Süddeutsche Zeitung

Arkadisches Streichquartett:Flüchtiges festhalten

"Voyager Quartet" spielt nuancenreich in Ebersberg

Von Clara Lipkowski, Ebersberg

Wie kann man etwas festhalten, ein Gefühl, einen Augenblick, von dem man genau weiß, dass er sich im nächsten Moment verflüchtigt? Wie gelangt man an den einen Ort, der in Wahrheit nur in der eigenen Fantasie existiert? Ein Verweben von Realität und Imagination, Wunsch und Wirklichkeit das war es, was das Voyager Quartet am Sonntagabend in Ebersberg kreiert hat.

Der Ort hatte dazu beigetragen. Man hatte Platz genommen in der weiß gestrichenen Galerie des Kunstvereins - an der Wand die Leuchtschrift "Anarchia in Arcadia", eine Hindeutung zu Arkadien, dem griechischen Sehnsuchtsort, den der Veranstalter Peter Kees dem Abend übergeordnet hatte. Hinter dem ebenerdigen Podium: Die Verfassung der fiktiven Republik Užupis, jenem Kunstprojekt aus Vilnius, das unter anderem propagiert: "Jeder hat das Recht, glücklich zu sein. Jeder hat das Recht unglücklich zu sein." Oder auch: "Jeder Mensch hat das Recht zu sterben, ist jedoch hierzu nicht verpflichtet." Man war also entsprechend eingestimmt: Fantasterei wollte man hier nicht als befremdlich verstanden wissen und illusionieren war ausdrücklich erwünscht.

Entsprechend die Werkauswahl für den Abend. Thomas Adès' Komposition "Arcadiana", op. 12, VI O Albion, spielten Nico Christians und Maria Krebs an der Violine, Andreas Höricht an der Viola und Klaus Kämper am Violoncello extrem zart und nuancenreich. Sehnsüchtig und traurig, dissonant und irritierend, dann wieder hoffnungsvoll und kurz darauf verhängnisvoll. Wie passt so viel Emotion in so wenige Minuten Stück? Die vier Streicher boten tiefe Einblicke in die poetische Musik.

Einige der etwa 25 Zuhörer lauschten bereits nach den ersten Takten in sich versunken der Musik. Es hätten noch etwa zehn Menschen mehr kommen können, dann wären die Stuhlreihen voll gewesen, aber ein größerer Saal hätte das Zarte an diesem Abend womöglich gestört, nein, der Ort war gut gewählt und die Befürchtung von Kees, es könne "überakustisch" werden, stellte sich als unbegründet heraus.

Das tiefe Verständnis, mit dem die Musiker mit- und füreinander spielten, zeigte dann auch Franz Schuberts "Die Götter Griechenlands". Christians und Krebs an den Violinen wechselten sich zart und präzise ab als übergäben sie einander etwas Zerbrechliches. Der Cellist Kämper trat nun dominanter auf, dann reagierten alle Instrumente immer wieder unmittelbar aufeinander und das Gemüt des Stücks flachte ab, wie zum Erholen, nur um sich dann wieder zuzuspitzen. "Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder..." heißt es treffend in Friedrich Schillers Gedicht, das Franz Schubert hier vertont hat.

Die Musiker zupften ihre Instrumente, um anschließend die Bögen für lange Züge anzusetzen. Die Vielfalt mit dem Gespür für weiche Übergänge vom Piano ins Forte und wieder zurück waren es wohl, die den Zuhörern anschließend mehrere Bravo-Rufe entlockten und Peter Kees sah sich als "Botschafter Arkadiens" dazu veranlasst, die "Voyager" offiziell zum arkadischen Streichquartett auszurufen.

Man kann sich Schuberts Stück anschließend auf Spotify anhören oder auf Youtube - und die Sehnsucht und das Aufwühlende hier und da wiedererkennen. Aber die Bearbeitung von Andreas Höricht für dieses Quartett, schien für diesen einen Moment gemacht.

Logisch passte in diesen Abend Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 14 in cis-Moll, op. 131. Es kam teils getragener und ruhiger und an der ein oder anderen Stelle etwas unpräziser daher, aber nicht weniger beeindruckend, was auch an den besonderen Melodien lag. Nachdem der letzte Ton und Applaus verklungen war, blieben viele Zuhörer noch einen Moment sitzen und standen nur zögerlich auf. Das zeigte den einzigen Makel, den der Abend hatte: Dass er nach einer guten Stunde schon vorbei war.

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Quelle:
SZ vom 26.02.2019
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