Judenhass:"Alarmierende Vernichtungsphantasien"

Judenhass: Ein Mitarbeiter der TSG München (Technische Sondergruppe) zeigt für das Foto, wie er zuvor den verdächtigen Brief in der Nürnberger Filiale entfernt hatte.

Ein Mitarbeiter der TSG München (Technische Sondergruppe) zeigt für das Foto, wie er zuvor den verdächtigen Brief in der Nürnberger Filiale entfernt hatte.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung: In Markt Schwaben sind am Wochenende antisemitische Flugblätter verteilt worden, die mit ihrem Inhalt sogar Fachleute verstören.

Von Barbara Mooser, Markt Schwaben

Es war eine verstörende Lektüre, die am Wochenende mehrere Markt Schwabener im Briefkasten hatten. Eine Bürgerin erzählt, sie habe nach der Hälfte der Seite aufgehört zu lesen, so fürchterlich war der Inhalt des einseitig eng beschriebenen Blattes. "Hass und Feigheit sind gepaart", beschreibt ein anderer Markt Schwabener das Flugblatt, denn ein Absender ist nicht angegeben. Es wirkt fast, als habe der Verfasser sich alle derzeit kursierenden Verschwörungstheorien - von Corona bis Chemtrails - zu eigen gemacht und sie noch zugespitzt. Eines aber durchzieht den Text von vorn bis hinten: aggressiver Judenhass, bis hin zu der Aufforderung, bis Jahresende 2023 alle Juden weltweit "zu liquidieren".

Eingebettet ist sie in wirre Gedankenstränge, in denen es immer wieder um die Coronaimpfung geht, daneben um George Soros, Bill Gates, Japankäfer, Tornados, auch Hitler, der nach Überzeugung des Autors Jude war und nach dem Zweiten Weltkrieg - "ist kaum bekannt!" - noch 20 Jahre lang in Argentinien lebte.

Es gab schon mal Flugblätter, allerdings nicht mit derart heftigen Inhalten

Derjenige, der diese Positionen vertritt, war möglicherweise persönlich in Markt Schwaben unterwegs oder hat die Hilfe von Gleichgesinnten in Anspruch genommen. Die Flugblätter sind nicht mit der Post verschickt, sondern direkt in die Briefkästen gesteckt worden. In dem Markt Schwabener Wohngebiet im Norden der Marktgemeinde, aus dem die Einwürfe gemeldet wurden, sind Wohnanlagen offenbar ebenso abgeklappert worden wie Einfamilienhäuser.

Vermutlich wurde der Flyer aber nicht flächendeckend verteilt, bei Bürgermeister Michael Stolze gab es bis zum Dienstagnachmittag jedenfalls noch keine entsprechenden Rückmeldungen. Zwar sei er vor einigen Wochen über Flugblätter informiert worden, die offenbar in Zusammenhang mit dem Protest gegen Corona-Maßnahmen standen, diese habe er sicherheitshalber an die Polizeiinspektion Poing weitergeleitet, erzählt der Bürgermeister. Inhaltlich seien diese aber nicht zu vergleichen mit denen, die jetzt aufgetaucht sind.

Die Zahl der antisemitischen Taten und Äußerungen nimmt zu

Diejenigen, die solche Pamphlete bisher noch nicht in der Hand hatten, sind vom aktuellen Flugblatt schockiert und angewidert, doch auch auf jene, die sich von Berufs wegen täglich mit Antisemitismus und Rechtsextremismus beschäftigen, wirkt es "extrem krass", wie es Florian Rieder von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern ausdrückt. Sehr ähnlich fällt die Wertung von Felix Balandat aus, er ist Fachmann an der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS): "Man merkt, dass der Verfasser den krassen Drang hat, seinen Antisemitismus zu verbreiten, indem er sich die Mühe macht, diese Zettel in Briefkästen zu stecken. Insbesondere die antisemitischen Vernichtungsphantasien in dem Text sind alarmierend. Denn der Antisemitismus drängt zur Tat und am Ende wollen Antisemiten nur eins: Dass es auf der Welt keine Juden mehr gibt."

Auch wenn Balandat das aktuelle Flugblatt bisher nicht gekannt hat, eine Ausnahme ist es nicht. "Wir beobachten seit längerem, insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie, eine Zunahme von antisemitischen Taten und Äußerungen. Auch antisemitische Flugblätter, Postkasteneinwürfe oder Massenbriefe werden uns in letzter Zeit häufiger gemeldet. Grundsätzlich kann man sagen, dass in Krisenzeiten Antisemitismus wieder stärker auflebt. Meist sind die Aussagen aber mehr verklausuliert, so direkt wie in diesem Schreiben tritt der Antisemitismus selten zu Tage. Das entlarvt natürlich auch in gewisser Weise die Verschwörungserzählungen, die wir seit einer Weile beobachten", sagt er. Auch Florian Rieder findet das "Potpourri aus allen Verschwörungstheorien" besonders auffallend. Zwar sei das Milieu der Corona-Proteste divers, ein Bindeglied sei allerdings "die Anschlussfähigkeit an Antisemitismus".

Einer der Markt Schwabener, die den Zettel erhalten haben, hat bereits am Samstag Anzeige erstattet. Die Kriminalpolizei Erding hat die Ermittlungen wegen Volksverhetzung aufgenommen, wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord bestätigt.

In der Vergangenheit waren immer wieder insbesondere im Zusammenhang mit den Corona-Protesten antisemitische Straftaten vor dem Ebersberger Amtsgericht verhandelt worden. Zuletzt war im März ein Mann wegen Volksverhetzung verurteilt worden, der bei einer Demonstration in Poing die Lage der Corona-Kritiker mit jener der verfolgten Juden im Nationalsozialismus verglichen hatte. Einen Monat zuvor stand ein Mann vor Gericht, der das Foto eines verbotenen Neonazi-Plakates auf Facebook geteilt hatte, ebenfalls im Kontext von Corona-Maßnahmen. Im Vorjahr hatte sich ein führender Kopf der örtlichen "Querdenker"-Szene vor Gericht verantworten müssen, er hatte an mehreren Geschäften Plakate aufgehängt, die sich gegen die Corona-Politik wenden sollten und an die Judenverfolgung im Nationalsozialismus erinnerten.

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