Süddeutsche Zeitung

An der VHS Oberhaching:Entschleunigung mit Stift und Pinsel

Lesezeit: 2 min

Schreiben für den besonderen Anlass: Die Kalligrafin Karin Reichert aus Markt Schwaben gibt Handlettering-Kurse für Einsteiger

Von Leo Kilz, Markt Schwaben

Das Handy ist fast leer, die Kinder kommen gleich aus der Schule, das Mittagessen hat einen Fettfleck auf der Bluse hinterlassen und dann auch noch Stau: Im alltäglichen Wahnsinn sehnen sich viele nach Entschleunigung, nach Digital Detox und Zeit für sich selbst. All das sind Gründe, warum Menschen bei Karin Reichert aus Markt Schwaben Handlettering und Brushlettering lernen möchten. Das schöne Schreiben mit dem Filzstift, Fineliner oder Pinsel hat Konjunktur. Egal, ob auf Grußkarten, Postern oder Tischkärtchen: Vor allem, wer es gerne verziert und bunt mag, ist in ihrem Kurs an der Volkshochschule Oberhaching richtig.

Lettering ist mehr als Schönschrift. Bei Karin Reichert geht es nicht darum, die eigene Handschrift zu verbessern. Auch sie habe eine ganz normale Schrift, sagt sie. Und außer Einkaufszettel schreibe sie im Alltag ohnehin kaum noch etwas mit der Hand. In ihren Kursen lernt man das langsame Schreiben für den besonderen Anlass. Die Wurzeln des Lettering liegen in der Gestaltung von Sprechblasen für Comics. Heute ist aus "Zack!", "Keuch!" und "Bumm!" eine eigene Kunstform entstanden. Einzelne Wörter und Sätze werden zu kleinen Kunstwerken.

Am Computer entstehen schnell makellose Grußkarten, Spruchbanner oder Hinweisschilder. Aber das Ergebnis sei oft unpersönlich und austauschbar, so Reichert. Diese digitale Perfektion von der Stange wollten viele ihrer Kursteilnehmerinnen hinter sich lassen. Gerade bei Geschenken sei es wichtig, sich Zeit zu nehmen, findet die Kursleiterin.

Als Verlagskauffrau betreute Karin Reichert Bildbände und Kunstdrucke, aber das Kreative kam ihr dabei zu kurz. So beschloss sie, ihre Leidenschaft aus Jugendtagen zum Beruf zu machen. Reichert besuchte Kalligrafie-Kurse, wälzte Bücher und übte fleißig. Seit 2015 arbeitet die heute 51-Jährige als Kursleiterin und Kalligrafin. "Ich liebe es, mein Wissen weiterzugeben. Alles, was ich weiß, gebe ich preis.", verspricht sie. Es sind fast ausschließlich Frauen, die sich zu Reicherts Workshops anmelden. In sieben Jahren waren gerade einmal zwei Männer da. Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Teilnehmerinnen, berät sie oft über den Kurs hinaus in persönlichen E-Mails zu deren aktuellen Projekten, wenn zum Beispiel Jubiläen oder runde Geburtstage anstehen.

Wer zu Reichert in den Kurs kommt, muss nichts mitbringen - "nur gute Laune", sagt sie. Alle bekommen ein Starter-Set, in dem alle Materialien und Werkzeuge miteinander kombiniert werden können, damit man sofort loslegen kann. Handlettering liefert schneller Erfolgserlebnisse als die klassische Kalligrafie, das weiß Reichert aus Erfahrung. Bannzugfeder und Spitzfeder - die Werkzeuge der Kalligrafen - seien nun einmal schwieriger zu bedienen als Stifte. Kein Wunder also, dass ihre Lettering-Kurse meistens ausgebucht sind, während in der Kalligrafie ein paar Plätze frei bleiben.

Im Lockdown hat Karin Reichert Online-Kurse organisiert. Alle Teilnehmenden bekamen das Set per Post zugeschickt - das kostete aber Zeit und Geld. "Wir haben im vergangenen Jahr alle nichts verdient, die Veranstalter nicht und ich auch nicht", sagt Reichert. Heuer läuft es wieder besser und sie hat ihr Portfolio erweitert: Beim Ecoprint arbeitet die Kalligrafin mit Blättern und anderen organischen Materialien. 2022 will sie sich vielleicht an die Aquarell-Malerei wagen. Im November gibt Karin Reichert dann einen weiteren Kurs an der VHS Oberhaching: weihnachtliches Handlettering für Fortgeschrittene. Wer da dabei sein will, sollte allerdings schon den Grundlagenkurs besucht haben. Am Samstag, 16. Oktober, geht es los.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2021
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