Altes Kino Ebersberg:Kleine Puppen, große Ideen

Kindertheatertage EBE

Einen Tisch, vier Stühle und einen Koffer voller Puppen - mehr brauchen Anna Fregir und Daniel Wagner vom "Theater auf der Zitadelle" nicht, um ein zauberhaftes modernes Märchen zu erzählen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das "Theater auf der Zitadelle" aus Berlin macht den Auftakt der Kindertheatertage: Das fantastische Stück aus eigener Feder ist gleich der erste Höhepunkt

Von Anja Blum

Eine kleine hübsche Melodie, ein bunter Ball und eine gelbe Stoffente, die leider heute nicht mitspielen darf - das genügt. Und schon hat der Künstler die Kinderherzen im Saal erobert. Doch das Theater auf der Zitadelle kann viel mehr als Bälle hüpfen und verzichtbare Enten durch die Luft fliegen zu lassen: Das Ensemble aus Berlin macht den Auftakt der diesjährigen Kindertheatertage im Alten Kino Ebersberg am Donnerstag mit einem fantastischen Stück aus eigener Feder zum ersten Höhepunkt. "Bei Vollmond spricht man nicht", heißt es - und erwärmt die Herzen von Klein wie Groß im Handumdrehen. Worum es geht? Ganz einfach: um's Zuhören. Ein Thema, das alle betrifft. Und um noch so einiges mehr ...

Das Theater auf der Zitadelle ist eine Puppenspielerfamilie, diesmal gastiert bereits die zweite Generation im Alten Kino: Daniel Wagner und Anna Fregin. "Bei Vollmond spricht man nicht" ist das erste komplett eigene Stück des Paares. Es feierte erst Anfang des Jahres Premiere und bekommt an diesem Freitag möglicherweise den Ikarus-Preis der Berliner Kinder- und Jugendtheater verliehen, für den heuer gerade einmal neun Inszenierung nominiert sind. Verdient hätten ihn Fregin und Wagner auf jeden Fall, denn ihr "Vollmond" leuchtet am Theaterhimmel ganz besonders hell und intensiv. Und vielleicht kann man die Geschichte sogar bald als schön illustriertes Kinderbuch erleben, das jedenfalls planen die beiden Autoren.

Es ist die Gattung des Märchens, genauer gesagt der Heldenreise, die das Duo von der Zitadelle hier neu interpretiert, auf so kluge wie humorvolle Weise. Zentral sind dabei zwei Charaktere: Hauptfigur ist eine munter-mutige Prinzessin, der Prinz hingegen kommt als Angsthase daher. Und daran ändert sich im Laufe der Geschichte auch nichts. Das Mädchen entpuppt sich nicht als besonders burschikos, der Junge wächst zwar einen kurzen Moment über sich hinaus, darf dann aber wieder fröhlich weiter schlottern und bibbern. Ganz zum Schluss fahren die beiden Puppenspieler selbst mit dem Motorrad davon, "vorsichtig schnell - töftöf!". Denn auch dieses moderne Märchen hat eine Moral, nämlich: Jedes Temperament ist in Ordnung. Rollenklischees aber sollten tunlichst in die Mottenkiste wandern.

Außerdem ist da ja noch die Sache mit dem Zuhören, wie ein roter Faden zieht sich dieses Motiv durch das Stück. Die Prinzessin nämlich hat - wie vermutlich viele Kinder im Publikum auch - einen Vater, den König, der "zu viel arbeitet" und deshalb keine Zeit für die Anliegen des Nachwuchses hat. Nicht einmal beim Abendessen tauschen sich Vater und Tochter aus - "mit vollem Mund spricht man nicht". Also ersucht die Prinzessin ganz offiziell um Audienz, denn sie möchte auf "Mutprobereise" gehen. Doch der König hört gar nicht richtig zu und schickt sie auf ihr Zimmer - solche Abenteuer sind schließlich nur etwas für Prinzen! Die Tochter aber pfeift auf die Tradition und macht sich sogleich auf den Weg in den Wald, wo sie so manches Spannendes erleben wird.

Für ihre fantasievolle Geschichte haben Wagner und Fregin nämlich einen ganzen Koffer voller kleinem Personal dabei. Es treten auf: zwei Spatzen mit Faible für Spezialeffekte, eine böse Hexe, drei depressive Zwerge, ein echter Waldbär, ein brüllend-komisches Riesenkind und ein liebenswerter Agaven-Dicksack, der Gedanken lesen kann. Sie alle werden hier im wahrsten Sinne des Wortes lebendig, denn Fregin und Wagner sind schlicht fantastische Darsteller. Ihr perfekt choreografiertes Zusammenwirken, das die Grenzen zwischen Schau- und Puppenspiel völlig aufhebt, erscheint spielerisch leicht. Und wie sie ihre Figuren führen, so dass jede Geste sitzt, dass man sogar die innersten Regungen wahrnehmen kann, das ist Freude pur.

Schließlich reichen die dargestellten Wandlungen tief. Die traurigen Zwerge zum Beispiel werden wieder glücklich, weil sie im Gespräch mit der Prinzessin eine neue Lebensaufgabe finden (sie gründen eine Band!). Und an der griesgrämig-eifersüchtigen Hexe zeigt sich die Macht des Wortes besonders eindrucksvoll: Die Prinzessin, obwohl gefangen genommen, begegnet ihr freundlich, woraufhin die Hexe vor Rührung heult und am Ende der Szene glücklich zwitschernd von dannen schwebt. "Freundin!"

Doch das Stück beweist nicht nur ganz viel Herz, sondern glänzt auch mit ausgefeilt-absurdem Sprachwitz, der Kinder und Erwachsene gleichermaßen zu erheitern vermag. Das Bergwerk der Zwerge musste geschlossen werden, da man im Märchenland jetzt auf "Solala-Energie" setzt, dafür bekommen die ehemaligen Kumpel "Quarz fünf". Auch der Titel des Stücks basiert ja auf einem Verhörer: mit vollem Mund - bei Vollmond.

Am Ende sieht aber auch der König ein, dass es wichtigeres gibt als Etikette, und erklärt das gemeinsame Abendessen kurzerhand zur Ausnahme vom Schweigegelübde. Und wie es sich für ein echtes Märchen gehört, kommt dann sogar die Mama, die den König wegen seiner Unachtsamkeit verlassen hatte, wieder zurück. "Und wenn sie nicht gestorben sind" - dann quatschen sie noch heute.

Kindertheatertage im Alten Kino Ebersberg noch bis Mittwoch, 13. November, täglich Vorstellungen, Produktionen für Kinder und Jugendliche diverser Ensembles. Infos und Karten unter www.kultur-in-ebersberg.de

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