Ebersbergerin auf der Leinwand:Hommage an eine ungewöhnliche Frau

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Beim Festival in Saarbrücken genießt Ahuva Sommerfeld mit Regisseur Anatol Schuster (links) die Sonne. (Foto: privat)

Ahuva Sommerfeld aus Ebersberg wird kurz vor ihrem Tod als Schauspielerin entdeckt. Obwohl es im Film um eine Holocaustüberlebende geht, ist die Geschichte mit viel Humor erzählt.

Von Alexandra Leuthner

Ganze 81 Jahre hat sie alt werden müssen, um noch einmal eine ganz neue Erfahrung in ihrem Leben machen zu können. 81 Jahre, in denen Ahuva Sommerfeld vor allem zwei Eigenschaften ausgezeichnet haben: Ein immenser Kampfgeist und die Fähigkeit, vieles auszuhalten. Am 8. Februar ist sie in Berlin gestorben. Kurz nachdem sie zum allerersten Mal in ihrem Leben in einem Film mitgespielt hat. Und zwar die Hauptrolle.

Nein, ihre Mutter habe nicht gleich "ja" gerufen, als sie vor ein paar Monaten von dem jungen Regisseur Anatol Schuster gefragt wurde, ob sie die Hauptrolle in seinem Film "Stern" übernehmen wolle, erzählt ihre Tochter, die Schauspielerin und Musikerin Nirit Sommerfeld aus Grafing. Die einzigen Erfahrungen, die ihre Mutter mit der Schauspielerei gemacht habe, seien schließlich ihre Besuche in Salzburg gewesen, wo Nirit Sommerfeld am Mozarteum ihre Ausbildung absolviert hat. Im Film sollte Ahuva Sommerfeld eine Holocaustüberlebende spielen - auch das keine leichte Entscheidung für die alte Dame. Ahuva Sommerfeld wurde 1937 als Kind einer jüdisch-orientalischen Familie in Jerusalem geboren, damals noch britisches Mandatsgebiet, und hat den Nationalsozialismus nie selbst erfahren - im Gegensatz zu ihrem Mann Rolf Sommerfeld. Er war im Alter von 17 Jahren aus Chemnitz geflohen, nach Haifa, im selben Jahr, in dem seine spätere Frau geboren wurde. Sein Vater Julius starb im Konzentrationslager Sachsenhausen, fast seine gesamte Familie wurde ermordet. In Chemnitz gibt es inzwischen einen Stolperstein für Julius Sommerfeld - und das Grundstück der Familie, um das Ahuva nach dem Tod ihres Mannes jahrelang gekämpft hatte. Rolf Sommerfeld hatte seine Heimatstadt nie wieder gesehen, er starb 1980 in Ebersberg.

Und so ist der Film über die 90-jährige Frau Stern gewissermaßen auch ein späte Hommage an Ahuvas Ehemann und Nirit Sommerfelds Vater. Die Musikerin war viel unterwegs in den vergangenen Wochen. Zuerst die Sache mit dem Film, der beim Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken in den Wettbewerb aufgenommen worden war und am 16. Januar dort Premiere feierte. Gemeinsam mit ihrer Mutter war sie hingereist, hatte sie dann zurück nach Berlin begleitet. Viel Aufregung, vor allem für die alte Dame, schon die Dreharbeiten hatten sie angestrengt. Obwohl das Team für den No-Budget-Film klein und die Dreharbeiten kurz waren, "sonst hätte sie das gar nicht geschafft", sagt die Tochter im Rückblick. Kurz darauf dann musste Ahuva Sommerfeld, deren Markenzeichen neben einer manchmal "nervtötenden" Unbeirrbarkeit - so ihre Tochter - vor allem ihre markante, tief-raue Stimme war, ins Krankenhaus: Seit Jahren hatte die starke Raucherin eine chronische Lungenkrankheit geplagt. Ein paar Tage danach starb Ahuva Sommerfeld in ihrer Berliner Wohnung, mit ihrer Tochter, dem Schwiegersohn, den beiden Enkelinnen und dem Kameramann Adrian Campean an ihrer Seite.

Einer Trauerfeier in Berlin, wo Ahuva Sommerfeld ihre letzten sechs Jahre verbracht hatte, folgte eine in Grafing, unter den vielen alten Bekannten, die kamen, war auch Bürgermeisterin Angelika Obermayr. In den 90er Jahren war Ahuva Sommerfeld aktiv bei den Grünen gewesen, als ausländerpolitische Sprecherin in Ebersberg und Sprecherin des Kreisverbands. "Aber irgendwie wollte sie immer weg", erinnert sich Nirit Sommerfeld, weg aus der doch vergleichsweise dörflichen, oberbayerischen Enge. Zu kalt sei es ihrer Mutter überdies immer gewesen.

Nach dem Sechstagekrieg 1967 hatten Nirit und ihre Eltern Israel verlassen, waren über Nairobi und Frankfurt nach Ebersberg gekommen - auf Empfehlung eines "sehr netten Manns vom Alpenverein", der etwas vom "Stadtrand von München" gesagt hatte. "Heizung und Warmwasser" seien alles gewesen, was ihre Mutter sich gewünscht habe, als sie ankamen, "in einem der kältesten Winter überhaupt", erzählt Nirit Sommerfeld. Doch auch nach dem Tod ihres Mannes blieb die Mutter in ihrer Ebersberger Etagenwohnung, der Tochter wegen.

Tochter Nirit Sommerfeld hat Musik zum Film geliefert. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zu ihrem 75. Geburtstag bekam sie dann von ihrer Familie einen Herzenswunsch erfüllt und einen Monat in Berlin geschenkt. Ein Monat, aus dem sechs Jahre wurden, in denen die alte Dame noch einmal ganz neu begann, in einer neuen Umgebung, mit vielen neuen jungen Menschen an ihrer Seite, etwa Kameramann Campean. Junge Menschen hätten es ihrer Mutter immer schon angetan gehabt, erzählt Nirit Sommerfeld, gerne "auch junge Männer" fügt sie mit einem leisen Lachen hinzu. Und so sei aus dem Kameramann bald ein enger Freund geworden. So ist auch die Verbindung zum ebenfalls jungen Regisseur Anatol Schuster entstanden, der Ahuva Sommerfeld die Rolle von Frau Stern, einer resoluten Holocaustüberlebenden, die an ihrem 90. Geburtstag beschließt, dass sie sterben möchte, auf den Leib schrieb.

Mit leichter Hand erzählt Schuster in seinem ersten Langfilm Frau Sterns Geschichte. Der Holocaust spielt darin nur eine Nebenrolle: "Es wird schon davon gesprochen", sagt Nirit Sommerfeld, "aber nicht, wie es so oft ist, dass alle dabei die Stimme senken". Die Tochter hat zum Film Musik beigesteuert und ist in einer kleinen Nebenrolle zu sehen.

Frau Stern ist eine beeindruckende Frau mit leuchtend weißen Haaren und trockenen Sprüchen wie diesem: "Ich habe das KZ überlebt, ich werde auch das Rauchen überleben." Ihrem Arzt eröffnet die kerngesunde 90-Jährige, dass es ihr reiche vom Leben, dass sie die Zeit für ihren Abgang selbst bestimmen wolle. Also macht sie sich auf den Weg durch Berlin und unternimmt alles mögliche, um sich ihren Wunsch zu erfüllen. In ihrer Lieblingskneipe, bei Weißwein und Zigarette, fragt sie die anderen Gäste, wo sie wohl eine Pistole herbekommen könne, auch den Friseur haut sie um eine Waffe an, und ihre Enkelin Elli, die alles tut, um die Oma aufzumuntern. Schließlich landet Frau Stern sogar in einer Fernsehshow, und auf die Frage des Moderators nach ihren Wünschen erklärt sie so trocken wie der ganze Film daherkommt: "Schneller Abgang."

So streift Frau Stern durch die Straßen, entschlossen, diese Welt zu verlassen, und wird dabei immer wieder aufs Neue vom Leben überrascht. Denn es sind viele kleine, absurde Dinge, die dem Pathos ihrer Todessehnsucht gegenüberstehen. "Ein Film, der berührt", urteilt der Saarländische Rundfunk, "aber nicht auf eine traurige Art, sondern durch kleine Begegnungen, die das Leben bejahen". Eine Reminiszenz an eine ungewöhnliche Frau.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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