Alt-OB in Bestform:Griffige G'schichten

Alt-OB in Bestform: Der Pschorr-Keller in München sei ein Albtraum für die SPD, "weil man den ums Verrecken nicht voll bekommt", erinnerte sich Christian Ude. Der Festsaal in Vaterstetten war hingegen gut gefüllt.

Der Pschorr-Keller in München sei ein Albtraum für die SPD, "weil man den ums Verrecken nicht voll bekommt", erinnerte sich Christian Ude. Der Festsaal in Vaterstetten war hingegen gut gefüllt.

(Foto: Christian Endt)

Der Erzähler Christian Ude und die Gitarristin Radmilla Besic fügen dem Rathauskonzert Vaterstetten einen neuen Unterton hinzu

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Im Jubiläumsjahr wollen die Rathauskonzerte Vaterstetten ihren Namen offenbar nicht allzu eng fassen. Das mit dem "Rathaus" hat sich ja ohnehin seit längerem erledigt, und beim Blick auf das Programm vom Sonntag sah wohl mancher das "Konzert" im klassischen Sinn ebenfalls in Frage gestellt: Die musikalisch-satirische Lesung mit Münchens Alt-OB Christian Ude und der Gitarristin Radmilla Besic entsprach jedenfalls nicht ganz dem Muster. Gleichwohl aber dem Anspruch der Reihe, ihr Publikum außerhalb des üblichen Rahmens anzusprechen.

Apropos Wortsinn: Zu einer lupenreinen "Lesung" aus Udes Buch "Öha - und andere Geständnisse" kam es auch nicht. Dazu ist der Mann viel zu gern Erzähler. Obwohl ein Manuskript vor sich, hatte doch von Anfang bis Ende seine Lust am klingenden Wort und am dramatischen Satzbau die Oberhand über das bloße Rezitieren von Geschriebenem. Seine auf überraschende Wendungen und Pointen hingedrechselten Sätze hören sich ja auch viel lebendiger und packender an, wenn man sie aus seinem eigenen Mund hört, als wenn man sich beim Lesen die markante Stimme dazudenken muss. Gerade in den anekdotischen Phasen liefert Ude damit soviel Nähe und Glaubwürdigkeit, dass man als Zuhörer das Gefühl bekommt, selbst dabei gewesen zu sein. Die respektvolle Verneigung vor der Äthiopienhilfe Peter Dinglers zum Beispiel lässt fast absurde Episoden interkultureller Missverständnisse aufleuchten. Kurios mutet ein in absoluter Ahnungslosigkeit übernommenes kirchenrechtliches Mandat an, entlarvend schlicht dagegen der Dialog mit Weltstar Michael Jackson bei der Begrüßung durch Amtsvorgänger Kronawitter: "Who?" "He." "Hi!" Oral History, was will man mehr?

Ude selbst, das spürt man deutlich, will mehr. Das Publikum soll sich nicht mit ein paar Episoden aus dem Leben eines Prominenten zufriedengeben, sondern sich auch all den anderen "Geschichten aus der Geschichte" seines erfüllten Lebens widmen, die er weiterzugeben hat, die aber in einem solchen Abend nicht ausreichend Platz finden. Seine Erzählung einer Lebensfreundschaft mit einer türkischen Familie lässt erkennen, dass Ude bei allem politischen Auftrag seine Agenda von der Menschlichkeit her verstanden wissen will. Die Episode ist zwar verziert mit reichlich kuriosen Gegebenheiten - bis hin zum Besuch einer privaten Delegation mit Fresskorb an Heiligabend, die in der Familie Ude die Redensart reifen ließ: "Erst kommen die Türken, dann das Christkind." Aber es ist eigentlich und nachdrücklich nur der letzte Satz eines intensiven, halbstündigen Erzählens, den er in seinen Zuhörern verankern will: "Die Geschichte beweist, welche Freundschaften möglich sind mit Menschen, deren Lebensumstände wir uns nicht vorstellen können - und die so beeindruckt sind von dem, was sie hier bei uns sehen und erleben, dass sie es unter Einsatz ihres Lebens zuhause umsetzen wollen. Da sollten wir uns eine Scheibe abschneiden."

Das ist Ude pur. Nicht nur Lesung, nicht nur Satire, erst recht nicht Konzert. Oder doch? Er steht ja nicht allein auf der Bühne des Festsaals im Seniorenwohnpark: Radmilla Besic ist angekündigt als die Zuständige für anregende Begleitmusik zwischen den literarischen Kapiteln des knapp dreistündigen Programms. Tatsächlich aber hat die Gitarristin ein eigenes Geschichtenbuch auf dem Notenständer liegen und ein Instrument von ausgesucht feinem Klang (und leider auch zeitweiser Hitzeempfindlichkeit) in der Hand. Anspruchsvolle, moderne Werke hat sie ausgesucht, französische, spanische, argentinische, russische, mit starken rhythmischen Akzenten. Besic musiziert sie griffig, voller Energie und Spielfreude, bringt die solistischen Qualitäten der Gitarre auf den Punkt. Mit einem Walzer des Argentiniers Antonio Barrios Mangoré gibt sie dem Fluss des Lebens eine Melodie für seine Strudel und Untiefen, in der "Capricho Árabe" des Katalanen Francisco Tárrega spiegeln sich die wundersamen Wendungen menschlicher Biografien und Nikita Koshkins "Usher Waltz" gibt Sturm und Drang ebenso Raum wie Nachdenklichkeit und Demut. So entwickelt Besic ihren eigenen Erzählfaden, nicht kontrastierend, nicht komplementär, sondern im besten Sinn des Wortes "konzertierend". Ein künstlerischer Wettstreit, befreiend für die Gedanken des Publikums, das Zeit und Impulse bekommt, die Botschaft hinter Udes Geschichten zu erkennen und zu verdauen. Dafür reichen und freundschaftlichen Applaus im vollbesetzten Saal.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: