Süddeutsche Zeitung

Anzing:Bespuckt, geschlagen, ausgenommen

Autor Zekarias Kebraeb liest in Anzing von der Geschichte seiner Flucht aus Eritrea.

Von Peter Kees, Anzing

Die Plätze im Saal reichten kaum aus. Stühle und Tische wurden gerückt, Platz geschaffen für weitere Zuhörer. Manche mussten sogar stehen. Am Donnerstag las der aus Eritrea stammende Autor Zekarias Kebraeb aus seinem Buch "Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn" im Anzinger Pfarrheim. Das Interesse an der Lesung war riesig. Kebraeb ist kein Unbekannter. Anfang 2002 begann seine Flucht aus Eritrea. 2011 veröffentlichte er ein Buch, in dem er die Geschichte dieser Flucht erzählt. Das hat ihn bekannt gemacht. Heute ist er deutscher Staatsbürger, studiert in Äthiopien und berät Frontex-Beamte.

Zekarias Kebraeb wirkt offen und sanft. Seine Geschichte ist atemberaubend: Mit gefälschtem Militärpass und gekaufter Militärkleidung begibt er sich mit 17 Jahren auf die Flucht aus seinem Heimatland. Er will keinen Militärdienst in der Militärdiktatur Eritrea leisten, kein Soldat werden, sondern sehnt sich nach einem freien Leben in einer Demokratie - nicht danach, Sklave im Krieg oder Gefängnis zu werden.

Frei sein, frei handeln und frei denken zu können ist seine Maxime. Schlepper bringen ihn in den Sudan, wo er ein halbes Jahr als illegaler Flüchtling haust. Er will weiter. Für 300 Dollar wird er auf engstem Raum, ohne Essen und nur zu Beginn mit Wasser versorgt, zehn Tage lang durch die Wüste gefahren. Nach sechs Tagen will er nur noch sterben. Statt Wasser trinkt er eine Infusion, die ihm ein anderer überlässt.

Jetzt ist er in Libyen. Nach Tripolis wird er 1000 Kilometer weit wie Gemüse in Säcken auf einem Lastwagen transportiert. Wieder lebt er als illegaler Flüchtling, wird auf der Straße angespuckt und geschlagen. Für 1000 Dollar bringen ihn Schlepper unter Todesangst schließlich übers Mittelmeer nach Italien.

In Mailand lebt er Wochen unter Brücken, obdachlos, mit Nahrung von einem katholischen Priester versorgt. Er fährt in die Schweiz, wird dort aufgegriffen und zurück nach Italien abgeschoben. Illegal reist der gläubige Christ wieder in die Schweiz. Von dort aus macht er sich nach zwei gescheiterten Asylanträgen auf den Weg nach Skandinavien, wo er sein Glück zu finden glaubt. Bloß nicht nach Deutschland, denn irgendetwas weiß er vom Zweiten Weltkrieg.

Doch auf dem Weg nach Dänemark wird er im November 2004 in einem Zug nahe Oldenburg verhaftet und landet in Lübeck in Abschiebehaft. Kebraeb beantragt Asyl und wird nach Zirndorf bei Nürnberg gebracht, von dort in ein Asylwohnheim in Sonthofen. Residenzpflicht, Bildungs-, Arbeits- und Reiseverbot führen zu totaler Langweile. Schließlich wird er wegen unerlaubten Schulbesuchs zu 1000 Euro Geldstrafe verurteilt. Irgendwann erhält er eine Ausbildung, zwei Jahre nach der Veröffentlichung seines Buches bekommt er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Kebraeb weiß, wie Todesangst riecht und welche Farbe sie hat. Er weiß, was es wirklich bedeutet, Durst zu haben. Bei der Meeresüberquerung in einem kleinen Boot bei Sturm mit großen Wellen rieche man den Tod, erzählt er. Seinen Rettern der italienischen Marine ist er dankbar. Als er aufgrund seines Buches Jahre später von Frontex eingeladen wird, seine Geschichte vor Grenzpolizisten zu erzählen, stockt er.

Eigentlich müsste er gegen sie sein, doch er begreift, dass er eine Botschaft hat: Grenzer müssen Grenzen schützen und Flüchtlinge müssen fliehen, aber beide Seiten sollten erkennen, dass sie keine Gegner sind. Respekt ist das, was sie voreinander haben sollten. Wovor hat Europa eigentlich Angst, fragte er sich oft.

Das Publikum in Anzing sitzt wie gebannt und lauscht dem charismatischen jungen Mann. Die Ausschnitte, die er aus seinem Buch liest, berühren. Auf die Frage, was er anderen Flüchtlingen raten würde, antwortete er: deutsch lernen. Selbst, wenn einem Asylantrag nicht stattgegeben wird, sei das Lernen einer Sprache von unschätzbarem Wert, auch wenn man das Land wieder verlassen müsse. Hier sitzen und einfach warten, helfe nicht.

Zugleich betont er, dass sich das Asylverfahren hierzulande inzwischen deutlich verbessert habe. Bildungs-, Arbeits- und Reiseverbote gehörten in der Regel der Vergangenheit an. Wunderbar war sein kleiner Versprecher, als er eigentlich "ich als Deutscher" sagen wollte, ihm aber "ich als Eritreer" herausrutschte. Das ist genau das, was wir von ihm lernen können: Der Blick auf die eigenen Wurzeln zeigt häufig, wie es um nationale Identitäten bestellt ist. Oft stammen schon die Groß- oder Urgroßeltern von ganz woanders her. Beeindruckend war in Anzing der spürbare Respekt der Zuhörer vor Zekarias Kebraeb, einem großartigen Menschen.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2015
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