Amtsgericht Ebersberg:Verräterisches Verzeichnis

Ein kurzes Video eines nackten Buben auf einem zufällig von der Polizei beschlagnahmten Mobiltelefon hat sehr teure Folgen für einen 35-Jährigen

Von Wieland Bögel, Ebersberg

Kommissar Zufall, in der offiziellen Sprache der Juristen auch Zufallsfund genannt, hat nun zur Verurteilung eines Mannes wegen Besitzes von Kinderpornografie geführt. Bei einer Polizeiaktion im vorvergangenen Jahr war auch das Smartphone des 35-Jährigen beschlagnahmt worden. Bei der Auswertung stießen die Ermittler dann auf ein 38 Sekunden langes Video. Zu sehen sind Nacktaufnahmen eines etwa dreijährigen Buben. Das Amtsgericht Ebersberg stellte dem Besitzer des Telefons daraufhin einen Strafbefehl von 90 Tagessätzen zu je 40 Euro aus. Dagegen legte der Mann Einspruch ein.

In der Hauptverhandlung bestritt der Angeklagte über seine Verteidigerin und seinen Dolmetscher, dass er mit dem betreffenden Video irgendetwas zu tun habe. Das fragliche Mobiltelefon gehöre zwar ihm, das Video habe er aber nie zuvor gesehen, lediglich Standbilder davon, die ihm die Polizei gezeigt hatte. Diese war auf den Angeklagten, der damals im nördlichen Landkreis Ebersberg wohnte, aufmerksam geworden, weil er sich in einer Wohnung aufhielt, welche durchsucht wurde. Der Verdacht damals: Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie allerdings gegen den Bewohner und eben noch nicht gegen den nun Angeklagten. Der, so schildert es ein an der Aktion beteiligter Beamter, habe eines der mehr als 20 beschlagnahmten Geräte als sein Eigentum bezeichnet. Bei der späteren Auswertung wurde dann eben dieses Video mit dem nackten Buben gefunden.

Die Verteidigung vermutet ein Versehen, der IT-Experte kann dafür keine Anzeichen erkennen

Etwas Verwirrung gab es noch, weil die Asservate offenbar durcheinandergekommen waren. So hatten die Ermittler dem Angeklagten das Telefon, auf dem sich das Video befunden hatte, zurückgeschickt, stattdessen eines behalten, auf dem keine illegalen Dateien vorhanden waren. Allerdings war das fragliche Gerät zuvor von einem Sachverständigen untersucht worden, auf den Fotos im Bericht identifizierte der Angeklagte vor Gericht das Telefon mit dem Video als seines, beteuerte aber weiter, von diesem nichts gewusst zu haben.

Wie der Sachverständige vor Gericht erklärte, habe sich die Datei im Gesendet-Ordner eines auf dem Gerät installierten Messenger-Dienstes befunden, weshalb die Anklage auch auf Verbreitung von Kinderpornografie lautete. Woher das Video kam und wohin es geschickt wurde, sei dagegen nicht mehr festzustellen, so der Experte, da der Chatverlauf gelöscht wurde - aber eben nicht die Kopie des versendeten Videos. Weitere einschlägige Dateien seien aber nicht auf dem Gerät des Angeklagten gefunden worden, so der Zeuge auf Nachfrage der Verteidigerin.

Sie stellte auch die Frage, ob der Angeklagte das Video nicht vielleicht aus Versehen irgendwo heruntergeladen und ebenfalls versehentlich in dem Ausgang-Ordner gespeichert haben könnte. Grundsätzlich schon, so der Experte, allerdings benenne der Messenger-Dienst die versendeten Dateien nach dem Kopieren in den Ordner um. Auch beim fraglichen Video sei dementsprechend der Dateiname geändert und mit einer Zeitangabe versehen worden. Zwar könne man diese Umbenennung manuell vornehmen, wenn man das System kenne, nach dem das Programm die Dateinamen modifiziert. Warum man dies allerdings tun solle, dafür könne er sich keine Erklärung denken, das sei ein "sehr untypisches Nutzerverhalten".

Ebenso möglich aber genauso unwahrscheinlich sei, dass das Gerät manipuliert worden sei, etwa durch ein Virus. Zwar gebe es Schadprogramme, mit denen man ein fremdes Gerät fernsteuern - und also auch Videos verschicken - könne. Allerdings habe man erstens auf dem Gerät des Angeklagten keine solche Software festgestellt und zweitens gehe es dabei fast immer um finanzielle Interessen, wie etwa Diebstahl sensibler Daten oder Erpressung. "Dass Schadsoftware Kinderporno-Videos verschickt, wäre zwar möglich, ich habe das aber noch nie gesehen", so das Fazit des IT-Fachmannes.

Am Ende geht es nicht mehr um den Sachverhalt sondern nur noch um die Höhe der Geldstrafe

Richterin Vera Hörauf regte eine Besprechung der Verteidigerin mit ihrem Mandanten an. Angesichts des Gutachtens sei eher eine höhere Geldstrafe denkbar. Dies liegt daran, dass ein akzeptierter Strafbefehl als Geständnis gewertet und dem Angeklagten gutgeschrieben wird.

Nach längerer Unterredung zog der Angeklagte den Einspruch teilweise zurück, lediglich die Höhe der Tagessätze stand noch zur Debatte. Als Reinigungskraft in Kurzarbeit verdiene er derzeit lediglich etwa 1100 Euro im Monat, so die Begründung. Die Staatsanwaltschaft folgte dem Argument und beantragte eine Reduzierung auf 30 Euro, die Verteidigung auf zehn. Das Gericht folgte dem ersten Antrag, somit muss der Verurteilte 2700 Euro zahlen. Er nahm das Urteil an, beantragte aber Ratenzahlung.

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