Süddeutsche Zeitung

Konzert in Ebersberg:Dimensionen in dreizehn Achteln

Asja Valcic und Klaus Paier präsentieren mit Cello und Akkordeon ein fulminantes Crossover in der Praxis für Kultur

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Als würden zwei eine musikalische Reise tun, so ist es, wenn sie zusammen kommen, sie mit ihrem Cello und er mit dem Akkordeon. Dabei braucht es für die Musiker Asja Valcic und Klaus Paier, deren Lob die Feuilletons seit nunmehr zehn Jahren singen, schon im Vorfeld jedes Konzerts eine Reise, um sie überhaupt zusammenzubringen. Sie leben zwar beide in Österreich, aber 350 Kilometer voneinander entfernt - was die erste gemeinsame Komposition schwierig, aber, wie zu erleben, keinesfalls unmöglich gemacht hat.

"Moment of Lightness" heißt sie und schmückt die neueste und vierte CD des seit 2009 zusammen spielenden Duos mit einer zurückgenommenen jazzigen Bassline, die Valcic für ihr Cello entworfen und dann an ihren Partner geschickt hat. "Ein paar Tage später kam sie zurück mit einer Melodie darüber", erzählt die Cellistin im Ebersberger Konzert, bevor die etwa 40 Zuhörer in der bis auf den letzten Platz besetzten Praxis für Kultur sich in den rhythmisch-leichtfüßigen Figuren verlieren dürfen, die der Akkordeonist aus dem Diskant seines Instruments hervorzaubert.

Mit sieben Jahren bekam der 1966 in Österreich geborene Paier seinen ersten Musikunterricht. Ganz schnell zog es ihn selbst zum Komponieren, mit zwölf Jahren trat er erstmals öffentlich auf. Im Ausloten der Möglichkeiten, die das Akkordeon ihm bot, gelangte er über den Jazz zur freien Improvisation, studierte dann aber klassisches Akkordeon am Kärntner Landeskonservatorium in Klagenfurt. Er gründete verschiedene Formationen, reiste mit ihnen durch die Welt und lernte über das Wiener Radio String Quartet Asja Valcic kennen, die, selbst von der Klassik herkommend, sich bereits mit diesem Streicherensemble der exakten Einordnung in ein musikalisches Genre entzog.

Ganz ähnlich steht es nun auch mit Valcic und Paiers gemeinsamem Musikschaffen. Das Grundgerüst mag der Jazz sein, wie die in Kroatien geborene Cellistin erzählt, doch schon im Auftaktstück des Abends beweisen die beiden Musiker mit "Vocalmente", einer Hommage an den Tango, dass sie den mühelosen Übergang von einer Musikrichtung in die andere nicht nur schaffen, sondern ihn nachgerade zum Markenzeichen erhoben haben. Wo Valcic, die mit 18 Jahren die Musikakademie in Zagreb abgeschlossen, am Tschaikowsky-Konservatorium Moskau studiert und als Solisitin etwa unter Zubin Mehta gespielt hat, mit feinem Bogenstrich impressionistische Klänge im Geiste Debussys aus ihrem Instrument hervorlockt, antwortet Paier in tänzerischer Manier, entlässt aus seiner Tastatur die leichten Klänge Pariser Frühlingsluft in den Raum. Um dann mit der Eigenkomposition "Mozart incognito" seinem Landsmann und Wunderkind der Wiener Klassik ein anspruchsvolles Ständchen zwischen klassischer Akkordfolge und modernem Off-beat zu spielen.

Valcic und Paier komponieren selbst und erschaffen sich somit ihre ganz eigene Welt musikalischer Zwiesprache. Mit der CD "Vision for two", erschienen 2019, feiern sie ihr zehnjähriges Jubiläum und sind jetzt an einem Punkt vollendeter Harmonie angelangt. Ihre gemeinsame Stärke ist die feine Nuancierung, die sie perfekt aufeinander abzustimmen wissen. Valcic und Paier verstehen sich blind. Dass sie beide in weiten Teilen des Konzerts mit geschlossenen Augen spielen, ist Ausdruck dessen und Bestätigung zugleich. Wie die Tonfolgen ihrer Instrumente sich in den Phasen der Improvisation immer wieder ineinanderschlingen, wie die beiden Quellen eines einzigen Flusses, deren Wege sich immer wieder berühren, kreuzen, bis sich ihre Wasser schließlich zu einem einzigen, eindrucksvollen Naturereignis zusammen finden, das ist großartig.

Und so muss sich, wer dieses feine und tiefrührende Zusammenspiel einmal gehört hat, doch wundern, warum in der Kombination aus Cello und Akkordeon - beziehungsweise Bandoneon, das Paier nach der Pause in etlichen Stücken spielt - nicht viel häufiger musiziert wird. So ähnlich sind sich die beiden Instrumente in der Vielfalt ihrer emotionalen Ausdrucksmöglichkeit, in der Breite ihrer jeweiligen Klangvariabilität. Was die Cellistin durch die Stellung ihres Bogens, die Intensität des Strichs, die Neigung der Rosshaarsaiten an tiefer Empfindung kreieren kann, schafft der Akkordeonspieler durch die Dosierung des Luftstroms, das feine Anblasen der je hohen oder tiefen Diskanttöne, den sparsamen, manchmal aber auch gewaltigen und rhythmischen Anschlag der Bassakkorde. So finden die beiden Instrumente vom innigen, intimen kammermusikalischen Zwiegespräch - zumal in den virtuosen Händen von Valcic und Payer - unvermittelt in gleichsam orchestrale Wucht.

Hält man es wie die beiden Musiker selbst und genießt deren Konzert mit geschlossenen Augen, glaubt man sich, eben noch entrückt in den schwebenden Tönen des feinsinnigen Duetts, urplötzlich in einen Konzertsaal mit einem vollständigen Orchester versetzt. Mal ist es Jazz-Latin-Blues, mal sind es ungerade Stakkati im Dreizehnachteltakt von "Straight Thirteen", mal ist es die epische Melodieführung, bei der sich der Zuhörer mitten in eine Filmszene hinein versetzt glaubt - Valcic und Paier beschäftigen ihre Zuhörer unablässig. Mit unglaublicher Spielfreude, großem Variantenreichtum, und - etwa wenn der Österreicher Paier mit einem Scherz in eigener Sache den Titel "Ibiza at noon" ankündigt - einem guten Schuss Humor.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2020
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