Aßling:"Mama Rosi" lädt ein

Frauen, die aus Syrien, Nigeria und Afghanistan geflüchtet sind, treffen sich jeden Montag in der Nähwerkstatt der Aßlinger KFD. Dort finden sie eine Aufgabe - und erleben Erfolg

Von Carolin Fries, Aßling

Es herrscht eine geschäftige Ruhe im Aßlinger Mehrzweckraum 2, auf dessen Tür seit Januar der Zusatzhinweis "Nähwerkstatt" klebt. Und doch ist es nicht still. Fünf Nähmaschinen, die auf Tischen entlang der Wand stehen, rattern mal lauter, mal leiser. Die Frauen, die davor sitzen, arbeiten mal hoch konzentriert, mal wie nebenbei. Manche unterhalten sich, andere schweigen, manche werfen regelmäßig einen Blick auf ihre kleinen Kinder, die irgendwo im Zimmer spielen. Garne und Stoffe liegen auf einer großen Tafel aus zusammengeschobenen alten Schulbänken in der Mitte des Raumes aus, in der hinteren Ecke des Raumes röchelt die Kaffeemaschine. Jeden Montag um neun Uhr werden die Frauen aus Afrika, Syrien und Afghanistan an ihren Unterkünften abgeholt, wenn sie weiter entfernt liegen oder die Busverbindung schlecht ist, wie etwa bei den nigerianischen Frauen aus Emmering. Bis mittags können sie in der Nähwerkstatt an den Maschinen arbeiten - oder auch nur zuschauen, sich unterhalten, dabei sein.

"Mama Rosi, look at my bag", sagt Emmmanuele und wirft sich einen Stoffbeutel über die Schulter, der soeben fertig geworden ist. Obwohl es an diesem Apriltag draußen schneit, trägt sie ein ärmelloses Top. Sie posiert mit der Tasche, stopft Stoffreste hinein, damit die Tasche eine Form bekommt. Rosi Vogt lobt das Kunstwerk: "Die ist sehr schön geworden." Emmanuele kommt regelmäßig mit ihrer sechs Monate alten Tochter Favour in die Nähwerkstatt. Warum? "Fun", sagt die junge Mutter. Rosi Vogt lächelt. Sie hat die Nähwerkstatt zusammen mit Petra Holezcek und Luise Braun initiert. Im Dezember vergangenen Jahres hatten sie sich erstmals getroffen und beratschlagt, wie man den Flüchtlingen - überwiegend Frauen - in der Verwaltungsgemeinschaft helfen könne. Als man erfuhr, dass das Trachteninformationszentrum des Bezirks alte Nähmaschinen günstig abzugeben hatte, war die Idee der Nähwerkstatt geboren. Einen Träger fanden die Damen in der Katholischen Frauengemeinschaft (KFD) in Aßling.

Die Vorsitzende Theresia Eben war sofort begeistert. "Es gab damals noch kein Hilfsprojekt für Flüchtlinge in der Pfarrei", erzählt Eben. Die Anfrage habe der Himmel geschickt. Die KFD beantragte Zuschussgelder vom Erzbischöflichen Ordinariat, um die Grundausstattung bereitstellen zu können, Bürgermeister Hans Fent (parteifrei) unterstützte das Projekt, indem er den ehemaligen Büchereiraum in der Ortsmitte kostenfrei zur Verfügung stellte. "Im Januar sind wir dann nach Emmering gefahren und haben die Frauen gefragt, ob sie nähen wollen", erzählt Rosi Vogt. Sie hätten ja gesagt - und einfach losgelegt.

Seither sitzen jede Woche bis zu zehn Frauen an den Nähmaschinen. Sie nähen Kleider für sich und ihre Kinder, Kissen, Taschen und Vorhänge. Rosi Vogt und ihr großes Team stehen stets beratend zur Seite. Sie alle können "für den Hausgebrauch nähen", wie Vogt sagt, und mit Schnittmustern und bei den einfachen Arbeiten helfen. Für anspruchsvollere Hilfestellungen gibt es zwei Schneiderinnen im Team, die sich abwechseln. Jantine Wollboldt kommt regelmäßig aus der Nähe von Wasserburg zur Nähwerkstatt, "weil es mir Spaß macht". Sie sagt, die Fertigkeiten der Frauen seien ganz unterschiedlich. "Das ist hier ja kein Nähkurs. Es soll einfach Freude machen."

Es muss nichts gelernt werden, nichts geschafft werden. Ist eine Naht mal schief, trennt man sie eben wieder auf. Es sei noch immer "was Gescheites rausgekommen", sagt Jantine Wollboldt. Das beweisen die Fotos, die neben dem Regal mit Knopf- und Garnschachteln an der Wand hängen: Die Frauen präsentieren darauf ihre selbstgenähten Kleider oder Umhänge, manche sind für die Bilder auf einen Stuhl gestiegen. Andere lachen unter dicken Wollmützen hervor. Im Winter habe man viel zusammen gestrickt und gehäkelt, "haufenweise Mützen", wie Ursula Reiter erzählt. "Am Anfang wusste man gar nicht, wer wer ist. Das war seltsam." Dann bekamen die Gesichter Namen, es entstand eine Beziehung." Längst kennt man zumindest die familiären Verhältnisse, von manchen Frauen weiß man auch mehr. "Generell aber wollen wir hier nicht über die Vergangenheit sprechen", sagt Rosi Vogt, "sondern etwas Neues mit den Händen schaffen". Die 65-Jährige ist überzeugt, dass das der Psyche gut tut.

Die zehn Helferinnen im Team wechseln sich ab, nur Rosi Vogt und Ursula Reiter sind immer da. Sie unterhalten sich mal in englischer Sprache mit den Frauen, mal mit Händen und Füßen. Sie sind keine Lehrerinnen, sondern begegnen den Frauen auf Augenhöhe. Heimlich bewundern sie sich für ihren Mut: Aus einem knallbunten Stoff mit riesigen Blumenapplikationen etwa hätte sich eine der Frauen ein Kleid genäht, eine andere habe zu einem gelben Stoff gegriffen. "Das trauen wir und ja gar nicht", sagt Vogt. Und auch die Gelassenheit bestaunen sie, den unkomplizierten Umgang mit den Kindern. Die Flüchtlingsfrauen profitieren ganz klar von dem Angebot. Sie finden je nach Bedürfnis Zerstreuung oder eine Aufgabe. Doch auch die Helferinnen nehmen etwas mit, und wenn es nur das Lachen der Kinder ist oder ein liebevolles "Mama Rosi".

Mina Afshar lebt mit ihrem Mann und drei Kindern seit zwei Jahren in Aßling. Wenn die Söhne montags im Kindergarten und in der Schule sind, geht sie mit der acht Monate alten Elisa in die Nähwerkstatt. "Ein bisschen reden, ein bisschen nähen, hier sind alle zusammen", sagt sie. Momentan nähen die Frauen vor allem Taschen in sämtlichen Größen und Formen. Sie sollen auf einem Basar nach der Maiandacht am 29. Mai verkauft werden. Der Erlös soll der Nähwerkstatt zugute kommen. "Wir bekommen zwar immer wieder viele Stoff- und Wollspenden", sagt Theresia Eben. Zuletzt etwa edelste Stoffe von der Firma Escada. Und doch müsse man immer mal wieder ein teures Garn nachkaufen oder in die Nähmaschinen investieren. Theresia Eben freut sich auf den Basar, die Frauen nähen fleißig eine Tasche nach der anderen. Jedes einzelne Stück ist ein Erfolgserlebnis.

Basar zugunsten der Nähwerkstatt der Aßlinger KFD, Sonntag, 29. Mai, nach der Maiandacht (Beginn um 19.30 Uhr) vor der Kirche in Aßling.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: