Die Sonne scheint einladend durch die weit geöffnete Eingangstür auf die gemusterten Bodenfliesen des verlassenen Empfangsgebäudes am Aßlinger Bahnhof. Flusen tanzen im Licht um einen ausgedienten Kickertisch. Genau wie das Schild „Jugend & Internet-Café“ draußen an der Hauswand, erinnert er daran, dass sich hier einst Teenager trafen, um Freunde zu treffen, im Netz zu surfen oder eben eine Runde zu kickern. Doch seit etwa sieben Jahren ist hier nichts mehr los.
Ein Güterzug rauscht durch den Bahnhof. Aus dem Treppenhaus nähern sich knarzende Schritte und lauter werdende Stimmen. Eine davon gehört Klaas Prößdorf, dem neuen Aßlinger Jugendpfleger. Der 55-Jährige hat Anfang 2025 seine Stelle im Rathaus angetreten und steckt darüber hinaus bereits mit reichlich privatem Engagement in den Planungen eines neuen Projekts: des Aßlinger „Kultur-Bahnhofs“, der in diesem Gebäude entstehen soll.

„Danke fürs Kommen, wir hören dann voneinander“, verabschiedet Prößdorf eine Frau im pinken Wollmantel, die er gerade durch das Gebäude geführt hat. „Tschuldigung, das war eine Dozentin von der Fachhochschule, deren Studenten uns vielleicht Entwürfe für den barrierefreien Umbau liefern können“, erklärt er. Klingt spannend – worum geht es genau? Prößdorf stemmt die Hände in die Seiten, schaut an die hohe Decke, blinzelt in die Sonne, und verkündet seine Vision: „Also, hier im Aßlinger Bahnhof, in diesem wunderschönen, gründerzeitlichen Gebäude wollen wir für die Bürger der ganzen Verwaltungsgemeinschaft ein soziokulturelles Bildungs- und Begegnungszentrum schaffen.“ Einen Ort, an dem man zum Beispiel etwas über Umwelt und Politik lernen könne und es ein großes kreativ-pädagogisches Angebot geben solle.
Doch allzu sehr festlegen will Prößdorf das Programm gar nicht, denn: „Im Idealfall soll es von den Bürgern selbst getragen, ausgefüllt und genutzt werden. Sozusagen ein Angebot von vielen für viele. Und das intergenerativ, also für alle Generationen.“ Ein Ort für alle Bevölkerungsgruppen, alle Kulturen, alle Geschlechter, alle Hautfarben, alle Ethnien und alle Altersstufen.

Die Idee zu dem „Kultur-Bahnhof“ sei ihm auf dem Weg zur Arbeit gekommen: „Ich bin jeden Morgen an diesem Gebäude vorbeigefahren und habe mir oft vorgestellt, wie schön es wäre, diesem tollen alten Bauwerk neues Leben einzuhauchen. Und da ich zuletzt in Kunstschulen unter anderem mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet habe, habe ich mir gedacht: In Aßling fehlt so etwas.“ Kurzerhand reichte Prößdorf seine Idee als grobe Skizze bei der Gemeinde ein. Man kam ins Gespräch – und zufällig war gerade eine Stelle in der Jugendpflege frei. Ein glücklicher Zufall und eine Chance, die Prößdorf ergriff.
Der studierte Pädagoge zeigt in einen Raum mit einfacher Küchenzeile, Eckbank, Modell „Eiche rustikal“, und einem antiken Öl-Ofen. „Hier zum Beispiel gibt es die Idee, ein Kultur-Bistro einzurichten, idealerweise als Berufsorientierungsmaßnahme, bei der Jugendliche Gastro- und betriebswirtschaftliche Erfahrungen sammeln können.“ Und die Nutzer des Kultur-Bahnhofs wären dann kulinarisch versorgt, während sie an Workshops, Vorträgen, Lesungen oder Musikveranstaltungen teilnähmen.
Einen „Guru-Leiter“ soll es nicht geben
Prößdorf räumt einen Besen aus dem Weg und kommt zu einem Raum, der nahezu eingenommen wird von einem riesigen Billardtisch mit einer Gitarre darauf und einer Handvoll alter Spindschränke. Hier drin könne er sich gut die handwerkliche Kreativwerkstatt für Kinder und Jugendliche vorstellen, sagt er. Und der Gartenteil auf der gegenüberliegenden Straßenseite biete sich für größere Projekte wie Skulpturen-Bauen oder Fahrräder-Reparieren an.
Dass Prößdorf neben seiner 20-jährigen Erfahrung in der Kinder- und Jugendarbeit gelernter Schreiner ist, selbst immer als freischaffender Künstler tätig war und in Rosenheim bei der Umsetzung eines Aktivspielplatzes half, kann dabei nur von Vorteil sein. Trotzdem will er keinesfalls, dass er oder jemand anderes „der große Guru-Leiter“ wird, der alle Fäden in der Hand hält. Vielmehr sei das Ziel, das Projekt basisdemokratisch auf vielen Schultern zu verteilen: Jeder solle die Möglichkeit haben, sich mit seinen Fähigkeiten einzubringen.
Sonst würde es für den gebürtigen Münchner, der seit acht Jahren in Tuntenhausen wohnt und Vater ist, wohl auch alles etwas zu viel. Schließlich gibt es neben dem ehrenamtlichen Projekt Kultur-Bahnhof ja auch noch die Jugendpflegestelle mit 20 Stunden pro Woche, in denen sich Prößdorf mit Rat und Tat den Kindern, Jugendlichen und Familien in Aßling widmet. Überdies ist er in einem Nebenjob im Fundraising in München tätig.

Im ersten Obergeschoss ziehen eine Graffiti-Wand, ein weiterer Kicker und ein Billardtisch, über dem eine Disco-Kugel hängt, die Blicke auf sich. Im Raum daneben stehen einige einsame Bürostühle aus der Internet-Café-Zeit, Fotocollagen und Plakate an der Wand erzählen Geschichten von den Festen, die hier einst gefeiert wurden.
Doch Prößdorf sieht in diesen Räumen anderes Potenzial: Das obere Stockwerk soll diversen Gruppen zur Verfügung stehen. Hier könnten Jugendliche Projekte umsetzen, sich Arbeitskreise der Gemeinde treffen, ein Büro und ein Co-Working-Space eingerichtet werden. „Der Kultur-Bahnhof wird kein klassischer Jugendtreff zum Chillen, Abhängen oder Partymachen sein“, resümiert der Jugendpfleger auf dem Weg zurück nach unten. Trotzdem wünsche er sich, dass sich hier ein Ort etabliere, zu dem es die Menschen hinziehe, an dem man sich begegnen und gemeinsam Sachen umzusetzen könne. „Ein Ort, wo Jugendliche gerne hinkommen, obwohl dort vielleicht auch die eigene Großmutter beim Kaffee-Trinken sitzt. Wo kleinere Kinder von größeren profitieren“.
Der Initiator ist zuversichtlich, das Projekt mit Zuschüssen und Spenden finanzieren zu können
Doch wie soll das ganze Projekt überhaupt finanziert werden? Eine Sanierung des renovierungsbedürftigen Gebäudes samt barrierefreiem Ausbau und neuer Heizanlage ist schließlich kein Pappenstiel – und es ist kein Geheimnis, dass die VG Aßling sparen muss. Doch mindestens genauso kreativ wie das Angebot des Kultur-Bahnhofs in Spe kommt der Finanzierungsplan des 55-jährigen Initiators daher: „Ende Februar haben 16 Gründungsmitglieder einen Verein ins Leben gerufen. Denn als gemeinnütziger Körperschaft kann man Fördergelder beantragen. Man muss nur wissen, wie.“ Heißt konkret: Freilich sei damit zu rechnen, dass die Gemeinde das Projekt bezuschusst, doch der Großteil des Geldes müsse über Förderanträge und ein breit aufgestelltes Spendenprogramm eingesammelt werden. „Wenn die Idee überzeugend ist, professionell umgesetzt wird und eine entsprechende Reichweite hat, dann bin ich zuversichtlich, dass auch Fördergelder fließen“, sagt Prößdorf, während er die Eingangstür abschließt.
Aktuell befinde man sich in der Planungs- und Projektierungsphase, diverse Entscheidungen und das finale Go vom Gemeinderat stünden noch aus. Trotzdem schaut Prößdorf optimistisch in die Zukunft: „Mein großes Ziel wäre es, den Kultur-Bahnhof im Sommer 2026 zu eröffnen.“ Es wartet also jede Menge Arbeit auf das Team um den 55-Jährigen. Aber auch ansonsten hat Prößdorf einiges zu tun, denn viele in der Gemeinde kennen den neuen Jugendpfleger noch gar nicht. „Ich möchte mich in der nächsten Zeit vor allem bei den Aßlinger Familien vorstellen und dann mit Angeboten starten.“ Und wer weiß, vielleicht findet das ein oder andere schon bald im neuen Kultur-Bahnhof statt.