Die junge Frau wird noch belehrt, ehe die Nebenklägervertreterin beantragt, die Vernehmung der Zeugin unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorzunehmen. Dem Antrag wird stattgeben - es bleibt also nur zu vermuten, was die 17-Jährige dem Schöffengericht am nun schon dritten Verhandlungstag von der Faschingsfeier in der Stadthalle Grafing im März vor zwei Jahren erzählen wird. Die Urteilsverkündung später macht deutlich, dass ihre Aussagen die spärliche Beweislage wohl nicht verbessert haben: Der Angeklagte wird freigesprochen.
Dem 20-Jährigen aus dem östlichen Landkreis wurde vorgeworfen, das damals 15-jährige Mädchen hinter der Stadthalle Grafing erst zum Oralverkehr gezwungen zu haben, später dann an einem nahe gelegenen Ort auf einem Steinhaufen vergewaltigt zu haben. Ein Foto ihres nackten Oberkörpers, das er bei dem ersten Vorfall aufgenommen haben soll, diente als Druckmittel, niemanden von der Tat zu erzählen, so heißt es in der Anklage.
Als die Hauptverhandlung wieder öffentlich weitergeführt wird, werden Chatverläufe der Geschädigten und des Angeklagten verlesen. Hier ist weder von einem Foto die Rede, noch von einem Geständnis, ein Umstand, den auch der Verteidiger des Angeklagten in seinem Plädoyer anbringen wird. Er sowie die Vertreterin des Jugendamts betonen das gute familiäre Umfeld des Angeklagten, der daheim mithilft und sich um Ausbildung und Studium kümmert. Das Bild eines Sexualstraftäters passe nicht, sagte der Verteidiger. Dieses werde gezeichnet von Leuten, die den Anschuldigungen der Geschädigten - dies sei kein Vorwurf, nur eine Feststellung - nicht mit Skepsis begegnen würden.
Anders als die Nebenklagevertreterin - sie halte den Sachverhalt für erwiesen - sagt die Staatsanwältin schließlich, dass der Tatnachweis nicht zweifelsfrei zu führen sei. In den Aussagen der mutmaßlich Geschädigten gebe es chronologische Abweichungen, was eher für die Wahrheit spreche und nicht für eine erfundene Geschichte. Aber es stehe klassisch "Aussage gegen Aussage". Zeugen konnten nichts zu den Vorwürfen sagen, man habe die beiden lediglich gemeinsam an der Mauer stehen sehen. Auch gebe es das vermeintliche Foto nicht, die damals 15-Jährige habe sich auch keiner gynäkologischen Untersuchung unterzogen. "Ich halte die Zeugin nicht für unglaubwürdig", so die Staatsanwältin, allerdings müssten die Taten zweifelsfrei bewiesen werden.
Die Staatsanwältin habe den richtigen Schluss gezogen, so der Verteidiger des Angeklagten. Der junge Mann sei schon bei Betreten der Halle stark alkoholisiert gewesen, so der Anwalt, wie solle er in dem Zustand in so kurzer Zeit sein Eisbärenkostüm, die Jogginghose und Unterhose ausgezogen haben, sie zum Oralverkehr gezwungen und ein Foto von dem Mädchen gemacht haben? Sie solle sich nach eigenen Angaben schließlich gewehrt haben. Ihre Knieverletzungen, die in verschiedenen Aussagen mal als blau, rot oder offen von ihr beschrieben worden sein, so der Anwalt, könnten auch entstanden sein, als sich das Mädchen im Laufe des Abends draußen hingekniet habe, weil ihr schlecht gewesen sei. Auch die Unstimmigkeiten bezüglich des vermeintlichen Fotos zeigt der Anwalt auf: Mal soll das Foto von oben, mal von unten gemacht worden sein. Bei der damals 15-Jährigen handle es sich um eine ebenfalls nicht unerheblich alkoholisierte Zeugin, die einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt gewesen sei, weil sie sich zweimal länger vor der Halle aufgehalten habe.
"Was in der Nacht vom 2. März im Rahmen des Faschingsfests genau passiert ist, konnte auch nach acht Zeugen und Einsicht von Videos nicht aufklärt werden", sagt der Richter Markus Nikol. Beweise fehlten, der Angeklagte werde freigesprochen.