Süddeutsche Zeitung

Ebersberg:"Das schaut nicht nach jemandem aus, der dringend urinieren müsste"

Ein 21-Jähriger wird wegen einer exhibitionistischen Handlung zu Sozialarbeit verurteilt. Seine Erklärung fällt beim Richter durch.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Ja, sein Hosenstall sei offen, die Jeans ein wenig heruntergelassen gewesen. Aber nein, nicht weil er masturbiert habe. Er habe sich nur dringend erleichtern müssen. So lautete die Erklärung eines 21 Jahre alten Mannes vor dem Ebersberger Amtsgericht, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft vorwarf, im März vergangenen Jahres an einem Dienstagabend vor einer jungen Frau am Münchener S-Bahnhof Leuchtenbergring in einem Zwischengeschoss onaniert zu haben. So recht glauben wollte das Gericht die Version des Mannes, der zur Tatzeit im westlichen Landkreis lebte, nicht und verurteilte ihn nach Jugendstrafrecht zu fünf Tagen Sozialarbeit.

"Ich gebe alles zu", sagte der Angeklagte, damals 19 Jahre alt. "Aber weil ich urinieren musste! Ich habe nicht gesehen, dass da jemand kommt." Zuvor habe er im östlichen Landkreis Alkohol getrunken, sei dann mit der S-Bahn nach München gefahren und habe dort weitergetrunken. Auf dem Nachhauseweg haben sich dann die vielen Biere in seiner Blase bemerkbar gemacht. "Deshalb bin ich ausgestiegen."

Den Schilderungen der einzigen Zeugin zufolge, die junge Frau, die am S-Bahnhof auf den 21-Jährigen stieß, ist das alles ein wenig anders abgelaufen. Vor Gericht erzählte sie, dass sie den Beschuldigten am besagten Abend bereits aus der Ferne gesehen hatte, als sie an der Haltestelle ausgestiegen war und nach Hause gehen wollte. Demnach sei der Angeklagte ans Treppengeländer gestützt gestanden.

"Ich bin runter, dann stand er da und hat masturbiert"

Nach einem kurzen Blick auf ihr Handy sei er aber nicht mehr da gewesen. "Ich bin dann runter, und dann stand er da und hat masturbiert", sagte die 21-Jährige. Sie sei dann sofort wieder auf den Bahnsteig zurückgelaufen und habe dem Lokführer einer einfahrenden S-Bahn von dem Vorfall berichtet. Lange hat der Vorfall die 21-Jährige nach eigenen Angaben umgetrieben. Sie habe permanent Angst gehabt und sich schließlich bei einer Ärztin Rat geholt, sagte sie.

Die Aufnahmen der Überwachungskameras im Bahnhof bestätigten eher die Version der Zeugin. Bereits zwölf Minuten vor der Tat, um die es vor Gericht ging, zeichnete eine Kamera den Angeklagten auf. "Also für mich schaut das nicht nach jemandem aus, der dringend urinieren müsste", sagte Vorsitzender Richter Dieter Kaltbeitzer.

Zuletzt gab es noch ein psychiatrisches Gutachten von der Jugendgerichtshilfe - das ist üblich bei Angeklagten im Alter zwischen 18 und 21 Jahren. Ein solches Gutachten gilt dem Gericht als Orientierung, ob der Beschuldigte nach Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht zu verurteilen ist. Demnach ist der 21-Jährige seit einiger Zeit in psychiatrischer Behandlung, weil er Stimmen hört. Der Gutachter empfahl ausdrücklich, das Jugendstrafrecht anzuwenden, weil eine deutliche Verzögerung in der Reifeentwicklung vorliege.

Dieser Beurteilung folgte auch die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Sie forderte, den 21-Jährigen schuldig zu sprechen und ihn mit fünf Tagen, in denen er sozialen Dienst abzuleisten hat, zu bestrafen. Der Verteidiger hingegen verlangte einen Freispruch. Für ihn war die exhibitionistische Handlung, die laut Strafgesetzbuch immer ein sexuelles Motiv beinhalten muss, nicht zweifelsfrei bewiesen. "Ich würde im Zweifel für den Angeklagten sprechen." Mit seinem Urteil entsprach Richter Kaltbeitzer der Forderung der Staatsanwaltschaft.

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SZ vom 06.08.2019/koei
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