Süddeutsche Zeitung

Landkreis am Limit, Folge 2:Als Napoleon im Wilden Westen von Ebersberg kämpfte

An der Schnittstelle von Vaterstetten, Haar und Feldkirchen liegt der westlichste Punkt des Landkreises, wo nicht nur Natur und Zivilisation aufeinander treffen.

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Hier geht's nicht weiter: Das haben alle Punkte gemeinsam, die die SZ Ebersberg in den folgenden Tagen einer kleinen Serie vorstellt. Denn es handelt sich um geografische Extreme - im zweiten Teil geht es um den westlichsten Punkt im Landkreis, der sich auf Vaterstettener Gemeindegebiet befindet:

An diesem Punkt trifft sich die Welt. Ernsthaft. Aber nur an Tagen wie diesen. Wenn auf dem Messegelände drüben in Riem die Stände - oder in diesem Fall die Baumaschinen - aufgebaut sind und bis zu 600 000 Besucher kommen, dann wird der mit kurzem Gras bewachsene Parkplatz südöstlich des Gewerbegebiets Feldkirchen Süd vollgestellt mit Autos.

Gelbwesten sind hier keine regierungskritischen Demonstranten sondern Platzanweiser, die dafür sorgen, dass die Besucher der Bauma aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland hier direkt an der Grenze zum Nachbarlandkreis Ebersberg ordentlich in Reihen parken. Wagen aus der Schweiz, Kroatien, Österreich, aus Litauen, Italien, Polen, Tschechien, Holland, Frankreich reihen sich auf, etwa 3000 Fahrzeuge haben hier Platz.

Lustigerweise steht am Rand dieses Parkplatzes auf Feldkirchner Flur ein Hochsitz. Doch was Jagdleute hier beobachten könnten, das kommt wohl eher vom Feld nebenan - und das gehört schon zur Gemeinde Vaterstetten. Wenn man sich durch das Feldgehölz schlägt, das den Parkplatz im Süden begrenzt, genau hier unten, an der trapezförmigen Parkplatzfläche, dann steht man am westlichsten Zipfel des Landkreises Ebersberg, dort wo er auf den Landkreis München trifft. "Finistère" heißt ja das westlichste Department Frankreichs, das sich wie eine Nase in den Atlantik hinausschiebt.

Hier schäumt höchstens die Wut über die Unmengen an Plastikmüll

Und die Assoziation mit dem "Ende der Welt" liegt in der gefühlten Einsamkeit dieses Vaterstettener Feldwinkels, zwischen riesigen Feldern und einem Gehölzstreifen, der ihn abschirmt vom städtischen Geschehen auf dem Parkplatz und den Geschäftshotels im Norden, nicht ganz fern. Mit ein bisschen gutem Willen gleicht der Umriss des Landkreises ja dem französischen "Héxagone", und auch hier ragt ein Punkt weit nach Westen hinaus. Wenn auch, zugegeben, der Blick nicht ganz so eindrucksvoll ist, wie der über den schäumenden Atlantik.

Hier schäumt höchstens die Wut, wenn man die Unmengen an Plastikmüll sieht, die sich im knospenden Geäst des sorgsam angelegten Gehölzes verfangen haben. Kleine Trampelpfade führen durch den schmalen Streifen Natur hindurch, in dem junge Eichen, Hartriegel, Wilde Rosensträucher und Weißdorn in frühlingshafter Aufbruchsstimmung Blüten angesetzt haben. Doch angesichts des Parkplatzes, auf dem Menschen nach langer Fahrt ihre Autos abstellen und dann noch eine Busfahrt zum Messegelände vor sich haben, will man nicht wissen, was zwischen dem Buschwerk sonst noch an Spuren menschlicher Zivilisation zu finden ist.

Apropos Zivilisation: Das stete Rauschen, das hier zu hören ist, dringt vom Autobahnkreuz München-Ost herüber. Wie eine Glocke aus Lärm legt sich das Geräusch der unaufhörlich aufeinander folgenden Fahrzeuge über das Land. Immer wieder mischt sich ein Martinshorn dazwischen, Hubschrauber kreisen über der Messe im Westen und einem der verkehrsreichsten Autobahnabschnitte Bayerns im Nordosten.

Und doch: Sieht man davon ab, dass das Land hier flach wie ein Brett ist und nichts von der hügeligen Idylle des südlichen Landkreises hat, könnte man der Stelle doch durchaus etwas abgewinnen. Der Blick darf schweifen, die Weite streckt sich nach Westen und Süden. Die Mangfall hat einst dieses Gelände geformt, das auf Münchner Seite Heimstettener Bruch, auf Ebersberger Seite Ottendichler Feld heißt. Schon der Name "Bruch" weise darauf hin, dass hier nie viel Wald gestanden habe, sondern das hier meist "Ödland" gewesen sei, sagt der Vaterstettener Bürgermeister Georg Reitsberger.

Dann kam der kampfeswütige Napoleon

Weiter Richtung Osten hemmt ein weiteres kleines und gezielt angepflanztes Gehölz den Blick nach Weißenfeld hinüber. Drei zerzauste Kiefern recken sich von hier aus tapfer in die Höhe, als wären sie vergessen worden. Dazwischen spitzt der Zwiebelturm der Weißenfelder Kirche heraus, überragt von dem viel höheren Funkmasten direkt neben der A94 - wo sämtliche LKW Richtung Norden gerade wieder einmal zum kompletten Stillstand gekommen sind. Richtung Süden fängt sich das Auge an den weißen Stämmen der Birken, welche das Gelände des schon zum Haarer Ortsteil Ottendichl gehörenden Christbaumlands Beutler an der Weißenfelder Straße begrenzen.

Der Blick schweift, der Lärm bleibt. Unten am Boden des Feldes, das sich gen Süden zieht, erzählen vertrocknete Maiskolbenreste von der Ernte des Vorjahres. Grüne Halme, die aus der Scholle brechen, künden schon von der neuen Saat. Das Feld gehört einer alteingesessenen Weißenfelder Landwirtsfamilie - die schon vom Bau der A99 betroffen war. "Da hat der Bauer viel Grund verloren", erzählt der Bürgermeister. Wenn nun irgendwann die neue Autobahnparallele gebaut werde, die Vaterstetten und vor allem Weißenfeld vom Durchgangsverkehr entlasten solle, dann werde es ihn wieder treffen. "Sie wird genau über dieses Feld führen", erklärt Reitsberger.

Übrigens habe Napoleon einmal hier gekämpft, erzählt er weiter, ob das allerdings genau an diesem Punkt mit den Koordinaten 48 Grad 08' 18'' nördlicher Breite und 11 Grad 44' 42'' östlicher Länge gewesen ist oder ein paar Meter weiter, kann heute keiner mehr sagen. Sicher aber sei, so Reitsberger, dass dieser Grenzpunkt schon sehr lange besteht und auch unumstritten gewesen ist, wahrscheinlich schon seit der ersten urkundlichen Erwähnung von Weißenfeld, das bis 1056 nach Christus als Reichsgut im Besitz des römisch-deutschen Kaisers Heinrich III. war. 1809 seien die Gemeindegrenzen von Parsdorf und Weißenfeld endgültig festgelegt worden. Die meisten Vaterstettener glaubten sicher gar nicht, so Reitsberger, dass die Gemeindegrenze so weit im Westen, vom Hauptort aus gesehen jenseits der A99 liegt.

Sollte die Autobahnparallele tatsächlich hier verlaufen, dann werden wohl auch die sorgsam angelegten Feldgehölze nicht mehr helfen, um hier ein letztes bisschen Natur zu bewahren. Sie geben Singvögeln und wohl auch, in den dazwischen gestreuten Felsblöcken, kleinen Reptilien Schutz. Und so mischt sich unter das ewige Brausen des Autobahnlärms das Jubilieren von Lerchen, die sich über den Feldern in den Himmel schwingen. Im niedrigen Gehölz kann man sie sitzen sehen, hier finden sie Brutplatz und Nahrung. Auch Meisen turnen zu Dutzenden durch die Zweige. Und dann, kaum zu glauben, ist aus dem Dickicht zwischen Parkplatz und Ödland das Schlagen eines Fasans zu hören.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2019/koei
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