Ausstellung in Ebersberg:Dem Feind ein Gesicht geben

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Andreas Mitterer, Chef des Ebersberger Kunstvereins, zeichnet seit Ende März täglich ein Virus. An diesem Wochenende sind seine "Erregas", allesamt Katalysatoren für die Fantasie, im Studio an der Rampe zu sehen.

Von Anja Blum

Wird über das Coronavirus berichtet, liefern die Medien dazu immer ein und dieselbe schematisierte Darstellung, die typische Kugel mit Saugnäpfen rundherum. Klar, denn mit dem bloßen Auge ist das Virus ja nicht zu erkennen, wie es tatsächlich aussieht, weiß also keiner so genau. Die dominante Vorlage aber hat Andreas Mitterer dazu angeregt, kreativ zu werden: Der Ebersberger Künstler zeichnet seit dem Lockdown Ende März täglich mindestens ein Virus, allerdings solche, die kaum etwas gemein haben mit der ursprünglichen Form. Quasi lauter Mutationen von Sars-Cov2 - wie sie seiner Fantasie entspringen. "Erregas" nennt ihr Schöpfer sie, fast liebevoll. "Wie kann man Dinge abbilden, die gerade erst begreifbar werden? Das interessiert mich", sagt Andreas Mitterer. Wer genauso neugierig ist: An diesem Wochenende sind die "Erregas" im Studio an der Rampe zu sehen, parallel zur Ausstellung von Daniel Man in der Alten Brennerei. Beide Galerien des Ebersberger Kunstvereins, dessen Vorsitzender Mitterer ist, befinden sich im Klosterbauhof.

Um seine "Erregas" entstehen zu lassen, braucht Mitterer nicht viel: einfache braune Wellpappe und einen Tuschepinsel. Damit bespielt er gekonnt die Klaviatur des zeichnerischen Ausdrucks: schafft filigrane Strukturen genauso wie weiche Verläufe, setzt helle bis dunkle Schattierungen. Jedes Bild ist einer einzigen Mutation gewidmet. Ganz im Sinne des allmählichen Begreifens wandeln die Darstellung im Grenzbereich zwischen abstrakt und narrativ. "Wenn sich ein Strich zu einer Figur entwickelt, oder langsam ein Raum, eine Struktur entsteht, wenn eine Zeichnung anfängt, etwas zu erzählen", wenn das eigentlich Unsichtbare sichtbar wird: Dieser Moment ist es, der Mitterer fasziniert. Um ihn auszuloten, lässt er sich seit dem Lockdown täglich beim Zeichnen auf ein Spiel mit der Intuition ein. Die Erregas-Kompositionen seien nicht gesteuert, sagt er, sondern entstünden ganz spontan.

Das Ergebnis ist ein wildes Panoptikum an Gebilden, allesamt von organischer Anmutung. Es dominieren runde, weiche Formen, man erahnt Arme, Beine, Münder, Blasen, Eruptionen, Dornen, Zellstrukturen, Verschlingungen. Manche dieser Viren kommen so dynamisch daher wie außerirdische Flugobjekte, andere eher statisch wie langsam im Wasser treibende Organismen, wieder andere scheinen zu laufen. Manche wirken sehr freundlich, andere eher rätselhaft, teils sogar etwas bedrohlich. Schnell fängt die eigene Fantasie an, diesen fiktiven Erregern Eigenschaften zuzuschreiben, vielleicht sogar Superkräfte wie in einem Comic. Mitterers Gestaltung legt diese Assoziation teils selbst nahe. Doch gegen wen oder was setzen seine Figuren ihre Kräfte ein? Sind sie Bösewichte? Oder Helden? "Ach, man wünschte sich, sie würden sich in ihrem ganz eigenen Kosmos einfach gegenseitig bekämpfen", sagt die BR-Journalistin Tanja Gronde in ihrem Radiobeitrag über Mitterers "Erregas".

Es ist eine völlig abstrakte Gefahr, wegen der die Gesellschaft hierzulande ihr Leben derzeit komplett auf den Kopf gestellt hat - "das hat fast was Mystisches", sagt Mitterer. Dank seiner Zeichnungen aber kann man nun dem Feind ins Gesicht sehen, die Kunst macht ihn sichtbar, greifbar, und nimmt ihm dadurch vielleicht auch ein Stück seiner Macht. "Es sind Figuren und Motive entstanden, die wenigstens darauf hinweisen, wie wir uns das Virus vorstellen könnten, das derzeit unser ganzes Leben umkrempelt", sagt der 50-Jährige. Wohlwissend, dass es vermutlich ganz anders aussehe.

"Ich bin kein Romantiker, der glaubt, nach der Krise sei alles ganz anders", erklärt der Chef des Ebersberger Kunstvereins. Aber genau jetzt, während des Lockdowns, gebe es eben die Möglichkeit, an Veränderungen zu arbeiten, um zum Beispiel auf den Kollaps der Wirtschaft mehr Gerechtigkeit folgen zu lassen. Insofern geht es Mitterer bei der Kunst auch immer um Kommunikation, um den Austausch. Deshalb sind seine Erregas nun nicht nur in einer analogen Ausstellung zu sehen, sondern auch online, auf Facebook und Instagram. Und tatsächlich: Die Serie "Erregas" funktioniert selbst auf dem Bildschirm sehr gut - vermutlich, weil sie sehr zugänglich ist und trotzdem viel Spielraum für eigene Interpretationen lässt. Alle Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen rund um die Pandemie lassen sich in Mitterers Zeichnungen wiederfinden.

Dass seine Covid-Kunst im Netz auf viel Anerkennung stößt - worüber so mancher akademische Kollege möglicherweise die Nase rümpfen würde - nimmt Mitterer ganz gelassen. "Nur, weil etwas Spaß macht, heißt das nicht, dass es nicht gut ist", sagt er. Und wenn seine Zeichnungen nur dazu beitrügen, die Menschen für einen Moment aus ihren negativen Gedankenschleifen rund um die Pandemie zu holen, dann sei schon viel gewonnen. Also: Ein Ausflug zum Kunstverein Ebersberg an diesem Wochenende wird dringend empfohlen!

"Erregas": Ausstellung von Andreas Mitterer im Studio an der Rampe des Ebersberger Kunstvereins im Klosterbauhof: zu sehen an diesem Freitag, 15. Mai, von 16 bis 20 Uhr, sowie Samstag und Sonntag, 16./17 Mai, jeweils 14 bis 18 Uhr (parallel zur Ausstellung von Daniel Man in der Alten Brennerei). Die Abstands- und Hygienevorschriften werden akribisch eingehalten, Einlass nur mit Maske.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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