Am Dienstag im Alten Kino:Wenn die Demenz den Vorhang aufreißt

Lesezeit: 3 min

Sebastian Schoepp schrieb über den Abschied von seinen Eltern. (Foto: Veranstalter)

Sebastian Schoepp schildert in seinem Buch die Zeit, als er sich um seine pflegebedürftigen Eltern kümmerte

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Vier Jahre lang, von 2012 bis 2016, hat sich der SZ-Journalist Sebastian Schoepp um seine beiden Eltern gekümmert, nach dem Tod des Vaters nur noch um die Mutter. Über diese Zeit hat der 54-jährige Ebersberger nun ein Buch geschrieben, am Dienstag, 2. Oktober, ist er damit im Alten Kino zu Gast.

SZ: Herr Schoepp, Ihr Buch ist sehr persönlich. Warum alles so öffentlich machen?

Sebastian Schoepp: Ich habe zunächst einen Zeitungsartikel über das Thema geschrieben und bekam extrem viele Reaktionen, viele empfanden es entlastend, ihn zu lesen. Also dachte ich mir: Wenn meine Geschichte anderen hilft, dann ist es sinnvoll. Das klingt furchtbar altruistisch, ich hatte natürlich auch ein egoistisches Motiv: Alles loszuwerden, half mir selbst. Die Zeit war eine große Belastung. Man fährt in einen Tunnel ein, so nahm ich es damals wahr. Im Rückblick empfinde ich es als Reise - weil ich es aufgeschrieben habe.

Haben Sie das Buch mit Ihren Eltern noch besprechen können?

Nein. Meine Mutter konnte den Zeitungsartikel noch lesen und hat ihn abgesegnet. Andernfalls hätte ich auch kein Buch geschrieben - ganz sicher nicht.

Ihre Eltern gehören der Kriegsgeneration an. War das besonders schwierig?

Es spricht vieles dafür. Klar, die alten Generationen sind anders aufgewachsen, mit weniger körperlicher Nähe und Emotionalität, auch ohne Krieg. Aber der Krieg hat es nicht leichter gemacht.

Können Sie das genauer erklären?

Mein Vater war drei Jahre an der Front und fünf Jahre im Lager. Als er zurückkam, stellten Ärzte fest, dass er zu körperlicher Arbeit nicht mehr fähig war. Aber so etwas geht auch psychisch an niemandem spurlos vorbei, das hinterlässt große Traumata.

Wie hat sich das bei Ihnen und Ihren Eltern geäußert?

Ich dachte immer, ich könnte über meine Eltern nichts schreiben, weil ich zu wenig über sie weiß. Bis ich gemerkt habe: Das ist das Thema! Die Kriegsgeneration hat mit ihren Kindern über nichts gesprochen. Oft reißt die Demenz einen Vorhang auf: Die alten Leute vergessen die selbst auferlegten Grenzen und beginnen auszupacken.

In Ihrem Buch schreiben Sie: "Man ist als Kind verantwortlich, ob man es wahrhaben will oder nicht". Warum?

Das, was ich für meine Eltern getan habe, war keine Heldentat. Der Gesetzgeber hat mich dazu verpflichtet, das ist eindeutig geregelt: Kinder müssen sich kümmern!

Der Koalitionsvertrag sagt, dass ein Kind ab einem Jahreseinkommen von 100 000 Euro finanziell für die Pflege der Eltern zahlen muss. Es geht also um eine monetäre Verantwortung von Gutverdienern.

Anders geht es ja nicht: Der Gesetzgeber kann keine moralische Verantwortung vorschreiben ... oder doch? Ich denke jedenfalls, es ist richtig, dass Kinder gesetzlich verpflichtet sind. Andernfalls würden sich viele aus der Verantwortung stehlen. Ab welcher Summe dies zu geschehen hat, darüber kann man sicherlich streiten.

Ist das nicht unfair? Eltern können sich für ein Kind entscheiden. Dem Kind fehlt diese Freiheit: Es kann sich nicht aussuchen, von wem es versorgt wird und um wen es sich dementsprechend später kümmern muss.

Ja, das stimmt. Das ist eine hohe philosophische Frage: Niemand kann etwas dafür, dass er auf der Welt bist - woher kommt also die Pflicht? Es ist nun einmal so, dass der Gesetzgeber finanzielle Zuständigkeiten delegieren will. Bei allem anderen kommt der Titel meines Buches ins Spiel: "Seht zu, wie ihr zurechtkommt!" Es gibt Hilfe, aber die ist nicht ausreichend!

Zum Beispiel?

Es wird propagiert, dass betreutes Wohnen zu Hause die schönste Form der Pflege sei. Das stimmt nur bedingt: Es ist schön, wenn ein Familienverbund da ist. Ein hoher Pflegebedarf beschäftigt ein Heer von Leuten, wie eine kleine Pflegefirma. Einer hat viele Fäden in der Hand und ist dafür verantwortlich, dass alles funktioniert.

Und dieser Aufwand lohnt sich nicht?

Das kommt darauf an! Meiner Mutter ging es alleine zu Hause nicht gut. Das Wohnen in einer Kleinstadt war schön, so lange sie spazieren gehen, Autofahren und sich selbst versorgen konnte. Als das wegbrach, gab es nur noch mich und die Nachbarn. Für meine Mutter war der Umzug ins Heim die richtige Entscheidung. Sie kam nach München, das wollte ich so, da ist mehr los. Dadurch ist sie aufgelebt.

Was heißt das konkret?

Betreutes Wohnen zu Hause funktioniert dann, wenn sich viele Verwandte kümmern. Das entspricht aber einem vormodernen Familienidyll, das es immer weniger gibt. Ohne entsprechenden Rückhalt kann diese Pflegeform schnell zu Vereinsamung und Verwahrlosung führen.

Viele behaupten, dass Senioren in Pflegeheimen verwahrlosen und vereinsamen.

Bei meinen Eltern war es nicht so. Ich denke, wer genau hinsieht und sich informiert, worauf er sich einlässt, der kann manche Missstände auch vermeiden.

Es gibt aber auch Menschen, die gar nicht in der Lage sind, genau hinzusehen: Sie können sich nur dieses eine Heim leisten.

Das ist ganz richtig. Und das ist der eigentliche Skandal: Gute Pflege ist immer noch eine Frage der Finanzen.

Während der Jahre, in denen Ihre Eltern pflegebedürftig waren, haben Sie das Angebot ausgeschlagen, Korrespondent in Buenos Aires zu werden. Ärgert Sie das?

Überhaupt nicht! Ich habe den Eindruck, alles richtig gemacht zu haben. Im Beruf ergeben sich immer mal wieder Chancen. Anstatt Lateinamerika-Korrespondent zu werden, habe ich nun ein Buch geschrieben. Das ist auch nicht schlecht (lacht)!

Sebastian Schoepp liest aus "Seht zu, wie ihr zurechtkommt - Abschied von der Kriegsgeneration" am Dienstag, 2. Oktober, um 20.30 Uhr im Alten Kino. Kartentelefon: (8092) 255 92 05

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: