Mit hängendem Kopf schlich der Angeklagte in den Sitzungssaal. Ein Blatt Papier in den Händen, kaum in der Lage, den Blick zu heben und jemanden direkt anzusehen. Die Hygienemaske schien ihm ganz zupass zu kommen, er war nicht versessen darauf, sein Gesicht zu zeigen. Erst auf die Aufforderung der Vorsitzenden Richterin Vera Hörauf nahm er sie ab.
Dass dieser Mann, ein 54-Jähriger aus dem nördlichen Landkreis unter Alkoholeinfluss ein ganz anderes Bild abgeben kann - das belegen 22 Einträge ins Strafregister seit 1985 - war beim Sitzungstermin vor dem Ebersberger Amtsgericht schwer vorstellbar. Zur Last gelegt wurde ihm die mehrmalige "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen", wie es in Paragraf 86 des Strafgesetzbuches heißt. Mehrmals ist er schon einschlägig verurteilt worden. Auch Beleidigung, versuchte Nötigung, Diebstahl, Trunkenheit am Steuer stehen in seiner Akte.
Dass er im Januar dieses Jahres erneut straffällig geworden ist, bestritt er gar nicht, so dass Richterin Hörauf nicht anders konnte, als ihn erneut zu einer Haftstrafe zu verurteilen. Bis zum 14. Januar war er in einer Strafvollzugsanstalt gesessen, 14 Monate lang, am 16. Januar, zwei Tage nach der Entlassung, war die Polizei Poing alarmiert und zu seiner Wohnung gerufen worden. Er habe seine Ex-Frau angerufen und erzählt, dass er einen Rumänen verprügelt habe, der nun leblos bei ihm liege, berichtete ein Ebersberger Beamter, der als Zeuge geladen war. Die drei Streifen aus Poing und Ebersberg fanden aber keine Spuren eines Verbrechens. Damit wäre die Sache eigentlich vorüber gewesen, wäre der 54-Jährige nicht den Polizisten auf die Straße nachgekommen und hätte mit ausgestrecktem rechtem Arm den Hitlergruß gezeigt. Die Notwendigkeit einzuschreiten, hätten sie aber nicht gesehen, erklärte er, schließlich sei niemand sonst in der Nähe gewesen. Ganz anders beim nächsten Auftritt des Mannes, zwei Tage später in der S-Bahn Richtung Markt Schwaben. Sechs junge Leute, von denen eine als Zeugin aussagte, saßen in der späten Bahn, als er mit den männlichen Gruppenmitgliedern ins Gespräch kam. Er habe von seiner Haftentlassung erzählt, berichtete die 22-Jährige, er sei "wegen rechter Sachen" in der JVA gewesen. Die Frauen in ihrer Gruppe hätten sich rausgehalten, sie habe aber gehört, wie er davon gesprochen habe, dass eine Frau nicht arbeiten solle, sondern sie solle "am Herd stehen und den Mann beglücken". Ob er alkoholisiert gewesen sei, könne sie nicht sagen, aber in seinem Rucksack hätten Flaschen geklirrt. "Zum Abschied hat er dann den Hitlergruß gezeigt und 'Sieg Heil' oder 'Heil Hitler' gerufen." Ganz genau könne sie sich nicht mehr erinnern. "Ob 'Sieg heil' oder 'Heil Hitler' macht es unterm Strich nicht besser", urteilte Richterin Hörauf, nachdem auch die dritte Verfehlung des Angeklagten, diesmal in Poing, von einem Zeugen geschildert worden war. Der Mann habe "Asylanten" angepöbelt, weshalb er und ein Freund ihn zur Rede gestellt hätten, erzählte der Auszubildende. Der Beschuldigte habe dann ihm gegenüber von Konzentrationslagern gesprochen, dass sie wieder geöffnet und "Juden und Muslime vergast werden" sollten.
"Ich bereue das alles und schäme mich noch dazu", erklärte der Angeklagte, der, wenn möglich, nun noch mehr in sich zusammengesunken war. Eine allgemeine Unzufriedenheit - der 54-Jährige ist arbeitslos, hat keine Krankenversicherung, leidet nach eigenen Angaben an Magenproblemen - bringe ihn dazu, immer wieder ins gleiche Muster zu verfallen, immer verbunden mit Alkohol. "Leider" habe er auch "früher einen Hang zum Rechtsdenken" gehabt, durch "frühere sogenannte Freunde". Er wolle aber nicht nur den Alkohol verantwortlich machen, "es hat mich keiner dazu gezwungen." Nach der Haft wolle er eine Therapie machen, besuche seit Januar, wenn möglich, die Anonymen Alkoholiker.
Eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten forderte die Staatsanwältin, bis zu drei Jahren Haft wären pro Straftat möglich gewesen. Die Reue und das Geständnis des Angeklagten sowie seine Bereitschaft für eine Therapie wertete die Richterin strafmildernd. Eigentlich halte sie acht Monate pro Tat für angemessen, wenn man die Rückfallgeschwindigkeit betrachte und die Tatsache, wie oft "das schon vorgekommen" ist. "Wenn Sie nüchtern sind, machen Sie so einen guten Eindruck", sagte sie und legte dem Angeklagten ans Herz, nach der nächsten Entlassung nicht wieder bei ihr aufzutauchen. Der Verurteilte und sein Anwalt Alexander Eckstein wollen keine Rechtsmittel einlegen.