Künstlernachlass:Emil Noldes Brief an das Anzinger Künstlerpaar Loher

Brief Emil Nolde an Joseph Loher
(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vor 84 Jahren schrieb der Expressionist an Gretel und Josef Loher. Das Original-Schriftstück ist zwar verschollen - es gibt aber eine Kopie.

Interview von Franziska Langhammer, Anzing

Post von Emil Nolde persönlich - davon träumte zu Lebzeiten des großen Expressionisten wohl so mancher Künstler und Kunstliebhaber. Damals war von dessen Doppelrolle - einerseits von den Nazis verfemt, andererseits selbst ein glühender Antisemit und Nationalsozialist - in der Öffentlichkeit noch nichts bekannt. Und so war es ein großes Ereignis, als Josef Loher und Gretel Loher-Schmeck 1936 tatsächlich einen Brief von Emil Nolde zugeschickt bekamen, als Replik auf einen Brief des Künstlerehepaars aus Anzing. Jahrzehntelang war der Aufenthaltsort dieses Schriftstücks unbekannt, bis es 2008 zufällig auftauchte. Nun, nach dem Tod des Loher-Sohns Martin, gilt der Brief wieder als verschollen. Die Zornedinger Kunsthistorikerin und Kreisheimatpflegerin Natascha Niemeyer-Wasserer lernte das Künstlerehepaar Loher noch persönlich kennen. Sie half Martin Loher nach dem Tod der Mutter im Jahr 2003 beim Aufräumen seines Elternhauses, einem uralten Bauernhaus in Frotzhofen. Dabei hat Niemeyer-Wasserer die vermutlich einzige Kopie des wertvollen Dokuments gemacht und aufbewahrt.

SZ: Wie haben Sie zum ersten Mal von dem Brief erfahren?

Natascha Niemeyer-Wasserer: Über diesen Nolde-Brief hat Gretel Loher-Schmeck schon immer gesprochen. Kristina Kargl (Literaturwissenschaftlerin aus Eglharting, Anm. d.Red.) und ich, wir führten Interviews mit ihr, als sie noch lebte. Dabei hat sie erzählt, dass sie einen Brief von Emil Nolde erhalten hätten, den sie aber nicht mehr finden würde.

Wie kam es denn zu dem Briefwechsel?

Gretel Loher-Schmeck Gemälderepro

Inspiriert von einer Reise in den Norden ist das Bild "Abend in Holstein" vonGretel Loher-Schmeck.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

1936 haben Joseph Loher und Gretel Schmeck, damals noch nicht verheiratet, eine Reise nach Berlin und Holstein unternommen. In Berlin wollten sie sich die Kunstausstellung im Kronprinzenpalais anschauen. Das haben sie dann auch gemacht, doch da waren die Bilder der entarteten Künstler schon abgehängt. Das hat die Lohers damals tief getroffen, dass ihre Zeitgenossen, die Expressionisten, plötzlich als verfemt galten. Danach sind sie zu den Verwandten nach Holstein weitergereist und haben gedacht: Da könnten wir doch mal den Emil Nolde anschreiben! Den haben sie damals als Expressionisten sehr bewundert. Sie fragten ihn auch, ob sie ihn besuchen dürften in Seebüll, dem Wohnort Noldes. Der Brief von Nolde ist die Replik darauf: Er schreibt: Ja gerne, er freue sich, dass es Menschen gebe, die seine Kunst bewunderten, weil er ja auch angefeindet wurde. Er könne sie aber in den Sommermonaten eben nicht empfangen, weil er diese Zeit für die Arbeit nutze. Das hatte Gretel Loher-Schmeck noch vor Augen in den Interviews, die sie uns gegeben hat.

Hat dann auch ein persönliches Treffen stattgefunden, zwischen Nolde und den Lohers?

Dazu ist es nicht mehr gekommen, weil es danach eigentlich Schlag auf Schlag ging. 1937 hat Hitler der Akademie in München einen Besuch abgestattet, bei dem er sagte: "Was ist das denn für eine Schmiererei?" Der Lehrer von den Lohers, Karl Caspar, antwortete ihm: "Exzellenz, davon verstehen Sie nichts." Damit musste er dann die Akademie verlassen, und die Lohers erklärten sich mit ihrem Professor solidarisch. Darauf folgte eine Zeit des Rückzugs in Anzing. 1939 begann der Zweite Weltkrieg und die Lohers waren mit dem Überleben ihrer kleinen Familie, mit Sohn Martin, beschäftigt.

Künstlernachlass: Der Maler Emil Nolde, hier 1937 in München, war dem Anzinger Künstlerpaar ein Vorbild.

Der Maler Emil Nolde, hier 1937 in München, war dem Anzinger Künstlerpaar ein Vorbild.

(Foto: Nolde Stiftung Seebüll)

Wann haben Sie den Brief zum ersten Mal gesehen?

2008 muss es gewesen sein, da habe ich mit Martin Loher und Frau Huber, einer guten Bekannten von ihm, im Bauernhaus aufgeräumt. An einem Tag haben wir uns die überall verstreuten Bücher vorgenommen. Im Erdgeschoss war eine kleine Bibliothek, und oben hatte Gretel Loher-Schmeck noch Bücher stehen. Ich weiß gar nicht, wie wir auf die Idee gekommen sind, aber wir haben sie einfach so ein bisschen durchgeblättert, und dann ist dieser Brief rausgefallen, als Frau Huber ein Buch in der Hand hatte. Den hat sie mir gezeigt, und ich habe gerufen: "Sie haben den Nolde-Brief gefunden!" Danach hatte ich eine Diskussion mit Martin Loher, bei der ich sagte: "Den können wir nicht so rumliegen lassen, das ist ein Wert - also nicht nur für die Kunstgeschichte, sondern ist auch ein realer Wert." Daraufhin antwortete Martin Loher, er würde den Nolde sicher verwahren und ihn dann zum Testament legen. Das hielt er für eine gute Idee, beides in Verbindung zu bringen.

In welchem Zustand war der Brief? Er ist ja immerhin damals schon mehr als 70 Jahre alt gewesen.

Eigentlich ist der Brief noch in ganz gutem Zustand gewesen, auf taubengrauem Papier, mit Schreibmaschine getippt. Der Brief ist wahrscheinlich nicht oft gelesen und dann ins Kuvert gesteckt worden, wo er dann als Erinnerungsstück aufbewahrt wurde. Auf das Kuvert wurde die Adresse geschrieben, Neumünster, an den Herrn Loher. Wahrscheinlich hat er das an einen Verwandten dort schicken lassen.

Was hat das Schriftstück für die Lohers bedeutet?

Für Martin Loher war es einfach ein Wert, auf den ich ihn aufmerksam gemacht habe: Eine Originalunterschrift von Nolde, auch von wissenschaftlicher Bedeutung. Für die Lohers war dieser Brief schon etwas ganz Besonderes. Gretel Loher-Schmeck kam aus einem großbürgerlichen Ärztehaushalt in der Maximilianstraße in Augsburg, sie hatte Kontakte zu vielen Intellektuellen, aber das wurde nach dem Krieg immer weniger. Da stellte dieser Brief eine Wertschätzung von Emil Nolde dar. Er antwortet zwei Studenten von der Akademie, die schon ab und zu mal Arbeiten eingereicht hatten bei Kunstausstellungen, und lädt sie ein zu sich; Nolde, Vorbild und großer Lehrer.

Die Lohers verehrten Nolde als Künstler?

Ja, als Expressionist, der die Farbe von der Form befreit hat und der vor allen Dingen nicht wie Kandinsky in die Abstraktion gegangen ist, sondern immer noch im Gegenständlichen verhaftet blieb. Das war ja auch das Thema von den Lohers, sie haben auch mit Farben und Formen experimentiert, aber immer noch so, dass die Gegenstände erkennbar waren. Das hat sie mit den Brücke-Künstlern, aber auch mit Emil Nolde verbunden.

Kreisheimatpfleger Triumvirat.

Natascha Niemeyer-Wasserer.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Halten Sie den Brief für echt?

Ja.

Warum?

Gretel Loher hat von diesem Brief im Zusammenhang mit ihrer Lebensgeschichte gesprochen. Man muss sich vorstellen: Das Ehepaar saß an vielen Abenden abgeschieden in Frotzhofen, und beide haben gelesen. Da kann es gut sein, dass man diesen Brief auch schützen will und in ein Buch legt. Und dann haben sie halt nicht mehr gewusst: Wo haben wir den jetzt hingelegt?

Wie ist dieser Nolde-Brief kunstgeschichtlich einzuordnen?

Unsere Generation und auch die der Lohers ist in dem Glauben aufgewachsen, dass Emil Nolde ein Opfer des Nationalsozialismus war. Man hat sich bis vor wenigen Jahren eigentlich nur auf seine Kunst konzentriert. Außerdem denke ich, es ist auch immer wichtig, Sprache zu untersuchen und zu schauen: Wie hat er sich 1936 ausgedrückt? Gibt es da Versatzstücke aus der nationalsozialistischen Propaganda, oder gibt es da auch Hinweise darauf, wozu er sich gehörig gefühlt hat? Ging es um seine Kunst? Das ist einfach nochmal ein weiterer Baustein, weil ja leider doch sehr viele negative, antisemitische Äußerungen von Emil Nolde in den letzten Jahren belegt werden konnten.

Davon haben die Lohers aber nichts mehr mitbekommen?

Nein, für sie war Nolde immer einer von ihnen. Sie haben das gar nicht in Frage gestellt. Dazu passt ja auch, dass sie 1936 diese Bilder gesehen haben, die abgehängt waren in Berlin, und Nolde zählte auch zu den Künstlern, die 1937 im Hofgarten als entartet diffamiert wurden. Deswegen gab es gar keinen Anlass für die Lohers zu denken, dass er mit dem Regime in irgendeiner Weise konform gehen könnte.

Wie schätzen Sie den Wert des Briefs ein, abgesehen von seiner kunsthistorischen Wichtigkeit?

Das kommt immer ganz auf die Nachfrage auf dem Markt an, ob beispielsweise die Nolde-Stiftung in Seebüll an so etwas interessiert ist, oder ein Sammler, der sich auf Nolde konzentriert. Es ist auf jeden Fall ein typischer Künstlerbrief, der bei Auktionen auch hohe Werte einspielen kann.

Was wäre denn Ihrer Meinung nach das Beste, was mit dem Brief passieren könnte, wenn er denn gefunden wird?

Ich denke, der Brief gehört zu Frotzhofen, er gehört zur Geschichte der Lohers und zur Geschichte der Akademie unter der Nazidiktatur. Und er ist ein ganz wichtiges Zeugnis für die Achse München-Berlin im Nationalsozialismus; dass man zeigt, wie hier der Austausch funktioniert hat, aber auch die Gleichschaltung. Natürlich sollte der Brief der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, aber im besten Fall hat er auf jeden Fall seinen Platz in Frotzhofen, beim Narrativ von Joseph Loher und Gretel Loher-Schmeck.

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