Menschen mit Einschränkungen auf dem Arbeitsmarkt:Ein Drittel der Pflichtstellen unbesetzt

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Betriebe ab 20 Mitarbeitern müssen für fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze Menschen mit schwerer Behinderung einstellen. Diese Quote wird jedoch nicht überall erreicht.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

"Die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung", liest man auf deren Homepage. Gesetze hierzu gibt es bereits, so zum Beispiel das Sozialgesetzbuch IX. Danach müssen private, gemeinnützliche und öffentliche Betriebe, die über mehr als 20 Mitarbeiter verfügen, fünf Prozent ihrer Stellen mit Menschen besetzen, die im Sinne des Gesetzes schwerbehindert sind, also einen Grad der Behinderung von über 50 haben.

In der Realität sieht es oft jedoch anders aus. In einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland heißt es, dass "viele Betriebe zu wenige oder gar keine Menschen mit Schwerbehinderung" beschäftigen. Das Netzwerk beruft sich dabei auf eine Befragung der Hans-Böckler-Stiftung. In der Privatwirtschaft liege der Anteil laut Studie mit 3,9 Prozent deutlich unter den angestrebten fünf, bei gemeinnützigen Betrieben und im öffentlichen Dienst sind es hingegen 5,6 Prozent. Doch wie ist die Lage im Landkreis Ebersberg?

Viele Firmen leisten Ausgleichszahlungen

Dort haben laut der Bundesagentur für Arbeit 248 Firmen ihren Hauptsitz. Zwar kann der Beschäftigungsbetrieb dieser Firmen in einem anderen Landkreis liegen, dennoch müssen sie an die Agentur melden, wie viele Mitarbeiter sie haben und wie viele Schwerbehinderte sie beschäftigen. Im letzten Berichtsjahr, 2020, sollten durch die Firmen im Landkreis 1431 Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt werden. Tatsächlich waren jedoch 1049 Plätze besetzt, wobei manche Firmen mehr als die vorgeschriebene Zahl an Stellen besetzten, die nicht in die Statistik mit aufgenommen werden. Deswegen ist es möglich, dass 523 Pflichtstellen, also über ein Drittel, unbesetzt blieben. Dieser Anteil ist seit 2016 nahezu unverändert. Das ergibt einen Schwerbehindertenanteil von 3,67 Prozent in der Ebersberger Privatwirtschaft, der damit niedriger liegt als der bundesweite Schnitt.

Dies muss nicht am mangelnden Willen der Betriebe liegen. Thomas Diegmann etwa leitet eine Industriebuchbinderei in Anzing mit 25 Mitarbeitern. Schwerbehinderte beschäftigt er keine - er leistet stattdessen eine Ausgleichszahlung. "Das hat aber auf keinen Fall etwas damit zu tun, dass wir etwas gegen Menschen mit Behinderung haben", so Diegmann. Vielmehr sei es ohnehin schwierig, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen. "Es bewirbt sich halt niemand", so der Geschäftsmann.

Einen Erlass auf die Ausgleichszahlung erhält er trotzdem nicht. Das Integrationsamt, das für die Erhebung zuständig ist, differenziert nicht nach Gründen für das Ausbleiben der Einstellung von Schwerbehinderten. Die Höhe der Zahlung liegt bei 140 bis 360 Euro und erhöht sich, je geringer die Quote der Beschäftigten mit Behinderung ist. Das Geld der Ausgleichszahlungen wird sachgebunden für die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben verwendet.

Fast ein Zehntel der Arbeitslosen im Landkreis haben eine schwere Behinderung

Im Landkreis Ebersberg beziehen derzeit 101 Menschen mit einer Schwerbehinderung das Arbeitslosengeld I und machen damit 9,2% der Arbeitslosen aus. Selbst wenn sie alle also eine Stelle fänden, würden nicht alle Pflichtstellen besetzt werden können, wobei hier beachtet werden muss, dass nicht klar ist, wie viele Beschäftigungsstellen sich tatsächlich im Landkreis befinden.

Für den öffentlichen Dienst und gemeinnützige Betriebe im Landkreis liegen keine detaillierten Zahlen vor. Es ist allerdings davon auszugehen, dass Schwerbehinderte in diesen Bereichen einen größeren Anteil der Mitarbeiter ausmachen. So arbeiten etwa im Landratsamt Ebersberg 41 Menschen mit Schwerbehindertenausweis oder einer anrechenbaren Gleichstellung und machen acht Prozent der Mitarbeiter im Landratsamt aus.

Auch bei gemeinnützigen Betrieben im Landkreis dürfte diese Quote hoch sein. Schließlich gibt es mehrere Vereine und Firmen, die vor allem Menschen mit Behinderungen einstellen. So arbeiten etwa in der Firma Frischkost in Pliening um die 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung, die frisches, zerkleinertes Gemüse für Restaurants und Hotels bereitstellen.

Die Einstellung Schwerbehinderter kann bezuschusst werden

Doch auch für konventionelle Betriebe kann es sich durchaus lohnen, Menschen mit Behinderung anzustellen. Nicht nur müssen dann keine Ausgleichszahlungen geleistet werden. Auch erlangen die Arbeitgeber dadurch Zugang zu verschiedenen Darlehen und Zuschüssen. Insbesondere die Ausbildung von Menschen mit Behinderung wird durch die Agentur für Arbeit und das Integrationsamt bezuschusst, wie etwa die behindertengerechte Ausstattung der Ausbildungsplätze. Ob sich genug Menschen mit Behinderung finden, die einen solchen Ausbildungsplatz annehmen, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

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