Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht Ebersberg:Bis aufs Blut

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Ein 20-Jähriger aus dem Landkreis sammelt eine ganze Reihe an Straftaten, bevor ihm eine Messerattacke endgültig zum Verhängnis wird

Von Marie Schmidt, Ebersberg

Lange dauert sie, die Verhandlung am Amtsgericht Ebersberg. Vor dem Schöffengericht um Vorsitzenden Markus Nikol musste sich ein 20-Jähriger aus dem westlichen Landkreis wegen einer Vielzahl an Delikten verantworten. Die Anklagepunkte erstrecken sich von Drogenbesitz über Urkundenfälschung bis hin zu gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen. Der fünffach vorbestrafte junge Mann habe bei allen Polizeikontrollen, denen er sich unterziehen musste, entweder Heroin oder Tabletten, welche als Drogenersatzmittel gelten, bei sich gehabt. Auch bei diversen Hausdurchsuchungen wurden Betäubungsmittel sichergestellt. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, ein Foto von Polizeibeamten in einem sozialen Netzwerk gepostet zu haben. Diese soll er mit Wasserpistolen-Emojis am Kopf dargestellt haben.

Die schwerste Tat aber war die gefährliche Körperverletzung vom Mai vergangenen Jahres, die der Beschuldigte auch gleich gestand. Demnach habe er, während er mit einem Freund unterwegs war, einen Anruf von einem anderen Freund erhalten, der Hilfe benötigte. Dieser sei bei einem Drogengeschäft um 500 Euro betrogen worden. Als der Angeklagte und dessen Freund bei den vermeintlichen Betrügern aufschlugen, sollen diese stolz ein Messer präsentiert haben, welches sie zuvor einem anderen Jungen abgenommen haben wollen. Der Angeklagte wollte das Messer sehen, nahm es in die Hand und schlug dann mit der Faust, in welcher sich das Messer befand, auf einen der Jungen ein, welcher ein Betrüger zu sein schien.

Nach einem Gerangel und einigen Faustschlägen unter den vier Jugendlichen, sahen sie, dass einer von ihnen heftig blutete. Wo genau sich der Schnitt, der vom Messer stammte, befand, weiß heute nicht einmal der Geschädigte selber. Am Ende ist vom "oberen Stirnbereich" die Rede. Alle Beteiligten waren schockiert über das Ausmaß ihrer Schlägerei und wollten schnell davon. Ein Rettungswagen wurde erst von zuhause aus gerufen. Die Rettungskräfte verständigten nach dem Einsehen der vier Zentimeter langen und einen Zentimeter tiefen Stichwunde dann auch die Polizei.

Diese versuchte zunächst den Verletzten zu vernehmen, was sich jedoch als sehr schwierig herausstellte. Er zeigte sich unkooperativ und gereizt. Als sie schließlich die Namen der beiden Angreifer herausgefunden hatten, fuhren die Polizisten zu den jeweiligen Wohnorten und nahmen beide in Gewahrsam. Eine Zeugin beschreibt den 20-Jährigen noch am nächsten Morgen als "aggressiv" und "selbstsicher". Eigenen Angaben nach sei er zu dem Zeitpunkt auf Drogen gewesen und hatte deswegen völlig den Bezug zur Situation verloren. Er habe sich respektlos gegenüber den Polizisten und dem Opfer verhalten, gab er vor Gericht zu. Ein weiterer Polizist gab an, der Beschuldigte schien stolz auf seine Tat gewesen zu sein, erzählte den Beamten den Tathergang gerne und ohne Reue zu zeigen.

Der Zeuge, dem die Stichwunde zugefügt worden war, konnte sich vor Gericht an nichts erinnern. Er konnte weder genauere Angaben zum Tathergang, noch zu seiner Wunde machen. Das alles sei einfach viel zu lange her, um sich noch an etwas erinnern zu können. Nur eins steht bei seiner Aussage fest: langfristige Schäden habe er von dem Vorfall nicht davongetragen. Die Entschuldigung des Angeklagten nahm er vor Gericht dennoch an, für ihn sei "die Sache schon längst gegessen".

Nach einem anderen Gerichtstermin im Februar 2020 gab der Beschuldigte an, seinen Drogenkonsum drastisch reduziert zu haben. Zuvor habe er mindestens fünfmal in der Woche fünf bis zehn Tabletten am Tag geschluckt. Eine Überdosis Heroin war am Ende ein Anstoß für eine Entgiftung, die er schließlich im September 2020 antrat. Trotz regelmäßigen Besuchen eines Drogensuchtberaters der Caritas kam er von den Drogen nicht weg, eine Therapie wollte er bislang aus Angst eines verfrühten Abbruchs nicht antreten.

Seinen Plan, nächstes Jahr in seinem Heimatland zur Schule zu gehen, muss der 20-Jährige jetzt aber wegen der Haftstrafe ohne Bewährung, die ein Jahr und zehn Monate betragen wird, verschieben. Da er zum Zeitpunkt seiner Taten noch nicht volljährig war, zuhause lebt und kein eigenes Einkommen hat, wurde er nach dem Jugendstrafgesetzbuch verurteilt. Wäre er wie ein Erwachsener behandelt worden, hätte die Haftstrafe mindestens fünf Jahre betragen.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2021
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