Asylpolitik in Bayern:"Untergrabung der Freiheit und der Würde"

Asylpolitik in Bayern: Payday: Nach derzeitigem Stand holen sich Asylbewerber im Landkreis Ebersberg ihre Leistungen einmal im Monat bar vom Landratsamt ab.

Payday: Nach derzeitigem Stand holen sich Asylbewerber im Landkreis Ebersberg ihre Leistungen einmal im Monat bar vom Landratsamt ab.

(Foto: Christian Endt)

Ministerpräsident Söder plant, Bargeld für Geflüchtete durch "Sachleistungen" zu ersetzen. Was Helfer und Betroffene im Landkreis Ebersberg davon halten.

Von Korbinian Eisenberger

Arschkarte, anders kann man es nicht sagen. Findet zumindest Ibraim Hassam. "Ich kann mir schwer vorstellen, dass so eine Geldkarte meine Situation verbessert", sagt Hassam, der eigentlich anders heißt. Er kommt aus Afghanistan, wohnt jetzt in Poing und geht in den Deutschkurs, sein Asylverfahren läuft noch. Bisher bekam er im Ebersberger Landratsamt einmal im Monat eine Barzahlung, knapp 400 Euro, die ihm nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zustehen. Eine gute Lösung, findet Hassam. Damit könnte es aber bald vorbei sein.

Grund ist das Vorhaben von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), das bisherige Prozedere der Barauszahlung durch Sachleistungen zu ersetzen. Konkret heißt das wohl, dass Geflüchtete zwar noch selbst einkaufen können, aber nicht mehr mit Bargeld, sondern mit einer Geldkarte vom Freistaat. Neben der Ankündigung, Flüchtlinge schneller abschieben zu wollen, ist dies Söders zweiter großer Punkt in der Asylpolitik. Ein Punkt, der Ibraim Hassam und viele andere Geflüchtete in der Region betreffen könnte. Derzeit sind im Landkreis Ebersberg 473 Asylbewerber untergebracht, die sich in einem laufenden Verfahren befinden. Wie viele es von ihnen betrifft, sei noch unklar, teilt das Landratsamt am Dienstag mit.

Der Knackpunkt ist, dass Sachleistungen in der Flüchtlingspolitik umstritten sind. Kritiker monieren, dass man Geflüchtete damit für unmündig erkläre. Hört man sich bei den Helferkreisen im Landkreis Ebersberg um, sind die Reaktionen ähnlich. Ingrid Sendrowski, die Pressebeauftragte des Zornedinger Helferkreises, sieht Söders Ansatz als "Untergrabung der Freiheit und der Würde der Geflüchteten". Tobias Vorburg, Vorsitzender vom Markt Schwabener Helfer-Verein, schwant Böses. "Jetzt bekommen sie Karten, wo man nur noch in bestimmten Geschäften einkaufen kann", sagt er.

Eine Vertreterin vom Kirchseeoner Helferkreis erklärt, dass es ganz andere Probleme gebe, wo die Helfer und die Geflüchteten Unterstützung bräuchten. Beim Familiennachzug, bei der Lehrstellenvermittlung, Wohnungssuche, Führerschein, Studium-Bewerbung. "Wir bemühen uns darum, dass die Menschen selbständiger werden", sagt Elisabeth Stanglmeier vom Anzinger Helferkreis. "Das wird durch so ein Vorgehen zunichte gemacht."

Vor 25 Jahren gab es schon einmal Sachleistungen für Asylbewerber

Kommt es überhaupt dazu? Ministerpräsident Söder hat die Sachleistungen in seiner Regierungserklärung Mitte April angekündigt. Gesetz ist es damit zwar noch nicht. Da die CSU im Landtag jedoch mit 101 der insgesamt 180 Abgeordneten die absolute Mehrheit hat, ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass Söders Vorschlag durchgeht.

Wie der Umgang mit "Sachleistungen" in der Praxis aussehen kann, hat Elisabeth Stanglmeier aus Anzing schon vor 25 Jahren miterlebt. Die 75-Jährige engagierte sich bereits Mitte der 1990er für Asylbewerber. "Damals waren sehr viele Jugoslawen hier", sagt sie. Unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) wurde 1993 per Grundgesetzänderung für einige Jahre verfügt, dass Leistungen an Asylbewerber "unbar" auszuzahlen seien. Die staatlichen Leistungen bestanden fortan aus Essenspaketen und Gutscheinen. "Mit vielen Lebensmitteln konnten die Menschen damals nichts anfangen", sagt Stanglmeier. Heute sei das ähnlich, die Unterschiede bei den Esskulturen beobachte sie nach wie vor, sagt Stanglmeier, damals Lehrerin, mittlerweile pensioniert.

Sollte Söders Plan aufgehen, werden die Sachleistungen wahrscheinlich etwas anders aussehen als damals. Nicht in Form von Essen oder Gutscheinen, sondern mit einer staatlichen Geldkarte. Was das heißt, sieht man im Ebersberger Nachbarlandkreis Erding. Dort gibt es seit Längerem den sogenannten "Kommunalpass" für Asylbewerber. "Die Leute haben auf einen Schlag kein Bargeld mehr gehabt", erzählt Maria Feckl aus Forstern, sie engagiert sich im dortigen Helferkreis. Weil es mit dem Kommunalpass anfangs nicht möglich war, Geld von der Bank abzuheben oder eine Handyrechnung zu bezahlen. "Die Karte wird fast nur von den großen Supermärkten akzeptiert", sagt die 53-Jährige. Bei der Tafel, beim Metzger, in der Apotheke oder im Secondhand-Laden funktioniere sie nicht.

Die Frage ist, wer was davon hätte. Die Verwaltungen eher nicht, sie müssten sich umstellen. Vielleicht die Supermarkt-Ketten? Dazu äußerte Söder sich in seiner Regierungserklärung und auch danach nicht näher. In Erding gab es zuletzt massive Proteste von Helfern und Flüchtlingen, sodass Landrat Martin Bayerstorfer von der CSU nachgab und sein System lockerte. Ibraim Hassam sagt, er finde, dass es im Landkreis Ebersberg gut ist, wie es ist. In Kirchseeon hat jetzt ein syrischer Kaufladen aufgemacht, der wäre für ihn interessant, sagt er. "Ich glaube aber nicht, dass das die Leute im Landtag interessiert."

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