Süddeutsche Zeitung

Aßling:Das Leben danach

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Margit Hildebrandt hat ein Kind verloren. Jetzt hilft sie anderen trauernden Eltern

Von Katharina Behmer

"Am Anfang war ich ganz ruhig und habe nur zugehört", sagt Margit Hildebrandt mit sanfter Stimme. Mehr als zehn Jahre ist das her. Erst später hat sie damit begonnen, über den Tod ihres Kindes zu sprechen. Sie lächelt ein kleines unaufgeregtes Lächeln und legt den Kopf leicht schief, als sie sich daran erinnert. Ihre Tochter starb, als sie bereits erwachsen war. Margit und ihr Ehemann sind seitdem verwaiste Eltern. So nennen sich die Mitglieder des gleichnamigen Münchner Selbsthilfevereins für Menschen, die ein Kind verloren haben. Anders als für Witwen oder Waisen gibt es keinen Ausdruck für diese Hinterbliebenen.

Nach ihrem Verlust suchte Margit Hildebrandt nach Möglichkeiten, mit ihrer Trauer umgehen zu können. Dabei stieß sie auf die Grafinger Ortsgruppe der "Verwaisten Eltern". Über den Verein absolvierte sie eine Trauerausbildung und lernte dabei den Umgang mit anderen Trauernden, aber vor allem auch, wie sie ihre eigenen Gefühle ausdrücken kann. Seit 2013 leitet Hildebrandt die Gesprächsgruppe für andere Mütter und Väter, die ihr Schicksal teilen. "Anfangs denkt man, das ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Und das ist es ja auch. Die ersten zwei bis drei Jahre war es besonders schlimm. Aber mir hat es geholfen, mit anderen Betroffenen darüber zu sprechen", sagt sie. Bei den monatlichen Treffen gibt es kein bestimmtes Thema, es wird über die Trauer, über Erinnerungen an ihre Tochter oder auch einfach mal über etwas ganz anderes gesprochen. "Ich frage anfangs immer, ob jemand in den letzten vier Wochen etwas Wichtiges erlebt hat - eine Erinnerung oder einen Jahrestag", sagt Hildebrandt. Daraus ergebe es sich dann, wie der Abend verläuft. "Es geht hauptsächlich um das Erzählen. Jeder hat seine Geschichte - sein Schicksal." Diese sind so unterschiedlich wie die Trauer. Dem einen hilft es, Hildebrandts Erfahrung nach, zu lesen, Musik zu hören oder das Grab des Kindes zu besuchen. "Manch einer braucht auch eine Therapie - jemanden, der ihn an die Hand nimmt. Mir war die Gruppe eine Stütze und ein Ort, wo ich einfach mal die Tränen laufen lassen konnte."

Wie ihr, geht es auch anderen Betroffenen, die die Gruppe regelmäßig besuchen. Ihr Mann gehört nicht dazu. Er hat einen anderen Weg der Trauer gefunden. Margit Hildebrandt ist da verständnisvoll und lächelt ihn mild an, als er sich neben sie an den Esstisch setzt. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Elternteile Trauer meist unterschiedlich verarbeiten.

Auch für Außenstehende ist es nicht einfach, mit so einem Verlust umzugehen. Die Hildebrandts haben da verschiedene Erfahrungen gemacht: Manchen aus ihrem Umfeld war das Thema so unangenehm, dass sie dem Ehepaar regelrecht aus dem Weg gingen. Andere kamen ganz offen auf die beiden zu. Margit Hildebrandt zuckt leicht mit den Schultern "so ist es halt im Leben", sagt sie "es gibt eben nicht nur Schwarz und Weiß". Heute, Jahre nach dem Tod ihrer Tochter, spricht sie kaum noch jemand darauf an. Die Trauer müsse schließlich irgendwann abgeschlossen sein. Gesagt hat das so direkt noch niemand zu ihr. Doch die Frage "Trauert ihr jetzt immer noch?" schwingt häufig im Ton mit. Dieses Gefühl wird Margit nicht los. Während ihre Umwelt vergisst, lebt die Trauer in ihr weiter. "Meine Tochter ist ja auch immer noch tot", sagt sie.

Immer wieder flammen die Gefühle auf, sind so nah wie am ersten Tag. Manchmal, wenn Margit Hildebrandt in der Gesprächsgruppe etwas ganz Neues einfällt. Eine Erinnerung, die sie noch nicht erzählt hat. "Irgendwie erstaunlich nach all den Jahren", sagt sie nachdenklich und hält einen Moment inne. Oder wenn Frischbetroffene in die Gruppe kommen. Das sei immer wieder ergreifend - und versetzt sie zurück zu jenem Augenblick in dem ihr Leben einen Teil verlor.

Es gibt Momente - "und das geht jeder Mutter so, egal wie lange es her ist" - da stellt sie sich vor, wie alt ihre Tochter jetzt wäre. Hildebrandt blickt hinüber zu einem Foto von ihrer Tochter, das auf dem Kaminsims steht und sagt: "Der Verlust unseres Kindes wird uns immer begleiten. Man bekommt nur ein anderes Verhältnis zum Tod."

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Quelle:
SZ vom 31.10.2015
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