Anzing:Ohne Fingerabdruck keine Reise

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Anzinger Initiative unter neuem Zeitdruck: Sie sucht nach Gastfamilien für Kinder aus der Gegend von Tschernobyl

Von Anja Blum, Anzing

Es ist ohnehin keine leichte Aufgabe, der sich die Anzinger Initiative verschrieben hat, doch heuer ist sie besonders schwer: "Wir stehen diesmal unter enormem Zeitdruck", sagt Ingeborg Nünke, die die Initiative vor 25 Jahren ins Leben gerufen hat. "Hilfe für die Kinder aus der Gegend von Tschernobyl" lautet deren Ziel, ein wichtiger Teil des Programms ist es, jedes Jahr möglichst viele von ihnen für einen Monat nach Deutschland einzuladen. Dafür sucht Nünke Gastfamilien - hat heuer aber viel weniger Zeit als die Jahre zuvor. "Die deutsche Botschaft in Minsk will alle Personen, die älter als zwölf Jahre sind, biometrisch erfassen, deswegen muss ich die Namen frühzeitig mitteilen. Dann nehmen die im Dorf Fingerabdrücke." Warum diese neue Regelung eingeführt wurde, weiß die Anzingerin nicht. Sie verspürt nur diesen neuen "Irrsinns-Druck".

Früher, so Nünke, habe sie immer Spielraum gehabt, doch das sei nun vorbei. Zehn Tage etwa blieben ihr nun noch, um weitere Gastgeber zu finden. Und das ist bitter nötig, will die Initiative auch nur annähernd ihr Soll erfüllen: 60 Kinder stehen laut Nünke auf ihrer Liste, sie stammen alle aus dem weißrussischen Wolinzy, das etwa hundert Kilometer nördlich von Tschernobyl liegt. Zusammengestellt hat die Liste eine Schule, "die einzige, die es dort noch gibt, alle anderen wurden evakuiert". Erfasst sind alle Kinder und Jugendlichen von sieben bis 17 Jahre, die die Voraussetzungen für eine Reise nach Deutschland erfüllen: "Die unbedingt kommen wollen, sich das auch zutrauen und, ganz wichtig, einen Pass haben."

Lebten diese Kinder dann vier Wochen in einer Gastfamilie, könne sich ihr von der verseuchten Umgebung und Ernährung geschwächtes Immunsystem nachweislich erholen, erklärt Nünke. "Außerdem geht es darum, ihnen ein anderes Bild von sich und der Welt zu vermitteln: Dass auch sie wertvolle Menschen sind, dass sie Pläne haben dürfen, und dass es ein besseres Leben gibt als das in Wolinzy." Denn ohne dieses Wissen und Unterstützung von außen gerieten die Kinder schnell in einen Teufelskreis: "Dann verlassen sie wie die Eltern ihre Heimat eher nicht, machen keine Ausbildung, sondern kriegen ihrerseits Kinder, um wenigstens Kindergeld zu bekommen." Das Leben in der Gegend von Tschernobyl sei jedenfalls ein sehr klägliches, sagt Nünke, die schon mehrmals dort war.

Etwas mehr als 3o Gastfamilien zählt die Anzinger Initiative für den Besuch vom 26. Juni bis 25. Juli bislang. Nünke und ihre Mitstreiter hoffen freilich, dass es noch ein paar mehr werden - schließlich kommen Familien aus dem ganzen Ebersberger Landkreis, aber auch aus Erding oder München infrage. "Aber ich befürchte, dass wir aufgrund der wenigen Zeit heuer weniger erfolgreich sind." Wer sich also für das Projekt interessiert, sollte rasch Kontakt zu Ingeborg Nünke aufnehmen: telefonisch unter (08121) 482 49 oder per Mail an anzinger-initiative@arcor.de.

© SZ vom 30.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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