Kultur in Ebersberg:Brücken zwischen Welten

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"Hinter den Fenstern" geht es auch mal recht wild zu, wie diese Szene aus der Probe zu dem Theaterprojekt des Alten Kinos beweist. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das "Welt-Raum"-Theaterprojekt von und für Hörende und Gehörlose feiert am kommenden Wochenende im Alten Kino Premiere. Ein Besuch bei der Probe macht Lust auf mehr.

Von Alexander Karam, Ebersberg

Susanna Kühnlein spielt einfach weiter, obwohl die Regisseurin energisch auf die Bühne klopft: "Aufhören bitte, das müssen wir anders machen." Erst als die Darstellerin angetippt wird, bemerkt sie die Unterbrechung. Sie kann die Anweisung nicht hören, denn sie ist taub. "Ich klopfe zum Unterbrechen immer auf die Bühne, damit die Nicht-Hörenden die Vibration spüren können, aber manchmal klopfe ich eben nicht stark genug", erklärt die Regisseurin Andrea Kilian. Sie probt gerade mit Susanna Kühnlein und den anderen Mitwirkenden des "Weltraum"-Theaters im Alten Kino Ebersberg für den großen Auftritt am kommenden Wochenende.

Die Aufführung, für die hier geprobt wird, ist Teil des vom Innenministerium finanzierten Projekts "Welt-Raum". Dazu sollte sich unter dem Dach des Alten Kinos eine möglichst diverse Gruppe an Menschen zusammenfinden, um einen Querschnitt durch die Gesellschaft abbilden zu können. In einem "Raum" soll quasi die ganze "Welt" zusammenkommen - daher der Name. Ohne viel Werbung, eher durch Mundpropaganda entstand dann schnell eine Gruppe an Interessierten. Dass mit dem Start des Projekts auch die Pandemie begann, machte die ursprünglich wöchentlich geplanten Treffen für ein Theaterstück aber unmöglich.

Wegen der Pandemie musste der "Welt-Raum" zunächst größtenteils ins Digitale verlegt werden, hier die Theaterpädagogin Andrea Kilian bei der Vorstellung des Projekts via Stream. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

So wurde die Konzeption eines Theaterstücks zunächst auf Eis gelegt - und die Pandemie selbst zum Thema von alternativen Projektideen: Was erlebt ihr gerade? Was ist kaum auszuhalten, was ist angenehm? Ob Text, Musik, Videobotschaften oder Skulpturen - das Format der Einsendungen war frei wählbar. Ein Abschlussfilm der die individuellen Geschichten und Objekte mit Einzelinterviews verband, schloss das Projekt vorerst ab.

Als die ersten Lockerungen eine Aufführung wieder in den Rahmen des Möglichen rückten, holte das Welt-Raum-Team die Pläne dafür wieder aus der Schublade: Es galt nun also, gemeinsam ein Theaterstück zu ersinnen. Allerdings waren von den ursprünglichen Teilnehmern da einige bereits abgesprungen, sei es wegen eines Auslandssemesters oder eines Zweitjobs - nur der harte Kern ist geblieben. Damit änderte sich auch die Form der Diversität: Während die Verschiedenartigkeit der Teilnehmenden zu Beginn vom Thema Herkunft dominiert war, ist die Diversität nun das gemeinsame Theaterspielen von Hörenden und Nicht-Hörenden.

"Eine Szene entsteht aus verarbeiteten individuellen Erfahrungen"

Keinen harten, aber einen wahren Kern haben die Inhalte des Stücks mit dem Titel "Hinter den Fenstern". Wie beim Vorgängerprojekt haben die Darsteller persönliche Erlebnisse während der Pandemie verarbeitet. Zentral aber seien generelle autobiografische Erlebnisse: "Die Vorgabe war, dass jeder neun Begriffe mitbringt, die mit der eigenen Biografie zusammenhängen", erklärt Kilian, die die künstlerische Leitung übernommen hat. Aus diesen Begriffen wählten die anderen Teilnehmer dann einen aus, zu dem die Person eine Szene entwickeln sollte, die sie nun letztendlich auch spielt. In der Ankündigung heißt es: "Echte Lebensgeschichten, einfühlsame Momente, bewundernswerte Charaktere und reale Emotionen treffen auf die nötige Prise Humor."

Welche biografische Erfahrung wohl hinter dieser Szene von Roland Kühnlein steckt? (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Manche seien mit dem ihnen zugewiesenen Begriff zunächst nicht zufrieden gewesen, erzählt Kilian. Bärbel Körner etwa wollte eigentlich "Großvaterfreuden", bekam aber "Schulversagen". "Als wir gemeinsam über die Themen reflektiert haben, konnten wir unsere Erfahrungen austauschen - und so war Bärbel doch noch zu überzeugen, dass Schulversagen viel hergibt." In Einzelgesprächen mit der ausgebildeten Regisseurin überlegten die Darsteller anschließend, wie sie ihren Bühnenmoment gestalten könnten. "Die Szenen entstanden aber immer aus individuellen Erfahrungen und Gedanken heraus", sagt Kilian. Am Ende sind so insgesamt 20 kleine Akte zusammengekommen: Mit Hörspiel, Sketchen, Einspielern und einem Flashmob schlägt die Truppe eine Brücke zwischen Welten.

"Susanna musste mich erst überzeugen, auch mal mit Hörenden zu spielen"

Roland Kühnlein, der Mann von Susanna, ist ebenfalls gehörlos. Er spielt eine Szene zu dem Wort "Missverständnisse". Bereits seit 40 Jahren tritt er im Theater auf - Gehörlosentheater. Im Alten Kino steht er zum ersten Mal mit Hörenden auf einer Bühne: "Susanna musste mich erst überzeugen, auch mal mit Hörenden zu spielen", erzählt er. Seine Frau arbeitet als Heilpädagoge-Helferin und hat daher ohnehin viel Kontakt zu Hörenden. Ihr fiel die Entscheidung daher leichter - wenngleich sie nun das allererste Mal auf einer Bühne steht.

Beide sehen es als Privileg, an so einem Theaterprojekt wie dem Welt-Raum teilnehmen zu können. Dass das Ehepaar aus Ebersberg kommt, macht das Ganze noch praktischer: "Als Gehörloser ist man es gewöhnt, sehr weit zu fahren, um Angebote wahrzunehmen, die speziell für Gehörlose sind", sagt Roland Kühnlein. Diesmal aber hätten sie ausnahmsweise einen kurzen Heimweg.

Bis zu sechs Stunden am Stück übersetzt die Gebärdendolmetscherin bei den Proben

Da die Kühnleins nicht selber sprechen können, sind sie auf Gebärdendolmetscher angewiesen. Bei dem heutigen Durchlauf ist die 30-jährige Lena Schmidt-Bäse dafür zuständig, ihre Arme bewegen sich praktisch unablässig. Da die Proben teils bis zu sechs Stunden andauern, stellt sich die Frage, wie sie das schafft? "Es ist schon anstrengend", gesteht die Dolmetscherin, "aber dafür ist man ja ausgebildet". Außerdem komme sie sehr gerne ins Alte Kino - auch wegen der "super Atmosphäre". Auch in die Aufführung wird Schmidt-Bäse eingebunden sein, um für die Kühnleins simultan zu übersetzen. Aber auch die Gehörlosen im Publikum werden dann nicht vergessen: Eine weitere Dolmetscherin wird sich den Zuschauern zuwenden.

Lena Schmidt-Bäse übersetzt in Gebärdensprache die Anweisungen von Regisseurin Andrea Kilian. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für Regisseurin Andrea Kilian ist das inklusive Projekt ebenfalls etwas Neues - doch als Expertin des "physical theatre" ist sie offenbar genau die Richtige dafür. Bei dieser Art des Theaters nämlich ist der Körper Ausgangspunkt für die künstlerischen Gestaltungsprozesse, das gesprochene Wort rückt dabei in den Hintergrund. Das mag für viele zunächst befremdlich sein - für Menschen aber, die im Alltag auf Gebärdensprache oder Lippenlesen angewiesen sind, ist die Körperorientierung ohnehin die einzige Möglichkeit, sich zu verständigen.

Der Körpereinsatz der anderen Teilnehmer geht Kilian indes oft nicht weit genug: Als eine der Schauspielerinnen mit einem fiktiven Gesprächspartner telefoniert, bittet Kilian diese, ihren Körper noch mehr einsetzen. "Wenn ich telefoniere, sieht man am anderen Ende der Leitung doch gar nicht, ob ich mich bewege", wendet die Darstellerin ein. "Aber das Publikum schon - und darum geht es", erwidert die Regisseurin. Auch die kreativen Aufwärmübungen sind für manche der Teilnehmenden gewöhnungsbedürftig: "Sowas im Theater zu machen, hätte ich nicht erwartet", sagt Gerhard Leitner, als er sich "wie ein Bär" an Roland Kühnlein, "einem Baum", reiben soll.

Gewöhnungsbedürftige Aufwärmübung: Wer ist hier der Baum, wer der Bär? (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Da die Aufführungen immer näher rücken, steigt bei den Mitwirkenden schon das Adrenalin. "Bitte alles nochmal zuhause üben, die Szenen müssen sitzen", mahnt Kilian. Der Druck nimmt also so langsam zu. Trotzdem gehen am Ende alle "erfüllt und glücklich" nach Hause - und freuen sich auf ihren ersten großen Auftritt.

"Welt-Raum - Das Stück" im Alten Kino Ebersberg, Premiere am Samstag, 28. Mai, das Haus öffnet um 19.30 Uhr, Beginn ist um 20.30 Uhr. Eine zweite Aufführung findet statt am Sonntag, 29. Mai., sie beginnt um 19 Uhr, Einlass ist dann um 18 Uhr. Tickets sind unter www.kultur-in-ebersberg.de , telefonisch unter (08092) 255 92 05 oder persönlich in der Vorverkaufsstelle im Foyer des Alten Speichers erhältlich.

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