Oktoberfest-Insider:Wenn dich das Wiesnfieber packt

Oktoberfest-Insider: Prost! Für die Besucher ist ein Beuch in einem Wiesnzelt wie dem Marstall ein Vergnügen - meist, jedenfalls. Doch wie geht es jenen, die dort tagtäglich arbeiten und all die Maßkrüge schleppen müssen?

Prost! Für die Besucher ist ein Beuch in einem Wiesnzelt wie dem Marstall ein Vergnügen - meist, jedenfalls. Doch wie geht es jenen, die dort tagtäglich arbeiten und all die Maßkrüge schleppen müssen?

(Foto: Florian Peljak)

Benno Stadler und seine Schwester Barbara haben schon oft auf dem Oktoberfest bedient. Hier erzählen die Anzinger vom "Klassentreffen"-Gefühl - und was es mit den sagenhaften 20 000 Euro auf sich hat, die man angeblich durchs Krügeschleppen verdient.

Von Michaela Pelz, Anzing

Es gibt Themen, die sind so sicher wie das Amen in der Kirche: Wer vom Schottlandurlaub in Inverness erzählt, wird garantiert nach dem Ungeheuer von Loch Ness befragt. Und wer seit Jahren regelmäßig auf der Wiesn beschäftigt ist, wird unweigerlich mit einer Zahl konfrontiert: 20 000 Euro. Die nämlich sollen sich in nur 17 Tagen auf der Theresienwiese beim Bedienen verdienen lassen.

"Die 20 000-Euro-Geschichte, ja, die hört man immer wieder. Ich denke aber, in der Realität hört es bei 15 000 Euro auf," sagt Barbara Stadler. Und fügt hinzu: "Das ist aber meine ganz persönliche Einschätzung - niemand zeigt einem im Nachhinein seinen Gehaltszettel oder verrät, was er so an Trinkgeld hat." Konkreter wird die quirlige Anzingerin nicht, ebenso wenig wie ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Benno, der ebenfalls erzählen kann, wie das so ist, als Bedienung auf dem größten Volksfest der Welt zu arbeiten.

Oktoberfest-Insider: 2011 wird Barbara Stadler zur Bayerischen Bierkönigin gewählt.

2011 wird Barbara Stadler zur Bayerischen Bierkönigin gewählt.

(Foto: Bayerischer Brauerbund /oh)

Begonnen hat die Wiesn-Karriere der Geschwister 2013. Zwei Jahre zuvor hatte Barbara bei ihrer Bewerbung zur Bayerischen Bierkönigin gegenüber Wiesnwirt Sepp Krätz, einem der Juroren, verlauten lassen, dass sie eigentlich immer schon davon geträumt habe, einmal im Leben auf dem Oktoberfest zu arbeiten. Es klappte dann sowohl mit der Wahl, als auch - nach dem Ende ihrer Amtszeit als Bierbotschafterin - mit einem Job im Hippodrom. Und weil der kleine Bruder sich beim Probearbeiten auf der Frühlingswiesn wacker geschlagen hatte, wurde er ebenfalls genommen.

Oktoberfest-Insider: Benno Stadler ist eigentlich gelernter Schreiner. Doch seit 2013 nimmt sich der Sohn der Anzinger "Kirchenwirt"-Familie regelmäßig Urlaub, um als Bedienung auf der Wiesn zu arbeiten.

Benno Stadler ist eigentlich gelernter Schreiner. Doch seit 2013 nimmt sich der Sohn der Anzinger "Kirchenwirt"-Familie regelmäßig Urlaub, um als Bedienung auf der Wiesn zu arbeiten.

(Foto: Christian Endt)

Zwar war klar, dass man bei jemandem, dessen Familie seit 1929 in der Gastronomie tätig ist, entsprechende Erfahrung voraussetzen konnte. Trotzdem musste der Wirtshausspross im Vorfeld beweisen, dass er mit Stress umgehen und alles so gut koordinieren kann, dass an vier Tischen alle Gäste gleichzeitig ihr Essen kriegen. Was man in dem Job sonst noch braucht? Ausdauer, sagt Benno Stadler. Einen Tisch auf einmal abräumen können - "nicht für jeden Teller einzeln rennen". Zudem sollte man gerne reden und auf Leute zugehen können. Dass der humorvolle 33-Jährige, den man deutlich jünger geschätzt hätte, diese Gabe besitzt, ist unzweifelhaft.

Das gilt auch für seine Schwester. Die 35-Jährige ergänzt die Liste der Eigenschaften einer erfolgreichen Servicekraft um "Freundlichkeit, Durchhaltevermögen und Gelassenheit, damit man sich nicht reinstresst. Vor allem aber muss man es gern machen." Und habe man das Oktoberfest erst einmal richtig "eingeatmet", stelle sich ein gewisses "Wiesnfieber" ein "Dann will man das immer wieder machen!" Darum wurde aus dem ersten, als einmaliges Gastspiel geplanten Einsatz eine jährliche Sache - ab 2014 dann im Hippodrom-Nachfolger, dem Marstall-Zelt von Siegfried Able.

Oktoberfest-Insider: Den Wirtshausbetrieb hat Barbara Stadler "mit der Muttermilch aufgesogen", wie sie sagt.

Den Wirtshausbetrieb hat Barbara Stadler "mit der Muttermilch aufgesogen", wie sie sagt.

(Foto: privat)

Dass der angestellte Schreiner und die in den Anfangsjahren noch auf dem Flughafen tätige Marketingspezialistin für das Oktoberfest einige Urlaubstage opferten - genau wie diverse Kollegen und Kolleginnen - liegt auch nicht zuletzt an diesen, wie beide bekräftigen. "Wenn die offizielle Einschreibung ist, dann fühlt sich das an wie ein Klassentreffen," schildert Benno Stadler den Grund für seine greifbare Vorfreude. Drei Jahre habe man den Rest der Mannschaft, die zum Großteil aus den immer gleichen Personen bestehe, nun schon nicht gesehen. Was aber - davon geht er aus - auf einen Schlag vergessen sein wird, sobald man sich wieder trifft. "Die Tage im Zelt, die man zusammen verbringt, sind so intensiv, dass in der Zeit eine fast familiäre Atmosphäre entsteht."

Diese gehe sogar über die Öffnungszeiten hinaus, erklärt Barbara Stadler. "Man ist in einer ganz eigenen Welt, wie in einem Dorf, da interessiert dich auch nach der Schicht nicht viel anderes." Vielmehr habe man dann den Wunsch, in dieser Gemeinschaft zu bleiben, im Anschluss in Ruhe gemeinsam abseits der Wiesn noch etwas zu essen und den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen.

Zum Trio der Stadlers gehörte stets ein Freund der Familie, im Brotberuf Banker

Auch deswegen entschieden sich die Anzinger Geschwister nach den ersten beiden Jahren, in denen sie täglich in die Stadt gependelt waren, sich während der Oktoberfestzeit in München einzuquartieren. Meist in einer WG, auch wenn das natürlich den Gesamtarbeitserlös schmälert. Aber das tut auch das Gewand mit dem Emblem des jeweiligen Zelts, das angeschafft werden muss, um überall ein einheitliches Bild zu liefern. Im Marstall gehören zur Ausstattung Hemd, Weste und Tuch für die Kellner, während ihre Kolleginnen Bluse, Dirndl, Schürze und Tuch kaufen müssen. Beim Schuhwerk sind die Servicekräfte relativ frei. "Der Arbeitsschutz muss gewährleistet sein und es wird auf das Gesamtbild geachtet", sagt Barbara Stadler. "Mein Tipp: Mit leichten Bergschuhen fährst du am besten."

Doch wie hat man sich nun den Job konkret vorzustellen? Zunächst einmal arbeiten die Bedienungen in allen Zelten in Zweier- oder Dreierteams, die gemeinsam für einen bestimmten Bereich (eine so genannte "Station") zuständig sind. Dieses Team teilt täglich abends die Trinkgelder und muss auch zusammen dafür geradestehen, wenn bei der Abrechnung etwas nicht stimmt. Darum wird bei der Einteilung sehr darauf geachtet, dass die Chemie stimmt und man sich gegenseitig vertrauen kann. Im Fall der Stadlers, deren Station acht Tische umfasst, waren sie immer zu dritt: Bis zu Barbaras Ausscheiden 2019 gehörten zum Trio die Geschwister plus ein guter Freund der Familie, im Brotberuf Banker.

Auch beim Spontanbesuch findet sich ein Platz, vor allem unter der Woche

Auch wenn es in den Bierzelten immer wieder gastronomiefremde Quereinsteiger gibt - von einer Kollegin weiß Benno Stadler, dass sie in Landshut im Rathaus arbeitet - kommt doch der überwiegende Teil der Belegschaft aus der Branche. Im Marstall stammten sehr viele Saisonkräfte aus Österreich, "die sind oft auch im Winter beieinander und empfehlen sich gegenseitig".

Doch kommt man nur mit Reservierung ins Zelt? Benno Stadler sagt nein. Man könne durchaus auch spontan sein Glück probieren. Unter der Woche klappe das fast immer. Plätze finden sich im Biergarten oder im Schiff, wo man ohnehin nicht reservieren kann. Auch besteht die Möglichkeit, sich an nicht komplett besetzte Tische dazusetzen zu lassen. Solche freien Plätze melden die Servicekräfte an die Hostessen am Eingang.

Oktoberfest-Insider: Selbst wenn es, wie hier auf einem Foto von 2014, im Marstall-Zelt hoch hergeht, wurde Barbara Stadler gegenüber noch nie jemand zudringlich.

Selbst wenn es, wie hier auf einem Foto von 2014, im Marstall-Zelt hoch hergeht, wurde Barbara Stadler gegenüber noch nie jemand zudringlich.

(Foto: Florian Peljak)

Damit die Kellnerinnen und Kellner ihre Arbeitszeiten nicht überschreiten, beginnen sie oft zeitversetzt. Wer um acht dran ist, kümmert sich um die Bestuhlung, bis Mittag sind dann alle da. In den Pausen hält man sich im Mitarbeiterbereich des eigenen Zelts auf oder besucht Kolleginnen und Kollegen, die man kennt. Mit denen, die auch gerade frei haben, schlendert man über den Platz und besucht vielleicht sogar einen Schaustellerbetrieb, etwa den "Hau den Lukas!".

Im Lauf der Zeit bürgert sich ein, dass innerhalb des Teams jeder eine Aufgabe übernimmt. Der eine serviert Essen, der andere Getränke, die Frau im Team nimmt Bestellungen auf. Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass es für jeden Tisch einen festen Ansprechpartner gibt, der sich namentlich vorstellt: "Ich bin zuständig für euch!"

Zechpreller? Eine Gruppe Touristen war plötzlich weg

Wie in einem normalen Gastronomiebetrieb wird im Marstall-Zelt jedes Essen und jedes Getränk in der Registrierkasse gebucht, die Servicekraft erhält dafür einen Bon. Wenn jemand im Vorfeld reserviert hat, bringen die Gäste ihre Voucher mit und geben sie bei der Bestellung ab. Alles, was darüber hinausgeht, wird extra eingetippt. Entsprechend der Bons holt die Bedienung in der Küche Speisen und Getränke. Der Gesamtumsatz wird in der Kasse gespeichert, durch ihn errechnet sich die Provision des Teams. Am letzten Wiesntag gibt jede Person aus dem Service davon etwas ab für Küche und Schank. Und die Wirtsfamilie Abele organisiert eine Abschlussparty für die komplette Belegschaft - natürlich nicht im Zelt, sondern woanders.

Doch was, wenn einer nicht zahlt? Einem Zechpreller ist Benno Stadler bisher zum Glück noch nie aufgesessen. Bei den Vorbestellungen sind die Kunden registriert, bei Laufkundschaft kassiert er gleich ab oder verlässt sich auf sein Gefühl. "Eine Familie mit drei Kindern kann gern auch erst am Ende bezahlen." Einmal allerdings sei sein Blutdruck in die Höhe geschnellt: Eine Gruppe Touristen war plötzlich weg. Schnell wurde einer aus dem Team abgestellt, im ganzen Zelt nach den Verschwundenen zu suchen. Und tatsächlich fand sich einer aus der Gruppe, der dann die Rechnung beglich. "Die ganze Truppe war zu besoffen, um zu checken, dass noch was offen war."

Stichwort Betrunkene - was ist mit Übergriffen, vor allem gegenüber den Kellnerinnen? Keine einzige negative Erfahrung habe sie gemacht, sagt Barbara Stadler. Das könne an ihrem tollen Team liegen und daran, dass sowohl das Hippodrom als auch das Marstall sehr gediegen seien - im "knallvollen Mittelschiff im Hofbräuhaus" könne das schon anders aussehen. "Wir kommen gut durch die Gänge, die Kunden würden es sich selbst unter Alkoholeinfluss nicht trauen, uns anzulangen oder blöd anzumachen." Im Gegenteil, immer wieder würden Stammgäste bei der Reservierung darum bitten, an den Tisch "ihrer" Bedienung platziert zu werden.

Oktoberfest-Insider: Bei der Eröffnung ihrer Lifestyle-Manufaktur "Diese Elli", angeschlossen an den Anzinger Kirchenwirt, konnte Barbara Stadler 2019 auch Polit-Prominenz begrüßen, nämlich Ilse Aigner und Thomas Huber.

Bei der Eröffnung ihrer Lifestyle-Manufaktur "Diese Elli", angeschlossen an den Anzinger Kirchenwirt, konnte Barbara Stadler 2019 auch Polit-Prominenz begrüßen, nämlich Ilse Aigner und Thomas Huber.

(Foto: Christian Endt)

Trotzdem hat Barbara Stadler inzwischen aufgehört, im Bierzelt zu bedienen. Der Grund: 2019 ergab sich die Gelegenheit eines Pop-up-Stores, in dem die Marketingexpertin jene Produkte feilbieten konnte, die sie normalerweise in ihrer Anzinger Lifestyle-Manufaktur "Diese Elli" verkauft.

Noch einmal zurück zu den legendären 20 000 Euro: Ganz wie im normalen Berufsleben auch gebe es auf der Wiesn in Sachen Verdienst eine enorme Spanne, erklärt Benno Stadler. "Es kommt auf das Zelt an und auf die Station." Er wisse zum Beispiel von einem 18-jährigen Österreicher, der als Anfänger im Biergarten eines anderen Zelts bedient habe und dem nach Abzug aller Spesen für Anreise und Übernachtung am Ende gerade mal 1000 Euro übriggeblieben seien. Andererseits will Stadler nicht behaupten, dass die 20 000 nicht doch realisierbar wären. "Aber höchstens von einem Prozent der Leute. Und die, die das verdienen, sind Profis, die auch im Winter dort sind, wo es gut geht - am Arlberg, in Ischgl oder Kitzbühel."

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