Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Meister der Grafik

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Anzing trauert um einen großen Künstler: Thomas Abold ist kurz vor seinem 92 Geburtstag gestorben. Er hinterlässt ein reiches Lebenswerk.

Von Anja Blum, Anzing

Anzing trauert um einen großen Künstler: Thomas Abold ist am 30.Dezember 2022 kurz vor seinem 92 Geburtstag verstorben. Doch sein hohes Alter heißt nicht, dass man lange nichts von ihm gehört hätte. Abold war ein geistig wie künstlerisch überaus aktiver Mensch, noch kurz vor seinem Tod erzählte er einer Freundin von seinen Plänen, in seinem Atelier zu arbeiten. Auch Ausstellungen realisierte er bis vor kurzem. "Es juckt mich einfach immer noch", hatte er da gesagt. Abold war eben ein Schelm, im Leben genauso wie auf dem Büttenpapier.

Thomas Abold hatte der Kunst sein ganzes Leben gewidmet, hat stets gezeichnet, gemalt, gedruckt und gelehrt, sein Hauptmetier war die Kalligrafie. Er sei "zum "Schreibmenschen geboren", pflegte der Anzinger zu sagen, was umso erstaunlicher ist, als dass er ohne rechten Arm auf die Welt kam. Doch Mitleid oder gar einen Bonus wollte der renommierte Künstler und Grafiker deswegen nie in Anspruch nehmen.

An der Kunstschule in Augsburg und später in München hat Abold einst eine grundsolide Ausbildung als Maler und Grafiker genossen, die Schriftgrafik hat ihn stets ernährt. Sieht man sich Urkunden an, hochoffizielle Blätter, die Abold geschrieben hat, glaubt man kaum an Handarbeit: Gestochen scharfe, wunderschöne Lettern stehen hier in Reih und Glied. Sogar eine eigene Schrift hat der Anzinger einst erfunden, die "Abold Kursiv". Ausladend schwungvoll, elegant und zugleich akkurat geometrisch kommt sie daher - und gleicht darin Abolds freiem Schaffen ganz erstaunlich. Denn auch dieses speist sich aus dem Spannungsfeld zwischen fließender Bewegung und strenger Form, mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung tendierend. Feine Illustrationen, mal figürlich, mal gegenstandslos, oftmals irgendwo dazwischen.

Zwar war Abold der Weg in sein Atelier im zweiten Stock zuletzt etwas beschwerlich, doch er nahm ihn nach wie vor sehr gerne auf sich. Denn dort oben war sein Reich, wo er sich dem widmet, was er wohl am liebsten machte: Ausgehend von der Linie Formen erstehen zu lassen, die sich dann zu einem Thema fügen. Und so entstand weiter Blatt um Blatt. Ihnen allen gemein sind eine ausgewogene Komposition und ausgefeilte Bildsprache, Abold kreierte Rundes oder Eckiges, Verträumtes, Surreales oder Dynamisches - ganz wie es ihm gefiel.

Da sind wohlkomponierte Drucke, Linolschnitte, die mit vielen filigranen Details beeindrucken. Abold beherrschte diese Schneidekunst meisterlich, genauso wie das Spiel mit Positiv und Negativ. Die Motive sind oftmals etwas skurril, führen den Betrachter hinein in eine Welt der Fantasie, des Humors und auch der Erotik. Auf der anderen Seite die der Kalligrafie zuzuordnenden Blätter: sanfte, reduziert-abstrakte Darstellungen, mit dem Pinsel scheinbar ganz spontan hingeworfen, verdünnte Gouache ermöglicht diffizile Schattierungen von Hellgrau bis Tiefschwarz. Der Rest ist weiße Auslassung, bewusste Reduktion. Eindringlichkeit und zugleich große Leichtigkeit versprühen diese Werke.

Seine Themen schöpfte Abold aus dem Leben. Da sticheln die "Spötter", dort stehen sich die "Rivalen" gegenüber, gerne spießte der Anzinger das Allzumenschliche auf. Doch auch in der Kulturgeschichte bediente er sich, man kann mit ihm "Orpheus" bedauern, dem "Homerischen Gelächter" lauschen und die "Platonische Akademie" besuchen, obendrein werden dem Betrachter allerhand Fabelwesen kredenzt.

Dieser Künstler war stets fleißig, bis zum Ende, in seinem Atelier stapelten sich die Blätter nur so. Er hinterlässt einen reichen Lebensfundus an Werken. "Ich müsste wohl tausend Jahre alt werden, so viel Arbeit wartet auf mich", hatte er als 88-Jähriger noch gesagt und herzlich gelacht. Es war ihm leider nicht beschieden.

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