Arien, Blasmusik und Chansons:In Stunden wie diesen...

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Markt Schwaben schwelgt in einer "Nacht der Musik", die die Gemeinde mit klassischen, traditionellen und frechen Konzerten ein Stückchen mehr zusammenwachsen lässt

Von Ulrich Pfaffenberger

Die Nacht war noch lang, als die "Nacht der Musik" in Markt Schwaben nach dem Zwölf-Uhr-Schlag mit einer Komplet, einem Abendgebet, in der Pfarrkirche ausklang. Dennoch hatten die Veranstalter mit dem Titel nicht zuviel versprochen. Denn das Echo der Melodien der fünf Stunden zuvor begleitete viele Besucher auf dem Heimweg und später in den Schlaf. Auch wenn das traditionelle Verständnis eines Hoagascht eine andere Form verlangt, so kam diese Hausmusik im Mittelpunkt der Gemeinde ihm doch sehr nahe - und war daher von einer vergleichbar freundschaftlich-familiären Atmosphäre erfüllt. Beobachtungen vom Freitagabend.

Kirchenchor und Marktkapelle zum Auftakt in der Pfarrkirche, verbunden mit der erfrischenden Botschaft: Melodien sind die schönsten Gebete, Andacht hat nichts mit Unterwerfung zu tun, im Kirchenraum ist Platz für Heiterkeit und Spiel. Da war der Tag noch hell, aber jeder, der sich so begrüßt fühlte, verspürte gleich ein bisschen mehr Lust auf die kommenden Stunden. Schön, wie unkompliziert man solche Anlässe von allem Ernste-Miene-Tragenden befreien und die Gäste erfreuen kann!

Nicht auf der Empore, sondern unten wird der Kirchenchor St. Margaret nun seine Gäste begrüßen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Gaststube des Oberbräu war der erfrischende Quell von Wirtshaus-Musik, wie sie appetitanregender nicht sein kann. Zumal sich das Menü als variantenreich erwies, Gewürze aus ganz gegensätzlichen Stilen stibitzte und selbst für schon fast gesättigte Gäste geeignete Bissen bereithielt. Die Höhenkirchner Saitenmusik kredenzte ihre tagesfrische Deutung von Volksmusik "lebhaft bis wild", Nico, Brad & Pit grillten die Ohren mit heiterem, mitsingbarem Country und Folk und das Talking-Brass-Quintett ließ seine "praktizierte Blechmusik" auf der Zunge zergehen. Gerade beim letzten Ensemble durfte man Arrangements verkosten, die so sanft geschmort waren, dass jedes Instrument für sich den Gaumen kitzeln konnte. Die beiden Stücke von Mnozill-Brass: Einen pfiffigeren Nachtisch kann man sich nicht wünschen.

In einer Marktgemeinde, die hart daran arbeitet, ihr Einwohner-Wachstum wieder in Richtung eigene Identität zu lenken, entfaltet solch eine "Nacht der Musik" hilfreiche Kräfte. Die neidfrei miteinander geteilte Aufmerksamkeit des Publikums und die zahlreichen ehrenamtlichen Helfer machten gut sichtbar, dass es hier ein tragfähiges Fundament gibt. Wo sogar ein Bürgermeister, Albert Hones, ein "Caro Mio Ben" anstimmt, mit Petra Arnold und Susi Gammel Opern-Arien zum Thema "Liebe" singt, da zeigt die interkulturelle Kraft der Musik eine hoffnungsfrohe Seite.

Im Oberbräu steuert die "Höhenkirchner Saitenmusik" Appetitanregendes bei. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim Auftritt der Kleinen Liedertafel Holzkirchen fragte man sich schon, wo sie geblieben sind, die singenden Männer, die einst die Wirtshäuser hierzulande erklingen ließen, oder als Don Kosaken und Montanara-Chor Tausende in Konzertsäle lockten. Ein echter Verlust an Volkskultur - und insofern ein kleiner Schatz für die Anwesenden, ob das italienische "Le Dolomiti", das bayerische "I hob di gern" oder das englische "Ride a train up to glory".

Als wäre ein Engel mit seiner Harfe vom Altar gestiegen und hätte zu spielen begonnen: Auch wenn sich zur Mitte des abendlichen Reigens nur rund drei Dutzend Zuhörer in Sankt Margaret eingefunden hatten, so strahlte der halbdunkle Raum beim Harfenkonzert von Veronika Estner doch in der Fülle der Saitenklänge, denen sich die junge Musikerin einfühlsam hingab. Mal ein Walzer, mal ein Zwiefacher, eine Hommage an Tobi Reiser: Jede "Schöne Weis'" bei diesem Auftritt zündete ein weiteres Lichtlein in der andächtig lauschenden Kirche an - und wich das Erstaunen, wie viel Volumen in einem einzigen Instrument stecken kann, der Freude darüber, welch tiefer Nachklang daraus erwächst.

Als Publikumsmagnet wird sich "Herrenbesuch" erweisen, ein Chor aus München, dessen Mitglieder das Einsingen in unterschiedlich voller Montur absolvieren. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Spät am Abend ließ die Sängerin Elisabeth Eder mit einem glänzenden "I know that my redeemer liveth" aus Händels "Messias" die Orgelführung ausklingen, bei der Kirchenmusiker Stefan Krischke, die Vorzüge seines renovierten Instruments in Wort und Ton schilderte. Als eine Zuhörerin das Hightech-Innenleben des Instruments mit den Worten kommentierte: "Ohne Strom gibt es also keine Orgelmusik", erzählte ein älterer Markt Schwabener, dass er schon in den 1950er Jahren als Ministrant zum Blasebalg-Treten auf die Empore geschickt wurde, wenn der Strom aus dem Kraftwerk zu schwach war.

Der meistgemurmelte Satz des Abends hieß: "Tschuldigung, ich muss jetzt rüber", wenn sich Zuhörer auf Zehenspitzen aus dem Raum schlichen, um zu einem anderen Programmpunkt zu gelangen. Die dichte Abfolge der Auftritte an den vier Spielstätten war wahrlich nichts für Entscheidungsschwache. Andererseits sollte man den Wechselwählern zugestehen, dass ihre Begeisterung so groß war, dass sie sich wirklich nichts entgehen lassen wollten.

Zunächst erschienen Elke Deuringer und Hermann Bogenrieder vor allem Kandidaten für eine Tapferkeitsmedaille zu sein: Was verlangt es einem Künstler ab, wenn die Vorgänger noch im prall gefüllten Unterbräu-Saal singen durften, dann aber nachts um elf ein Großteil des Publikums ins Freie strebt und einen leere Stühle angähnen? Die wind- und wettererprobten Altstars jedoch ließen sich nicht beirren, packten eine Extradosis Emotion in ihre Duette und siehe da: Manchen, der schon unter der Tür stand, packten ihr "Summertime", ihr "Besame mucho" und ihre Weiher-Ballade "Edi, gib' net auf" so fest, dass er sich umdrehte - und dann doch wieder Platz nahm, weil die Chansons unwiderstehlich waren.

Der Herrenbesuch war mehr als eine musikalische Glanzleistung. Dass der Barbershop-Chor aus München, der zu den Spitzenleistern seines Genres im süddeutschen Raum zählt, zugunsten des Benefizprojekts für die Orgelsanierung ohne Gage auftrat, verdient größten Respekt. Dafür flogen den zwei Dutzend Sängern aber auch die Herzen zu. Ihre feinsinnigen und in mustergültiger Stimmführung intonierten Lieder erwiesen sich als Publikumsmagnet schlechthin. Ein guter Barbershop wie dieser liefert ja nicht nur die flotte Weise, er baut a cappella ja stets auch ein emotionales, die Fantasie anregendes Szenario. Das ist den Herren beim Toten-Hosen-Song "Tagen wie diese" in begnadeter Form gelungen - und beim Spider-Murphy-Medley auf herzerwärmende Weise.

Eine angenehme Begleitmusik des Abends: Großzügigkeit. Bei den Einlasskontrollen galt das Vertrauensprinzip, im Wirtshaus durfte auch das Nebenzimmer mithören, beim zweimaligen Auftritt der Big Band der Musikschule, geleitet von Hermann Rid, kamen unter freiem Himmel auf dem Marktplatz auch Passanten und Eisdielen-Besucher in den Genuss von kristallklarem Bläsersound, kellergewölbetiefem Groove und ultralässigem Bass. Markt Schwabens Finest - in vielerlei Hinsicht.

© SZ vom 25.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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