Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Ebersberg:Ein einziger Widerspruch

In einem kuriosen Prozess sind sich die Beteiligten auffällig uneinig

Von Antonia Voelzke, Ebersberg

Rechtssprechung ist keine einfache Angelegenheit, denn oft passen die Aussagen der Angeklagten und die der geschädigten Personen nicht so ganz zusammen. Noch schwieriger wird es allerdings, wenn sich selbst die Geschädigten über die Geschehnisse eines Vorfalls nicht einig sind. Dies zeigt ein Prozess am Ebersberger Amtsgericht, bei dem es ursprünglich um eine Erpressung gehen sollte.

Ein 28-jähriger Anlagenmechaniker und ein 34-jähriger Forstwirt müssen sich neben Erpressung auch wegen Beleidigung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch rechtfertigen. Nach Ende eines Volksfestabends mit mehreren Mass Bier sollen die beiden Männer spontan auf die Idee gekommen sein, die Schulden eines Bekannten in Höhe von 200 Euro einzutreiben. Dazu seien sie zur Wohnung der Schwester des Bekannten gefahren, um zu schauen, ob dieser sich dort aufhalte. Das Problem: Der Schuldner war nicht da. Die 31-jährige Schwester saß mit zwei Freunden im Wohnzimmer, als es zunächst klingelte. Nachdem die Wohnungshalterin zur späten Stunde keine Lust hatte an die Tür zu gehen, trat der 28-Jährige diese ein. Sobald die beiden angetrunkenen Männer im Wohnungsflur standen, soll einer der beiden "Jetzt ist Zahltag" gerufen haben. Die zwei Freunde der Frau stürmten in den Flur und versuchten die offensichtlich alkoholisierten Männer wieder aus der Wohnung zu drängen. Dabei soll es zu einer Rangelei gekommen sein. Nachdem die Angeklagten wieder gegangen waren, hatte die Frau die Polizei gerufen.

Die beiden Männer hätten ihre Freunde beschimpft und angegriffen, so die Aussage der 31-Jährigen. "Eigentlich stand er nur hinten in der Haustür und war ganz ruhig", sagt hingegen der zweite Zeuge über den Älteren der beiden Angeklagten. Der 28-Jährige sei definitiv der Haupttäter gewesen und habe seinen Freund beschimpft. Der dritte Zeuge sagt daraufhin, dass der 28-Jährige schon gar nicht mehr reden konnte, weil er so betrunken gewesen sei. Trotzdem habe der Anlagenmechaniker ihn gewürgt und versucht mit der Faust zu treffen. Der Einzige, der von der Rangelei ein blaues Auge davongetragen hatte, war jedoch der Anlagenmechaniker selbst. Unklar ist auch, von wem die beiden Männer das Geld wollten und ob sie das überhaupt lautstark mitgeteilt hätten. Während sich die Wohnungshalterin sicher ist, dass die Männer das Geld von ihr haben wollten, sagt ihr Freund, dass die Männer nur nach dem Bruder gesucht hätten. Der Dritte vermutet, dass nur der 28-Jährige Geldschulden eintreiben wollte. Was wer genau beim Eindringen in die Wohnung gerufen hat, scheint im Verlauf des Prozesses nicht mehr so ganz klar zu sein. Ob die Männer überhaupt etwas kommuniziert hätten, da ist sich der zweite Zeuge nun doch nicht mehr sicher. Auch die Aussagen der 31-jährigen Geschädigten zum genauen Wortlaut des Rufes beim Einbruch in die Wohnung stimmen nicht mit ihrer Aussage im Polizeibericht überein. Dort sollen die Männer nämlich nicht "Jetzt ist Zahltag" gerufen haben, sondern "Jetzt ist Abrechnung".

Als es schließlich um die Dauer und den genauen Ort des Vorfalls geht, wirkt es, als habe fast jede beteiligte Person etwas anderes erlebt: Die beiden Angeklagten seien laut Aussage nicht gleichzeitig in die Wohnung eingedrungen. Der 34-Jährige sei erst später hinzugekommen, um dem 28-Jährigen zu helfen. Zudem habe der Vorfall nur wenige Augenblicke gedauert, beteuern die Angeklagten.

Das Zeitgefühl der Zeugen variiert hingegen zwischen ein paar Sekunden und einer Dreiviertelstunde. Mal spielte sich die Szene im vorderen Bereich des Wohnungsflurs ab, mal saß der 28-jährige Mechaniker neben der schockierten Frau im Wohnzimmer um sie zu beruhigen. Nach vielen verschiedenen Erinnerungen an die besagte Nacht, führen zumindest unterschiedliche Erinnerungen an den zweiten Anklagepunkt, die Erpressung, zu vermeintlich mehr Klarheit. Die Frau behauptet, der 34-jährige Angeklagte habe ihr einen Monat nach dem ersten Vorfall gedroht. Wenn sie die Anzeige nicht zurücknehme, werde sie nicht mehr froh, soll er gesagt haben. Eine Freundin des Angeklagten kann jedoch bezeugen, dass sich der 34-Jährige zur Tatzeit in seiner Wohnung befunden habe. Der Mann zeigt die 31-Jährige nun wiederum wegen Falschaussage an.

Der Prozess wird schließlich eingestellt. Während der 34-Jährige seine Anwaltskosten selbst tragen muss, zahlt der 28-Jährige eine Auflage von 2500 Euro für die Einstellung der Verfahren wegen Beleidigung und Hausfriedensbruch gegen ihn. Des Weiteren soll er die Kosten für die Reparatur der eingetretenen Haustür von 128 Euro tragen.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2020
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