Amtsgericht Ebersberg:"Wie oft ich beleidigt worden bin, ist außergewöhnlich"

Stiefmutter soll Vierjährigen getötet haben

Symbolfoto.

(Foto: dpa)

Polizisten berichten vor Gericht, wie ein 59-jähriger Mann sie beschimpft, bedroht und eine Beamtin verletzt.

Aus dem Gericht von Andreas Junkmann, Ebersberg

Wohin die Reise eigentlich gehen sollte, konnte der Angeklagte nicht mehr sagen. Wo sie für ihn endete, stand dagegen fest: gefesselt in der Dienststelle der Poinger Polizei. Dazwischen lagen etwa zwei Stunden, in denen sich der 59-Jährige aus dem Kreis Mühldorf einmal quer durch das Strafgesetzbuch gearbeitet hatte. Von Trunkenheit im Verkehr, über Bedrohung und Beleidigung, bis zum tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte samt vorsätzlicher Körperverletzung reichte die Liste der Vergehen, die der Mann an jenem Abend Anfang Januar gesammelt hatte. Dafür musste er sich nun vor dem Amtsgericht Ebersberg verantworten.

"Das Ausmaß, wie oft ich an dem Abend beleidigt worden bin, ist außergewöhnlich", sagte ein Polizeibeamter im Zeugenstuhl, als ihn die Ebersberger Richterin Vera Hörauf zu den Ereignissen jener Nacht befragte. Diese hatten ihren Lauf genommen, als der Angeklagte gegen 18 Uhr im nördlichen Landkreis Ebersberg in einen Laden gegangen war, um sich eine Flasche Wodka zu kaufen. Er habe an diesem Tag erfahren, dass seine Ex-Freundin einen neuen Partner hat, ließ er vor Gericht durch seinen Verteidiger mitteilen. Dann seien ihm die Sicherungen durchgebrannt.

Dass das keine Übertreibung ist, macht der weitere Verlauf des Abends deutlich: Nachdem er die Flasche Schnaps geleert hatte, setzte sich der Mann ans Steuer seines Wagens und fuhr los. Wohin er wollte, konnte er nicht mehr sagen. "Meine Erinnerung hat schon während dem Trinken ausgesetzt", sagte er. Weit jedenfalls ist er nicht gekommen, denn eine Polizeistreife stoppte ihn für eine Routinekontrolle.

Nachdem den Beamten sofort starker Alkoholgeruch entgegenschlug, wollten sie einen entsprechenden Test durchführen. Da jedoch spielte der Angeklagte nicht mit, verbarrikadierte sich in seinem Wagen und überzog die Polizisten mit wüsten Beschimpfungen. Schließlich drohte er auch noch, zuerst die Beamten und dann sich selbst zu erschießen. Im Handschuhfach habe er "eine Knarre", behauptete er, was sich wenig später als Lüge herausstellte.

Mit gezogenen Waffen umstellen die Polizisten den Mann

Als die Polizisten das Auto mit gezogener Waffe umstellten, stieg der Angeklagte doch aus und ließ sich unter weiteren Beleidigungen in den Dienstwagen verfrachten. In der Polizeistation angekommen, wollten die Beamten nach einem Atemalkoholtest, der einen Wert von 2,44 Promille anzeigte, eine Blutentnahme durchführen - was der 59-Jährige laut übereinstimmender Zeugenaussagen so erwiderte: "Wenn ihr mein Blut wollt, müsst ihr mich schon schlagen."

Als die Polizisten den renitenten Angeklagten schließlich packten, drohte er einem Beamten, ihn umzubringen und schlug wild mit Armen und Füßen um sich. Dabei erwischte er eine 27-jährige Polizistin am Bein, die eine offene Wunde davontrug. Weil sich die Verletzung später entzündete, war die Frau vorübergehend dienstunfähig und trägt noch heute eine Narbe von dem Vorfall.

An den sich der Angeklagte nun vor Gericht nicht mehr erinnern konnte. Er sei erst wieder zu sich gekommen, als er schon gefesselt in der Polizeistation saß. Was an jenem Abend in ihn gefahren sei, könne er sich heute nicht mehr erklären. Der Angeklagte nutze vor Gericht auch die Möglichkeit, sich bei jedem der Polizeibeamten einzeln zu entschuldigen. Mit der Frau, die er am Bein verletzt hatte, vereinbarte er noch vor Prozessbeginn einen Vertrag über ein Schmerzensgeld von 2500 Euro.

An der Schuld des Mannes gab es vor Gericht also keinerlei Zweifel. Die Frage lautete eher, ob die Taten tatsächlich im Vollrausch passiert waren oder ob der Angeklagte noch halbwegs Herr seiner Sinne war - und entsprechend auch härter zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Mehrere Polizeibeamte sagten aus, dass der Angeklagte durchaus klar bei Verstand zu sein schien.

"Ihm war bewusst, was er zu dem Zeitpunkt falsch gemacht hat", so einer der Zeugen. Auch die Gutachterin vom Institut für Rechtsmedizin in München erkannte Hinweise darauf, dass der Mann offenbar nicht im absoluten Delirium war. "Ein kompletter Filmriss ist unwahrscheinlich", sagte sie. Der Angeklagte habe zwar ein "nicht rational angepasstes Aggressionsverhalten" an den Tag gelegt, eine komplette Schuldunfähigkeit könne sie aber ausschließen.

Dieser Einschätzung folgte auch Richterin Hörauf, die in ihrem Urteil nochmals darauf verwies, dass vor allem die Bedrohung durch die vermeintliche Waffe auch schnell anders hätte enden können. Zudem sei die Verletzung der Beamtin massiv. "Das schaut schon sehr gruselig aus", so die Vorsitzende, die den mehrfach, zum Teil einschlägig vorbestraften Mann schließlich zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilte. Zudem muss er sich in eine ambulante Alkoholtherapie begeben und neben dem Schmerzensgeld auch noch 2000 Euro als Geldauflage an eine Suchtberatungsstelle zahlen. Der Angeklagte nahm das Urteil an.

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