Aßling:Waschen, Packen und Verabschieden in 90 Minuten

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Die Bundesregierung hat ihren Kurs verschärft. Mahmoud K. ist einer der ersten, der dies zu spüren bekommt (Symbolbild). (Foto: dpa)

Um sieben Uhr morgens standen die Beamten vor seinem Bett im Landkreis Ebersberg: Mahmoud K.s Fall zeigt, wie Rückführungen ablaufen. Dass Syrer abgeschoben wurden, war bisher eine Seltenheit.

Von Korbinian Eisenberger, Aßling

Um sieben Uhr früh klopfte es an der Tür, Mahmoud K. lag in seinem Bett in der Aßlinger Sammelunterkunft, als zwei Polizisten und zwei Mitarbeiter des Landratsamts ins Zimmer kamen. Ihre Botschaft: Aufstehen, anziehen, packen, so erzählte es K. noch dem Aßlinger Asylhelferkreis. Es war der 17. Januar 2017, der Tag, an dem der 31-jährige Syrer aus Oberbayern abgeschoben wurde.

Es ist noch nicht lange her, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) einen härteren Abschiebekurs angekündigt hat. Für Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats in München, spricht viel dafür, dass Mahmoud K. aus Aßling nun zu den ersten Betroffenen zählt.

Dass Syrer abgeschoben wurden, war bisher eine Seltenheit, wie eine Statistik des Ebersberger Landratsamtes zeigt. Demnach wurde in den Jahren 2015 und 2016 insgesamt lediglich ein Syrer aus dem Landkreis abgeschoben. "Mittlerweile sind Bund und Land fest entschlossen, die Abschiebepolitik zu forcieren", sagt Dünnwald.

Erst am Montag hob wieder ein Flugzeug ab und brachte 18 Flüchtlinge aus Bayern zurück nach Afghanistan. Fünf Tage zuvor saß auch K. in so einer Maschine, nur dass sie nicht in seiner Heimatstadt Aleppo landete, sondern im kroatischen Zagreb. In Kroatien war K. nach seiner Flucht erstmals im EU-Gebiet registriert worden. Als ihn die Beamten in Aßling weckten, begann für ihn nun die Reise in ein Land, das er Ende Oktober 2015 eher zufällig auf der Durchreise betreten hatte.

90 Minuten, um 15 Monate in einen Müllsack und eine Sporttasche zu stopfen

Gisela Schindler bekam K.s Anruf um kurz vor halb acht, "zehn Minuten später war ich in der Unterkunft", sagt sie. Die Aßlingerin betreute Mahmoud K. ein halbes Jahr lang, sie und ihr Mann hätten die Abschiebung gerne verhindert. Nachdem der Bescheid kam, schalteten sie einen Anwalt ein - doch es war schnell klar, dass es rechtlich nichts an dem Bescheid zu rütteln gibt.

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Geschuldet ist das einem Zufall: "Hätten ihn die Kroaten einige Tage früher erfasst, dürfte er wahrscheinlich bleiben", sagt Flüchtlingsrat-Sprecher Dünnwald. Die Bundesregierung hatte das Dublin-Verfahren für Flüchtlinge aus Syrien längere Zeit ausgesetzt, mit dem 21. Oktober 2015 trat es aber wieder in Kraft. Syrer, die danach registriert wurden, können seither wieder in jenes EU-Land abgeschoben werden, das sie auf ihrer Flucht als erstes betreten haben. So wie jetzt bei K.

Schindler, 73, Rentnerin, spricht ruhig und unaufgeregt. Sie hat mehrfach von Abschiebe-Praktiken gehört und gelesen. "Es ist aber etwas anderes, wenn man es selbst miterlebt", sagt sie. Die vier Beamten seien nicht unhöflich gewesen, sagt sie, dafür sehr bestimmt. "Mahmoud wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass er sich beeilen soll", sagt Schindler. Zwischen Aufwecken und Abfahrt Richtung Flughafen habe K. eineinhalb Stunden Zeit gehabt. 90 Minuten zum Anziehen, Waschen, Packen und Verabschieden. 90 Minuten, um die vergangenen 15 Monate in einen Müllsack und eine Sporttasche zu stopfen.

Ungewöhnlich? Oder gängige Praxis? Angekündigt werden die Termine generell nie. Sonst müsse man damit rechnen, "dass ein Großteil der Abzuschiebenden nicht in der Asylunterkunft angetroffen" werde, teilt eine Sprecherin des Ebersberger Landratsamts mit. Dass man jemanden früh morgens aus dem Bett hole, ist ebenfalls üblich. "Wenn die Flüge morgens stattfinden, bleibt nichts anderes übrig, als die Betroffenen entsprechend früh abzuholen", heißt es. Organisiert und terminiert werden die Flüge von der Polizei. Das Gewicht des Gepäcks dürfe "die bei Flügen üblichen 20 Kilogramm nicht überschreiten". Es würde aber "genügend Zeit zum Waschen, Anziehen und Packen" bleiben, erklärt das Landratsamt.

So oder so ähnlich waren 2016 (bis Ende November) die Bedingungen für 23 750 Personen, die aus Deutschland abgeschoben wurden, also mehr als im gesamten Jahr 2015 (20 888, davon 3597 nach dem Dublin-Verfahren) und mehr als doppelt so viele wie 2014 (10 884).

Die Zahlen teilte kürzlich die Bundesregierung mit, 2016 wurden demnach die meisten Personen aus Nordrhein-Westfalen abgeschoben (4662), gefolgt von Baden-Württemberg (3399) und Bayern (3084). 2015 verzeichnete Bayern mit 4195 noch die zweithöchste Zahl an Abschiebungen. Im Landkreis Ebersberg wurden in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 34 Personen abgeschoben, alle so wie Mahmoud K., gemäß dem Dublin-Verfahren. 23 davon vermerkte das Landratsamt im Jahr 2016.

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In Aßling und Umgebung beschäftigt der Fall K. mittlerweile die Kommunalpolitik. Nach einem Treffen der Grünen in Emmering, Aßling und Frauenneuharting schickte der Emmeringer Gemeinderat Max Maier Anfang der Woche eine Pressemitteilung heraus, in der er das Schicksal K.s skizziert. Maier spricht von einem "schon gut deutsch sprechenden Mann", der in einigen Tagen eine Arbeitsstelle antreten hätte können. Gisela Schindler hat die Verträge gesehen, sie habe beim Ausfüllen geholfen. "Mahmoud hatte gerade erst eine Arbeitserlaubnis bekommen", sagt sie. Demnach hätte er Ende Januar fest bei einem Steinmetz in der Region angefangen.

Geschichten wie diese sind mit der Grund, warum Stephan Dünnwald bei Demonstrationen wie vor zehn Tagen in Poing auf die Straße geht und Bundesinnenminister de Maizière Botschaften zuruft. Abschiebungen in umkämpfte Gebiete wie Afghanistan sieht er ähnlich kritisch wie Rückführungen wie die von K. Mit Kroatien habe K. es verglichen mit anderen EU-Staaten zwar noch gut erwischt. "In Ungarn, Bulgarien oder Italien sind die Bedingungen für Flüchtlinge deutlich schlechter", sagt Dünnwald. Dennoch findet er den Schritt höchst fragwürdig: "Manche Flüchtlinge sind bereits gut integriert und werden aus all dem herausgerissen."

Die Schindlers veranstalten am Freitag (18 Uhr) ein Begegnungsfest im Aßlinger Pfarrzentrum. Mahmoud K. hätte dort mit einem Musikstück auftreten sollen, doch K. lebt jetzt in einem Sechsbettzimmer in Zagreb, das hat Gisela Schindler telefonisch in Erfahrung gebracht. Für Mahmoud K. beginnt der nächste Neuanfang in der Hauptstadt Kroatiens. In Aßling treten am Freitag die Emmeringer Trachtler auf.

© SZ vom 26.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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