Alter Speicher Ebersberg:Weibliche Erschöpfung als Politikum

Gelungene Auftaktveranstaltung zu den "Wochen der Toleranz" mit einer Gesprächsrunde außergewöhnlicher Frauen sowie der Band "Rotes Motorrad" aus Steinhöring

Von Michaela Pelz

Wenn Männer mehr Zeit mit den Kindern verbringen, müssen Frauen länger putzen!" Pure Provokation, oder völlig unzeitgemäß? Weder - noch, wie Franziska Schutzbach klug und kundig in ihrem Buch "Die Erschöpfung der Frauen - Wider die weibliche Verfügbarkeit" beweist. Aus dem liest die promovierte Soziologin, Geschlechterforscherin und Publizistin auf Einladung des Kreisbildungswerks Ebersberg (KBW) im Alten Speicher beim Auftakt der "Wochen der Toleranz", vor einem gleichermaßen spannenden und erhellenden Expertinnengespräch mit der promovierten Kulturanthropologin Susanne Schmitt und später der Märchenerzählerin Silvia Hein.

Zunächst aber gehört die Bühne, nach Grußworten des KBW-Vorsitzenden Hubert Schulze und der Stellvertreterin des Landrats, Kreisrätin Magdalena Föstl, der inklusiven Band Rotes Motorrad des Einrichtungsverbundes Steinhöring. Dessen Leiterin, Gertrud Hanslmeier-Prockl, weist im persönlichen Gespräch darauf hin, dass die Offenheit der Gesellschaft für gelebte Vielfalt noch längst nicht selbstverständlich sei, weswegen man kontinuierlich daran arbeiten müsse. Gerade auch im Hinblick auf die Vergangenheit. Darum werde eine der insgesamt 34 Veranstaltungen der 14 Kooperationspartner während der "Wochen der Toleranz" auch eine Führung zum Thema Lebensborn auf dem Steinhöringer Gelände sein.

Alter Speicher Ebersberg: Inspirierende Wahnsinnstruppe: Das "Rote Motorrad"aus Steinhöring heizt dem Publikum ein.

Inspirierende Wahnsinnstruppe: Das "Rote Motorrad"aus Steinhöring heizt dem Publikum ein.

(Foto: Christian Endt)

Schwer vorstellbar, dass man behinderten Menschen einmal das Recht auf Leben absprach, wenn man sich diese inspirierende Wahnsinnstruppe anschaut, wie sie dem Saal mit ansteckender Begeisterung und dabei absolut musikalisch zunächst mit ihrer bayerischen Version des T-Rex- Hits "Get it on" und später mit weiteren überzeugenden Darbietungen einheizt. Kein Wunder, dass die Combo jüngst mit dem Kulturpreis "Grüner Wanninger" ausgezeichnet wurde.

Schon im Vorfeld als Fan der Band outet sich der Gastgeber der "Sonntagsbegegnungen" in Markt Schwaben, Bernhard Winter. Der Psychotherapeut ist aber auch deswegen da, weil er in seiner Praxis oft Frauen erlebe, "die es schwer haben". Genau diesen, aber auch all jenen, die ihre allumfassende Erschöpfung (noch) nicht als Krankheitsbild sehen, will sich die als "drei außergewöhnliche Frauen" angekündigte Runde nun widmen.

Dabei macht Moderatorin Schmitt vor Beginn der Lesung deutlich, dass es bei der Frage "Die Frau - das ausschöpfbare Wesen?", so der Veranstaltungstitel, um alle "weiblich gelesenen Menschen" gehe, die jene, oft unausgesprochenen "Verfügbarkeitserwartungen" spürten, von deren Erfüllung vielfach die Anerkennung durch Partner, Familie und Gesellschaft abhinge. Hier sei, so Schutzbach, das Scheitern fast schon programmiert. Und zwar gerade in einer Gesellschaft, in der schon kleine Mädchen erlebten, wie "man" zu sein habe: stark, sexy, selbstbewusst, gut gebildet, beruflich orientiert, ökonomisch unabhängig, aber auch lieb und sozial. Von Problemen solle man sich nicht behindern, sondern im Gegenteil anspornen lassen - klappe das nicht, suche man den Fehler automatisch bei sich selbst.

Alter Speicher Ebersberg: Susanne Schmitt (links) und Franziska Schutzbach diskutieren über die vielfältigen Erwartung an Frauen.

Susanne Schmitt (links) und Franziska Schutzbach diskutieren über die vielfältigen Erwartung an Frauen.

(Foto: Christian Endt)

Dass die Mehrheit des überwiegend weiblichen Publikums im leider nur etwa zur Hälfte gefüllten Saal genau weiß, was mit "Allzuständigkeit" gemeint ist, lässt sich am zustimmenden Nicken erkennen. Bestimmt haben viele am eigenen Leib erlebt, wie von Frauen nicht nur innerhalb der Familie, sondern oft auch im Beruf automatisch ein Gespür für Zwischentöne erwartet wird, um ein harmonisches Klima herzustellen. Doch für dieses Gefühlshandeln gebe es ebenso wenig Anerkennung wie für die Leistung von Müttern, die häufig selbst während der Elternzeit des Partners ganz selbstverständlich den Hauptteil der Hausarbeit übernehmen müssten, weil der Vater sich ja schon um den Nachwuchs kümmere. Gleichzeitig verhindere der Mythos von bereits erreichter Gleichberechtigung, wie ihn sich einige sogar selbst vorgaukelten, deren tatsächliche Umsetzung. Das gelte auch und besonders für den Bereich des "Mental Load", also der Gesamtheit der Termine und Aufgaben, die zu planen, vorzubereiten und zu überwachen sind.

Dass das aber kein "privates Unvermögen", sondern vielmehr ein strukturelles Problem ist, wird im Verlauf der Diskussion deutlich, in die sich nach ihrer ausdrucksstarken Präsentation des chinesischen Märchens "Frau in der Flasche" auch Silvia Hein einschaltet. Sie berichtet von ihren Erfahrungen in der Frauenbewegung der Siebziger und Achtziger, über deren Errungenschaften die aktuelle Generation nach Schutzbachs Auffassung viel mehr wissen müsste. Wie auch nicht nur junge Frauen verstehen sollten, dass ihre aus permanenter Überforderung resultierende Erschöpfung kein Einzelfall, sodnern in die Gesellschaft eingebettet sei. Die Politik müsse endlich anfangen, die Kümmerarbeit als konkreten Faktor zu begreifen und zu würdigen: "Jemand muss schließlich all die Arbeitskräfte erst mal gebären und aufziehen." Doch in allen vorherrschenden Wirtschaftstheorien sei die Sorgearbeit ausgeklammert - obwohl auch ein Adam Smith sein Leben lang "bei Mama gewohnt" und von all den damit verbundenen Vorteilen profitiert habe.

Alter Speicher Ebersberg: Silvia Hein erzählt ein chinesisches Märchen und gesellt sich dann zur Runde dazu.

Silvia Hein erzählt ein chinesisches Märchen und gesellt sich dann zur Runde dazu.

(Foto: Christian Endt)

Ihre Schlussfolgerung: "Das ökonomische Denken muss umgestellt werden - weg von der Vollzeit, hin zu Teilzeitarbeit für alle. Männer und Frauen." Das ist den Anwesenden einen Applaus wert. Überhaupt zeigen deren zahlreiche Fragen sowie die angeregten Gespräche im Nachgang die Relevanz eines Themas, über das es sicher noch viel mehr zu sagen gäbe. So sieht es auch KJR-Vertreterin Angela Warg-Portenlänger, eigentlich schon tief in den Vorbereitungen einer am Samstag stattfindenden Spendenaktion für die Seenotrettung. Sie freut sich, dagewesen zu sein. Wer hingegen die Veranstaltung verpasst hat, kann sie per Aufzeichnung auf dem KBW-youtube-Kanal "nachholen".

Das gesamte Programm und alle Infos zu den "Wochen der Toleranz" gibt es unter https://www.kbw-ebersberg.de

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