Amtsgericht Ebersberg:Wo kein Kläger

Weil das vermeintliche Opfer einer Schlägerei nicht vor Gericht erscheint, werden die Angeklagten freigesprochen

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

In aller Regel haben Opfer von Gewaltverbrechen durchaus ein Interesse daran, zu erfahren, welches Urteil den oder die Täter erwarten wird. Es gibt aber offenbar auch Ausnahmen: Am Ebersberger Amtsgericht mussten sich nun zwei junge Männer wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten - und während die beiden brav auf der Anklagebank Platz nahmen, fehlte vom vermeintlich Geschädigten jede Spur. Der 19-Jährige hatte den Vorfall zwar selbst angezeigt, machte sich dann aber aus dem Staub und war selbst für das Gericht nicht mehr auffindbar. Das wiederum kam den beiden Angeklagten zugute, denn sie wurden mangels Beweisen freigesprochen.

So weit wäre es wohl kaum gekommen, hätten sich die Vorwürfe aus der Anklageschrift bewahrheitet - denn diese wogen durchaus schwer. Demnach sollen die beiden Männer, 21 und 20 Jahre alt, Anfang Juni 2019 in einer Flüchtlingsunterkunft im mittleren Landkreis einem Bewohner aufgelauert und diesen zusammengeschlagen haben. Einer der beiden soll das vermeintliche Opfer unter einem Vorwand vor die Tür gelockt haben, wo sein Komplize bereits gewartet hat. Dieser, so der Staatsanwalt, habe dem Geschädigten zunächst unvermittelt mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Anschließend seien beide gemeinsam auf ihr Opfer losgegangen und sollen diesem Faustschläge ins Gesicht und einen Tritt in den Genitalbereich verpasst haben.

Dieser Darstellung allerdings widersprachen die beiden Angeklagten vehement - zumindest dem Teil, wie es zu der Rauferei gekommen war. Denn dass an dem Abend ein paar Fäuste geflogen sind, wollte niemand abstreiten. "Wir haben Schlägerei gemacht", sagte der 21-Jährige vor Gericht. Der Grund dafür sei aber nicht etwa ein Angriff oder gar ein Hinterhalt ihrerseits gewesen, sondern weil das vermeintliche Opfer zunächst ohne ersichtlichen Grund seinen Freund beleidigt habe. "Später hat er dann eine Bierflasche genommen und wollte ihn schlagen", so der Angeklagte weiter.

Als sie den Mann kurz darauf wieder getroffen haben, sei dieser mit den Fäusten auf sie losgegangen. Dann habe er sich eben gewehrt, sagt der 21-Jährige. Die gleiche Geschichte erzählte auch der andere Angeklagte. Er selbst habe sich bei der Schlägerei rausgehalten, da er keinen Ärger bekommen wollte. "Das in der Anklage ist absolut erfunden. Diesen Vorfall gab es gar nicht", sagt der 20-Jährige.

Ob dem tatsächlich so war, darüber hätte womöglich der Mann Auskunft geben können, der die Sache bei der Polizei angezeigt hatte. Doch der war von den Behörden nicht mehr auffindbar. Wie Jugendrichter Dieter Kaltbeitzer sagte, habe sich der junge Mann an seinem Wohnsitz abgemeldet und sei seither untergetaucht. Zwar verlas der Vorsitzende die schriftliche Aussage des 19-Jährigen, in der er den Vorfall wie in der Anklage geschildert hatte, ein persönliches Bild von dem womöglich Geschädigten konnte sich Kaltbeitzer allerdings nicht machen.

Und so musste sich der Richter auf zwei Zeugenaussagen stützen. Auf eine Polizistin, die den Fall aufgenommen hatte, habe der Mann "einen recht glaubwürdigen Eindruck gemacht", wie sie vor Gericht sagte. Er habe sich zumindest bei seiner Aussage auf der Wache an viele Details erinnern können. Ein ehemaliger Betreuer in der Flüchtlingsunterkunft sagte, der 19-Jährige sei noch in derselben Nacht weinend bei ihm im Büro aufgetaucht. Dort habe er angegeben, er sei gerade angegriffen worden. Den Vorfall selbst aber hatte der Betreuer nicht gesehen.

Für das Gericht war die Beweislage am Ende schlicht zu dünn, als dass es für eine Verurteilung der beiden Männer gereicht hätte. "Es steht Aussage gegen Aussage", sagte Kaltbeitzer. Für eine abschließende Beurteilung hätte er das mögliche Opfer persönlich hören müssen. "Ich kann nicht einschätzen, ob die Vorwürfe zutreffend sind oder nicht", so der Richter, der die beiden Männer mit Einverständnis des Staatsanwalts freisprach.

Zumindest für einen von beiden hat die Verhandlung aber noch ein kleines Nachspiel, denn er muss 240 Euro für die Einstellung seines Verfahrens zahlen. Neben der gefährlichen Körperverletzung war der 21-Jährige nämlich auch noch wegen des Vorwurfs der Hehlerei angeklagt, da er ein gestohlenes Mountainbike für 170 Euro gekauft hatte. Weil das Rad aber einen Neupreis von rund 1000 Euro hatte, lag der Verdacht nahe, der Mann hätte ahnen können, dass es sich um Diebesgut handelt. Vor Gericht erklärte er aber, er habe einfach nur ein Fahrrad gebraucht und sich nichts weiter dabei gedacht. Für einen Freispruch reichte dem Gericht diese Aussage nicht, um eine Verurteilung aber kam der Mann durch besagte Zahlung aber ebenfalls herum.

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