Kultur made in Ebersberg:Großes Altes Kino

Die Ebersberger Kleinkunstbühne wächst mit ihrer wöchentlichen Onlinesendung über sich hinaus. Die Eigenproduktion bietet satirische Filmkunst, kabarettistische Perlen und allerhand Interaktion.

Von Anja Blum

Dass man immer besser wird, je öfter man etwas tut, ist eine Lebensweisheit, die Eltern ihren Kindern oft vergeblich nahezubringen versuchen. Ein schönes Anschauungsbeispiel dafür war die "Vollbremsung Teil 4": im Vergleich zur Premiere in allen Bereichen immenser Fortschritt! Allerdings war die Vorstellung aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit als Lehrstunde für den Nachwuchs eher ungeeignet. Am Donnerstagabend, pünktlich um halb neun, ging das Alte Kino erneut auf Sendung mit seinem neuen, wöchentlichen Onlineformat. Mit dieser Eigenproduktion stemmt sich das Team der Ebersberger Kleinkunstbühne seit Anfang November gegen die pandemiebedingte Schließung - und erntet dafür von seinem Publikum jede Menge Applaus, Lob und Dank. Allerdings freilich nur virtuell, in der Kommentarspalte neben dem Stream aus dem Saal. "Ihr seid meine Rettung in dieser kulturarmen Zeit", schreibt da jemand, das Wort "Zugabe" fällt nicht nur einmal, und auch eine "krasse Steigerung" gegenüber den bisherigen Ausgaben wird konstatiert. Ja, die Ebersberger Bühne hat ein treues Stammpublikum, über Jahrzehnte in persönlichem Kontakt gepflegt, das kommt ihr nun zugute.

Doch Schmeicheleien sind das nicht, es stimmt: Was das Team hier innerhalb kürzester Zeit, in einer Woche nämlich, auf die Beine stellt, kann sich mittlerweile wirklich sehen lassen. "Vollbremsung - das Alte Kino spielt mit" ist ein Kleinkunstkaleidoskop aus diversen Formaten und Rubriken. Im Alten Kino wird live moderiert, gespielt und musiziert, dazu gibt es Einspieler diverser Couleur, vom preisgekrönten Kurzfilm bis hin zu einer Folge Ebersberger "Dingsda", einem Rätselspaß aus Kindermund. Außerdem kommt der Abend äußerst interaktiv daher: Das Publikum plaudert im Chat rege mit, ist als Tippgeber Teil einer Schnitzeljagd und darf, einfach weil es so Spaß macht, knifflige Quizfragen beantworten.

Um das alles auffahren zu können, nutzt das Alte Kino sämtliche Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, technisch wie menschlich. Fast alle aus dem Team sind vor der Kamera mit dabei, für die meisten Neuland, das sie mutig und zunehmend souverän erkunden. Geschäftsführer Markus Bachmeier und Violetta Ditterich halten moderierend alle Fäden zusammen, Babsi Lux steuert Filmkunst bei (an diesem Abend zu Thema Flucht, "denn wir dürfen nicht wegschauen"), Lina Haschler und Max Weis liefern Social-Media-Parodien (diesmal Beautyprodukte aus dem Baumarkt), während Sebastian Schoepp und Uschi Treffer "Alte Neueste Nachrichten" unters Volk bringen. (Ach ja, wussten Sie schon, dass in Ebersberg bald ein Trump-Tower entstehen soll?) Nur jene, die für Licht, Ton und Bild verantwortlich sind, allen voran Daniel Hitzke und Valentin Winhart, bleiben im Hintergrund. Wobei, den ein oder anderen Kameramann sieht man durchaus mal durchs Bild laufen, was der Vorstellung aber einen charmanten Making-of-Charakter verleiht.

Ein großes Pfund, mit dem das Alte Kino wuchern kann, sind aber vor allem auch seine exzellenten Kontakte in die Kleinkunstszene. Dank diesen darf man aufwarten mit allerhand hochkarätigen Freunden wie Kabarettist Alexander Liegl, Geräuschemacher Max Bauer oder Schauspielerin Andrea Kilian. Sogar im Chat ist Prominenz geboten: Am Ende des Abends meldet sich dort Jess Jochimsen, Kabarettist aus Freiburg - voller Begeisterung. "Ich lauf gleich morgen los, dann bin ich nächste Woche in Ebersberg!" Schon von Beginn an fest zum Ensemble gehört Musiker Jeremy Teigan. Der Ebersberger Gitarrist und Sänger liefert als Ein-Mann-Band den Soundtrack zur Vollbremsung, mal düster-mystisch, mal zärtlich, mal dirty-bluesig - immer grandios.

Als Überraschungsgast am Donnerstag glänzt Michael Altinger, dessen schier kindliche Freude, mal wieder auf einer Bühne zu stehen, unübersehbar ist. Doch er war nicht untätig, sondern kreativ: In zwei Auftritten führt er die Pandemie und ihre Folgen köstlich ad absurdum, indem er von seinem Alltag im kulturellen Lockdown erzählt. So sehr vermisse er seine Arbeit, dass er bereits halluziniere, ein Publikum sehe, wo keines ist, im Aldi an der Kasse zum Beispiel. Die Szene, die Altinger gewohnt emotional und temporeich schildert, gipfelt auf dem Förderband, wo der Kabarettist eine oscarreife Dankesrede für einen nur vermeintlich erhaltenen Preis hält. Die Menge tobt, die Kassiererin ist den Tränen nahe. Aus Verzweiflung. Die zweite Episode widmet sich einer neuen familiären Umgangsform, im Lockdown entstanden: der "Ohrwurmfolter". Wie Altinger hämisch erklärt, funktioniert diese ganz einfach - und garantiert: "Man muss einfach in den unpassendsten Momenten ein dem anderen verhasstes Lied anstimmen, dann wird es ihn den ganzen Tag verfolgen." Mehrere Tag habe er so seine Frau gequält, mit "I am sailing", der Oberschnulze von Rod Stewart. Doch der "grausame Gegenschlag" habe nicht lange auf sich warten lassen: Der christliche Hit "Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde" habe ihn fast in den Wahnsinn getrieben, so Altinger. Wieder Halluzinationen, am Ende hat er sogar einen Blackout - und eines dieser verhassten Hochbeete im Garten stehen.

Humor der Extraklasse gibt es aber nicht nur auf der Bühne, sondern auch aus der Konserve. "Wir machen jetzt Kino", verkündet Chef Bachmeier stolz. Weil absehbar war, dass Livekultur es noch länger schwer haben wird, hat das Alte Kino eine Miniserie ersonnen und produziert: "Die Heizer". Hauptfiguren sind zwei Männer im Keller der Kleinkunstbühne - großartig verkörpert von Alex Liegl und Peter Voith. Hartgesotten sind diese beiden Heizer, und nicht unbedingt die hellsten Kerzen am Leuchter, aber rührend emotional: Beide lieben Kellnerin Elli, die jedoch leider mit einem Stadtrat verlobt ist. Dieser Umstand macht in der zweiten Folge aus den beiden Rivalen Komplizen, als sie per Periskop den verhassten Nebenbuhler oben im Saal entdecken. Da fliegen Fäuste, Teller und Schimpfwörter durch die Luft, dass es eine helle Freude ist. Bitte mehr von dieser Satire made in Ebersberg!

Gleiches gilt für Liegls zweite Rubrik bei der "Vollbremsung", seine Auftritte im zum Textarchiv umfunktionierten Stühlekammerl des Alten Kinos. Wie der aus Kirchseeon stammende Wortkünstler dort irre hyperventilierend die ganz große, absurde Paranoia pflegt, stets den allergeheimsten Geheimnissen auf der Spur ist, völlig vergeblich natürlich - das trifft absolut den Nerv dieser Zeit. Bravo!

Livestream Altes Kino Ebersberg: "Vollbremsung Teil 5", am Donnerstag, 10. Dezember. Tickets von ein bis zehn Euro sind erhältlich unter (08092) 255 92 05 oder unter www.kultur-in-ebersberg.de. Beginn ist um 20.30 Uhr, den Stream gibt's unter https://live.alteskino.de.

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