewohnte heile Welt. Die Pendler fahren entlang grüner Wiesen, in Gedanken wahrscheinlich schon am Schreibtisch. Dann flattern plötzlich Absperrbänder im Wind, Polizisten versperren den Weg: Fast die komplette Haltestelle in Grafing-Bahnhof ist Tatort, nur noch über einen schmalen Zugang kommen die Menschen an diesem Vormittag zu den Zügen.

Nur noch ein schmaler Zugang zu den Zügen ist nicht gesperrt

Die S-Bahn, vor der der Täter einen Mann aus Wasserburg erstochen hat, steht immer noch auf Gleis eins. Wer zu den anderen Bahnsteigen will, muss direkt vorbei an einem Ort des Grauens: Überall klebt Blut. An der Bahn, auf dem Boden, man erkennt eine große Lache und viele Spritzer. Daneben rote Fußspuren: Der Täter ist barfuß durch das Blut und dann weiter gelaufen, quer über den Vorplatz führt die Spur. An mehreren Stellen liegen zerknüllte, blutige Einmalhandschuhe von den Helfern.

Den Pendlern, die vormittags in Grafing-Bahnhof auf die Weiterfahrt warten, ist das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Niemand spricht, lacht oder schaut auf sein Handy, alle wirken geschockt. Was ist passiert? Wie kann das sein?

Mit einem Feuerlöscher wollte der Lokführer den Mann abwehren

"Ich stech' euch alle ab", soll der Täter geschrien haben, erzählt einer, der noch mit Augenzeugen gesprochen hat. Und die islamistische Parole ausgerufen. Der Lokführer habe versucht, den Angreifer mit dem Feuerlöscher abzuwehren. Nun stehe er unter Schock. "Ich selbst habe nur noch gesehen, wie sie einen völlig blutüberströmten Mann aus der Bahn getragen haben", erzählt der Passant.

An police investigator looks at bloodstained footprints leading out of a train and on a platform  following a knife attack in Grafing train station, south east of Munich, Germany

Viel zu tun hat die Spurensicherung: Von der S-Bahn bis zum Vorplatz reicht die Blutspur, die der Täter hinter sich hergezogen hat.

(Foto: Reuters)

Gegenüber des Bahnhofs, vor einer griechischen Taverne, liegen zwei Räder auf dem Boden. Das eine gehört einem Zeitungsausträger aus Grafing, seine papierne Fracht ist über den Boden verteilt. Auch er wurde von dem 27-Jährigen niedergestochen und schwer verletzt.

Lob für die Polizisten, die sehr besonnen reagiert haben

Inmitten der Absperrbänder steht eine Menschentraube: Lagebesprechung der Einsatzkräfte, alles was Rang und Namen hat bei der Polizei in Bayern, ist nach Grafing gekommen. Die Helden des Tages sind zwei junge Polizeimeister aus Ebersberg, auf die Inspektionsleiter Hendrik Polte sehr stolz ist. Die beiden hätten trotz der Gewissheit, dass der Täter bewaffnet ist, besonnen reagiert und den Mann festnehmen können.

Später dann treffen die Menschen in weißen Ganzkörperanzügen ein, die man aus dem Fernsehen kennt: Spuren gibt es schließlich reichlich zu sichern. Mit Kreide werden alle Blutflecken und Fußspuren markiert und durchnummeriert - auch in Echt, nicht nur im Film. Wie, um diesen entsetzlichen Bildern optisch etwas entgegenzusetzen, legen Bürgermeisterin Obermayr und Landrat Niedergesäß zwei große Blumensträuße ab, genau auf den blutbesudelten Stufen, die vom Vorplatz hinauf zum Bahnsteig führen. Sowohl die Bürgermeisterin als auch der Landrat zeigen sich entsetzt und schockiert über die Messerattacke in Grafing-Bahnhof. Beide hatten sich sogleich auf den Weg zum Tatort gemacht, als sie von den Geschehnissen gehört hatten.

Attentat in Grafing-Bahnhof: Bürgermeisterin Angelika Obermayr steht Reportern Rede und Antwort.

Bürgermeisterin Angelika Obermayr steht Reportern Rede und Antwort.

(Foto: Christian Endt)

Landrat und Bürgermeisterin setzen dem Schock Mitgefühl entgegen

"Wie ein Blitz aus heiterem Himmel" habe dieses Ereignis den Landkreis getroffen, sagt Niedergesäß, und Obermayr erklärt den überregionalen Medien: "Wir sind hier vielleicht schwerere Verkehrsunfälle gewöhnt - aber nicht so etwas!" Gott sei Dank habe die Polizei den Täter sehr schnell festnehmen können. "Nicht auszumalen, was sonst womöglich noch passiert wäre."

Auf die Frage, ob man nun die Sicherheitsvorkehrungen verschärfen werde, muss die Bürgermeisterin passen. "Grafing Bahnhof ist sicher ein wunder Punkt, weil hier jeden Tag sehr viele Pendler vorbeikommen, aber ich bin kein Sicherheitsexperte. Solche Fragen muss die Polizei klären." Keinen Handlungsbedarf sieht der Landrat: "Gegen so etwas kann man sich nicht schützen. Dass dieser Mensch, der nicht aus dem Landkreis stammt, genau hier zugeschlagen hat, ist reiner Zufall." Grafing sei eine schöne, kleine Stadt mit einem guten Miteinander - auch mit den Flüchtlingen, betont die Bürgermeisterin. "Hier ist es idyllisch, man kennt sich." Umso größer, so Obermayr, sei freilich der Schock, "weil wir uns hier immer in Sicherheit wähnen". Insofern ziehe eine solche Tat in einem Landkreis wie dem Ebersberger große Verunsicherung und Erschütterung nach sich, sagt auch Niedergesäß.

Dem setzen Landrat und Bürgermeisterin Mitgefühl entgegen: Es gelte allen Opfern und Angehörigen, aber auch allen Menschen, "die mit dem schrecklichen Geschehen konfrontiert worden sind und nun mit diesen Bildern fertig werden müssen", so Niedergesäß.

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