Asfa-Wossen Asserate in Vaterstetten:"Ich habe große Hoffnungen in Ihre Generation"

Quo Vadis Aethiopia

"Wir müssen die neue Generation früh genug dazu zu bringen, sich ein Bild von Afrika zu machen", sagt Asfa-Wossen Asserate in Vaterstetten.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Am Gymnasium Vaterstetten berichtet ein äthiopisch-deutscher Autor über Afrika und Fluchtgründe

Von Franziska Spiecker, Vaterstetten

"Afrika ist kein homogener Kontinent, es gibt nicht nur ein Afrika", setzt der Autor Asfa-Wossen Asserate an - sein erstes Vorhaben an diesem Nachmittag: Vorurteile zerstreuen. Afrika, das seien 54 Länder, eine Landmasse, in die Europa dreieinhalb Mal reinpasse, 1,2 Milliarden Einwohner, mehr als 2000 verschiedene Sprachen. Afrika, dass seien nicht nur die berühmten "Ks": Krisen, Kriege, Katastrophen, Kriminalität, Korruption und Krankheit - auch wenn dieses Bild in den Medien dominiere.

Um das zu ändern, hält der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers regelmäßig Vorträge in Firmen, Unis und Schulen in ganz Deutschland. "Wir müssen die neue Generation früh genug dazu zu bringen, sich ein Bild von Afrika zu machen", sagt er vor seinem Vortrag "Afrika wohin? - Politik, Wirtschaft und Migration" im Vaterstettener Humboldt-Gymnasium. Asserate ist bereits zum zweiten Mal hier, das Atrium ist voll, knapp 200 Augenpaare von Oberstufenschülern ruhen auf ihm.

"Afrika ist wichtig", sagt Asserate, der bereits seit 50 Jahren in Deutschland lebt und neben seiner Autorentätigkeit auch politischer Analyst und Unternehmensberater für Afrika und den Nahen Osten ist. So sei etwa die rasant wachsende, junge Bevölkerung "ein ökonomischer Faktor, den niemand weiter ignorieren kann". Um den Schülerinnen und Schülern die Dimensionen zu verdeutlichen, betont er die Kontraste: 2050 wird Afrika mit 2,5 Milliarden Einwohnern ein Viertel der Weltbevölkerung stellen, während die Europäer nur fünf Prozent ausmachen werden. Einer alternden europäischen Gesellschaft, so Asserate, würde dann die größte Jugendbevölkerung der Welt gegenüberstehen, schon heute sei die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung jünger als 18 Jahre.

Hinzukommen laut dem Unternehmensberater beachtliche wirtschaftliche Erfolge Afrikas: Die Volkswirtschaften hätten sich gut entwickelt, es gebe viele neue Wirtschaftspartner, etwa China, Brasilien, Indien oder Russland, und eine Revolution in der Informations- und Kommunikationstechnologie. "Nirgendwo nimmt die Zahl der Mobiltelefone so schnell zu wie in Afrika", berichtet Asserate, aber natürlich gebe es in Afrika auch Probleme. Nicht umsonst heißt ja sein aktuelles Buch: "Die neue Völkerwanderung - Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten".

"Was treibt einen Menschen dazu, sein geliebtes Vaterland, seine Freunde und Verwandte zu verlassen?", fragt der Autor ins Publikum, um kurz darauf gleich mehrere Antworten zu liefern. In Afrika sei das Bevölkerungswachstum die Hauptursache: "Die hohe Geburtenrate frisst das Wirtschaftswachstum auf", so Asserate.

Ein weiterer Grund sei der unfaire Handel, den die EU aber nur ungern thematisiere. Mehr als 40 Prozent des EU-Budgets, so erzählt Asserate, würden in Agrarsubventionen fließen, wodurch Entwicklungsländer mit konkurrenzlos billigen Produkten überflutet würden: "Europas Geflügelreste werden in Afrika so billig auf dem Markt geworfen, dass die einheimischen Bauern nicht mithalten können." Vor diesem Hintergrund sei es eine "bittere Ironie", dass viele afrikanische Migranten beispielsweise in Italien für einen Hungerlohn die Tomaten ernten würden, die sie in die Migration gezwungen hätten. Asserate folgert: "Wenn Afrika eine Zukunft haben soll, dann muss die EU von ihrer desaströsen Agrar- und Wirtschaftspolitik absehen".

Aber nicht nur die Wirtschafts-, auch die Entwicklungspolitik der EU muss laut dem Autor mit Menschenrechten in Einklang gebracht werden. Denn die Entwicklungsgelder würden oft in den Händen der Kleptokraten landen, obwohl die afrikanischen Gewaltherrscher, die skrupellos ihre Bevölkerung ausnutzten, "die größten Exporteure von Flüchtlingen" seien. Dem politischen Analysten zufolge braucht es daher eine "gemeinsame EU-Außenpolitik", die Hilfszahlungen an gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit knüpft.

Afrika retten?, so resümiert Asserate: "dass kann Afrika nur selbst". Aber die EU könne und sollte dabei helfen. Die Schüler klatschen, ihr Interesse an der Thematik ist groß, wie sich an dem nachfolgenden Fragen-Ansturm zeigt: "Wie lässt sich Wirtschaft mit Menschenrechten verbinden?", "Ist die Globalisierung gut oder schlecht für Afrika?", "Wie können wir Ressentiments gegen Flüchtlinge abbauen?" Letztere Frage beantwortet Asserate mit einem Lächeln im Gesicht: "Ich habe große Hoffnungen in Ihre Generation." Diese Weltansicht, die er an Schulen und Unis treffe, die müsse weitergegeben werden. Auch Kontakte zu afrikanischen Jugendlichen, zum Beispiel durch eine Schulpartnerschaft, so Asserate, seien gut.

Ein Vorschlag, der vielleicht bald schon Realität werden könnte, erzählt die Lehrerin Stephanie Wiedenmann. Den Vortrag Asserates hat sie gemeinsam mit Alexander Bestle vom Vaterstettener Verein "Partnerschaft mit Alem Katema" möglich gemacht hat. Und gemeinsam, so wollen sie nächstes Jahr auch versuchen, eine "Schulpartnerschaft auf Augenhöhe" mit einem Gymnasium in Äthiopien in der Nähe der Vaterstettener Partnerstadt zu organisieren. Für das entsprechende P-Seminar "Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien", das berichtet Wiedenmann überrascht, sei das Interesse mit 60 bis 70 Schülerinnen und Schülern jedenfalls schon sehr groß.

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