Mittendrin im Wirtshaussaal sitzen sie und spielen auf: Am einen Tisch die Brücklmeier Musi. Aus Moosach im Münchner Norden ist das Quintett angereist, hat Hackbrett, Harfe, Gitarre, Kontrabass und ein Baryton mitgebracht, die „Hosentaschentuba“ fürs kleine Volksmusik-Gepäck und den gutmütigen Blech-Sound im Zupf- und Schlagbiotop. Einen Tisch weiter haben sich „De Vadrahdn“ eingerichtet, zwei Frauen und ein Mann, die sich auf der Steirischen, dem Hackbrett, der Gitarre und dem Kontrabass die Melodien zuspielen, genauso wie nebenan die „Kiramer Hausmusi“ mit ihren zwei Hackbrettern und einer Gitarre. Auf der Eckbank gleich dahinter: die „Hacher Dirndl“, ein weiblicher Dreigesang, die wiederum begleitet von der „Forsthof Musi“ ihre hellen, klaren Stimmen erklingen lassen, im anregenden Kontrast zu den frechen Couplets des „Duos von drent und herent“.

Gastronomie im Landkreis:Eine Anzinger Traditionsgaststätte schließt
Das Gasthaus "Zum Wilderer" im Forsthof ist seit 20 Jahren Treffpunkt von Wildliebhabern und Volksmusikanten. Jetzt ist seine Zukunft ungewiss. Wirtin Danka Löbel sperrt Ende September zu - hat aber schon neue Pläne.
Eine fast orchestrale Besetzung also, deren reine Aufzählung sich nach „laut und kunterbunt“ anhört, die im echten Leben aber einer höheren, über viele Generationen gewachsenen Ordnung folgt, die Abende wie diesen letzten „Volksmusikanten-Stammtisch“ im Anzinger Forsthof prägt. Wie jedes Mal in den vergangenen fast 19 Jahren wandert das Spielen und Singen von Tisch zu Tisch. Eines nach dem anderen geben die Ensembles für jeweils ein Stück den Ton an, lassen die Programmpunkte durch den Raum wandern. Daraus ergibt sich ein, nehmen wir ruhig mal den zeitgemäßen Begriff, „inklusiver“ Konzertablauf, gerade weil das Publikum hautnah am Geschehen dabei ist, auf gleicher Ebene mit der Musik – und in einem sehr toleranten Miteinander. Zwar gibt’s manchmal ein warnendes Zischen, wenn eine kleine Plauderei über eine Erinnerung zum Stück oder eine besonders pfiffige Intonation etwas lauter wird und sich länger hinzieht. Aber, dass die eine oder andere, bei vertrauten Tönen mitsummt oder gar mitsingt? Kein Problem, diese Freiheit ist programmatisch, die Einladung steht unausgesprochen und selbstverständlich im Raum. Im Lauf des Abends erwächst einem da der tiefere Sinn der Bezeichnung Volks-Musik.

Was sich auch bei den Gelegenheiten zeigt, wenn ein Ensemble explizit zum Mitsingen auffordert. Bei einem Klassiker wie dem „Trinket aus, schenket ein“ sind die Wirtshausgäste so gut aufeinander eingestimmt, dass ihr Refrain so sauberst vierstimmig erklingt, als hätten sie’s ewig miteinander geprobt. Was, letztlich, auch zutrifft, denn „Stammtisch“ bedeutet eben auch „Stammpublikum“ und als solches findet man sich über die Zeit in seine Lieblingsmelodien hinein. Vorteilhaft auch, dass sich in der anwesenden „Volksmusi-Gmoa“ eine ganze Reihe jener befindet, die bei anderen Anlässen selbst als Trio oder Quartett mitspielt und sich an diesem Samstagabend das Zuhören gönnt. Wie sie den Aktiven des Abends ihre Aufmerksamkeit und Anerkennungen schenken: Glaubwürdiger ließe sich kaum zeigen, welchen Wert das vorbehaltlose Geben und Nehmen einer menschenfreundlichen Kultur verleiht. Schon zur Begrüßung hatte Sepp Götz, der mit Gedichten, Geschichten und anregenden Gedanken durchs Programm begleitete, einen Grundsatz dieser Haltung am mundartlichen „Griaß Gott mitanand“ deutlich gemacht: „Da denk‘ ich an Gott und grüß‘ den anderen, egal, wer er ist und woher er kommt.“
Wie intensiv und gleichzeitig unaufgeregt Volksmusik zu Sprachpflege und einem lebensfrohen wie lebensnahen Kulturerhalt beiträgt, wird gerade durch die Mundart spürbar. Selbst wenn im Oberland der eine oder andere Laut etwas anders klingt als im Forst: Im Gesang offenbart sich eine schier grenzenlose Leichtigkeit im Mitteilen und Verstehen. Etwas, was das ursprüngliche Kulturgut „Stammtisch“ auch auszeichnet – dass man sich selbst bei unterschiedlichen Ansichten und Vorstellungen gut genug kennt, um sich beim nächsten Mal wieder zusammenzusetzen. Ein echtes Kulturgut, eine ehrenwerte Tradition ist da am Werk, wenn im dichten Nebeneinander, in einer von sommerschwüler Luft und Bratwurst-Schwammerl-Wurstsalatessig-Duft geschwängerten Atmosphäre des Wirtshauses die Musik alles Beengende auflöst und die Gedanken mit einer Freiheit erfüllt, wie sie die Lieder „Drob’n auf der Alm“ verorten, aber tatsächlich hierher, ins Tal, verfrachten. Das kommt selbst bei denen an, die kein Dirndl und keine Lederhose tragen.

Musikalisch zeugte der Abschiedsgruß an den Forsthof, dessen Wirtin Danka Löbel, von äußeren Entscheidungen dazu veranlasst, in ein paar Tagen das Haus absperrt, von einer ausgesucht hohen Qualität. Sie steht im direkten Widerspruch zur oft abschätzigen Bewertung der Volksmusik als, wahlweise, altbacken oder krawallig. Wer die gut vier Stunden aufmerksam die Ohren gespitzt hat, konnte in der oberflächlichen Ähnlichkeit der Melodien und Akkorde eine feinsinnige Tiefe wahrnehmen, ein gekonntes Spiel mit Harmonien und Rhythmen, die mit lautsprecherverstärkter Bierzeltbeschallung rein gar nichts gemeinsam hat. Gerade in den Minuten des Dreigesangs offenbarte sich eine Feinheit und Eleganz von Stimmkunst und Tonart-Jonglagen, wie sie jedem klassischen Konzert zur Ehre gereichte. Auch das eine Mal, als zwei der „Brücklmeier“-Musikerinnen zur Okarina griffen und vogelstimmengleiche Töne hervorzauberten, hätte ein Papageno seine Freude daran gehabt – und man ahnt, woher Mozart seine Inspiration hatte.
Dass gleichzeitig auch das Unterhaltsame einen hohen Stellenwert in der Volksmusik hat, um das erkennbar zu machen, ist ein solcher Stammtisch bestens geeignet. In einer Zeit lange vor Radio, Fernsehen und Internet haben die dahin gesungenen Geschichten von Liebe und Leiden in den Wirtshäusern Ausflüge aus dem Alltag möglich gemacht, bei gleichzeitiger Anwesenheit von Menschen, die man kennt und manchmal auch mag. Ausflüge, bei denen g’scherte Witze und kunstvolle Wortspielereien den Stoff fürs spätere Gespräch lieferten, fürs „Weißt du noch…“ und „So was Blääds…“ – oder die Motivation fürs eine oder andere Tänzchen.
„So ist’s halt im Leben – und das Leben geht weiter.“
Auch wenn der 190. Stammtisch der letzte an diesem Ort war, prägten weder Abgesang noch Verlustschmerz die Tonlage. Denn ein Satz von Franz Pabst, Initiator, unermüdlicher Netzwerker und leidenschaftlicher Organisator der Veranstaltung, steht programmatisch über der Volksmusik im Allgemeinen und dieser Reihe im Besonderen: „So ist’s halt im Leben – und das Leben geht weiter.“ Demnächst, zumindest in diesem Jahr, in der Alten Post in Parsdorf. Wie die mitgehörten Gespräche an den Tischen vermuten lassen, ist der Umzug für die „Gmoa“ keine Frage des „Ob“, sondern allenfalls des „Wie“. Anders als in Anzing sind die Parkplätze dort weniger reichlich. Aber für die Musik, die ans Herz geht, nehmen sie wohl gern auch einen kleinen Fußweg in Kauf. Wie damals, als das alles seinen Ursprung nahm.