Atelier-Diagonale im Landkreis:Rausch aller Sinne

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Hubert Maier, Maja Ott, Franz Wörle, Andreas Schroll und Elisabeth Mehrl gelingt es, in ihrer Kunst Gegensätzliches zu vereinen. Das "1. Moosacher Geräuschorchester" steuert außerdem eine Welturaufführung bei

Von Rita Baedeker, Moosach

100 plus 500, das macht nach Adam Riese 600. Weiß jedes Kind. Aber was kommt heraus, wenn man 100 Jahre "Dada" und 500 Jahre Reinheitsgebot addiert? - beides Jubiläen, die dieses Jahr im Kalender stehen und die nur auf den ersten Blick absolut nichts miteinander zu tun haben. Macht summa summarum "600 Jahre Rausch!"

Nicht um dem Alkohol, sondern um dem gleichsam entrückten Lebensgefühl zu huldigen, das Anhänger der Kunstrichtung des Dadaismus und jene des Biers verbindet, hat der Bühnenbildner Andreas H. Schroll, der dieses Mal sowohl mit festen, als auch mit flüssigen Kunstwerken vertreten ist, Rotes Bier, Märzen, Helles und dunkles Weizen gebraut und in Flaschen abgefüllt. Das Etikett, ein Porträt Schrolls, hat der Karikaturist Dieter Hanitzsch, ein Freund Schrolls und selber ein studierter Brauer, gestaltet. Sogar einen Bierdeckel eigens zur Atelier-Diagonale wird es geben.

Mehr als einen Hektoliter hat Schroll für das Fest im blühenden Ateliergarten von Hubert Maier und Maja Ott am Samstag Abend in Moosach produziert. Der erste Probetrunk hat überzeugt. "Schmeckt super", freut sich Bildhauer Hubert Maier, und sein Kollege Franz Wörle schmiedet schon Pläne für ein Bräustüberl in Maiers hoher Werkhalle. "Platz genug wär hier ja."

Noch ist dieser Platz aber den Schwergewichten aus schwedischem, norwegischem und afrikanischem Granit vorbehalten. Wobei es Hubert Maier gelingt, das schwere Gestein in etwas ganz und gar Leichtes und Flüchtiges zu verwandeln. Glatte Bruchstücke, die er "Scherben" nennt, und die ihrer Form nach einer Rauchfahne, wie sie aus den Schornsteinen von Schiffen aufsteigt, ähneln, setzt er auf ein steinernes Schiff. Die Idee, Schweres in etwas Leichtes und Kleines in etwas Großes zu verwandeln, wird in der mehrere Meter hohen schmalen Stele mit Nadelöhr und einem Stück "Faden" sichtbar. Die gigantische Nähnadel hat Maier, wie er erzählt, seiner kleinen Schwester gewidmet, die eine gefragte Schneiderin sei. Daneben, auf einem sechs Tonnen schweren Steinblock aus Afrika, der per Frachter - "kostet wenig, denn die Containerschiffe brauchen Ballast" - importiert wurde, liegen Objekte aus schneeweißem Granit. "Schneesterne, die vom Himmel gefallen sind", sagt Maier und verweist auf die geometrische Kristallstruktur des Steins.

Andreas Schroll, der mit Leidenschaft Bier braut, von Beruf aber Bühnenbildner ist, kennt alle Techniken und Tricks des "Fakens", wie er sagt. Da bestehe eine robuste Wand lediglich aus Styropor. "Nur jener Ziegelstein, der etwas aushalten muss, der ist echt." Nun hat Schroll den umgekehrten Weg gewählt und Pappmaché in Metall verwandelt. Er hat den Inhalt von New Yorker Müllbehältern fotografiert, wie sie dort an jeder Kreuzung stehen, und beschlossen, den Wegwerf-Objekten eine Chance auf ein Stück Ewigkeit zu geben. Gegenstände wie eine Big-Mac-Schachtel und einen Coffee-to-go-Becher mit Deckel hat er in Bronze gegossen.

Das Leichte und das Schwere gehen auch im Nebenraum des Ateliers eine glückliche Verbindung ein. Hier hat Franz Wörle einige seiner Eisenobjekte aufgebaut, eine Stele mit drehbarem Innenteil, ein Tor, das von einer scharfkantigen Barriere verschlossen ist, und andere Objekte, die Patina angesetzt haben oder bereits von Flechten besiedelt wurden. Um die Arbeiten herum zeigt Gastkünstlerin Elisabeth Mehrl aus Emmering, Vorsitzende des Kunstvereins Rosenheim, ihre Schmuck-Bilder, Ringe und Perlenketten, die groß und schimmernd wie transparente und doch massereiche Blasen im weiten Raum zu schweben scheinen. Der Glanz dieser Bilder ist ein Resultat mehrerer Malschichten.

Maja Ott fesselt den Blick des Betrachters auch dieses Jahr wieder mit Hinterglas-Malerei in leuchtenden Farben, die in Halle und Atelier ihre magische Wirkung entfalten. Als Format bevorzugt sie dieses Mal runde Scheiben. "Ich denke dabei an ein Okular", sagt sie, als Symbol von Wissenschaft und Forschung und als Mittel, auch das Kleinste groß und sichtbar zu machen. Ott kreiert in ihren kleinteiligen Bildern einen Mikrokosmos aus fantastischen Organismen und geheimnisvollen Schriftzeichen, aus abstrakten und realistischen Elementen, aus Illustrationen, wie man sie auf historischen Landkarten entdecken kann, als die Menschen die Erde noch für eine Scheibe mit unbekannten Erdteilen hielten, an deren Rand gefährliche Fabeltiere hausten.

Auch die Dada-Künstler, die vor 100 Jahren ein Labor für höheren Unfug in Zürich gründeten, müssen für Normalsterbliche wie Fabeltiere gewirkt haben. Sie wollten der konventionellen Kunst den Garaus machen, Bürger erschrecken, Spaß, Kritik und Provokation lagen eng beieinander.

Den Moosacher Künstlern geht es ums Vergnügen. Sie nennen das Programm "theatral-musikalische Amuse-Gueules für Auge, Ohr, Herz und Hirn". Dazu gehört - bitte einen Tusch! - eine Welturaufführung. Es spielt das "1. Moosacher Geräuschorchester". Dabei kommen von den Künstlern selbst gebastelte Instrumente wie Blumentopf, Wäscheklammer und selbst gedrechselte Querflöte zum Einsatz. Sängerin und Schauspielerin Cornelia Melián aus dem benachbarten Meta Theater, nunmehr zur "Generalmusikdirektorin" befördert, hat das muntere Ensemble einstudiert. Mit dem Ebersberger Geräuschemacher Max Bauer wird sie eine "Sprachklangsonate" aufführen, Stefan Heide eine Kostümperformance. Und der Rausch? Der stellt sich von selber ein. Man zähle einfach 100 und 500 zusammen.

An der Atelier-Diagonale am Samstag und Sonntag, 11. und 12. Juni, nehmen teil: Die Ateliers in Moosach, Grafinger Straße 14, in Herrmannsdorf, Herrmannsdorf 12, in Pullenhofen, Pullenhofen 12, sowie in Zorneding, Moosacher Weg 1, am Hügel hinter der Halle. Geöffnet ist Samstag von 15 bis 20 Uhr, Sonntag 11 bis 20 Uhr.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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